An diesem Tag sind relativ viele Pilger vor und hinter mir unterwegs. Insgeheim hoffe ich, dass sich das am späteren Weg verlieren wird. So kann ich mir keine wirklich ruhigen und kontemplativen Märsche vorstellen.
Das nach vielen Stunden am Pass ankommen fühlt sich gut an. Die große Einstiegshürde ist geschafft. Meine Geburt.
Es war motivierend zu wissen, den vielleicht anstrengendsten Teil des Weges geschafft zu haben. Dachte ich.
Ein Elektrolytgetränk zur Stärkung…und weiter geht’s. In eine ganz neue Richtung. Abwärts. Ich wähle die vorgeschlagene längere, dafür weniger steile Variante der beiden Wege in`s Tal. Selbst auf dieser erklären mir aber meine Knie stechenderweise, dass es nicht ihre Lieblingsbeschäftigung ist mich bergabzutragen. Aha, da fällt mir meine Packliste ein. Schnell die mitgenommene Kniebandage auf`s rechte Beingelenk gezogen, aus Faulheit gleich über der Hose.
Anderthalb Stunden sind es insgesamt noch vom Pass aus gesehen bis in`s Kloster, meinem heutigen Etappenziel.
Die letzten 1,5 Kilometer gehe ich aufgrund eines fehlenden Gehweges direkt am Seitenstreifen einer Straße. Das sollte mir noch öfter begegnen. Irgendwie unangenehm wie die Autos an mir vorbeirasen. Ich bleibe bei jedem stehen und schaue ob mich der Fahrer sieht. Nach meiner Rückkehr habe ich im Reiseführer gelesen, dass der offizielle Weg, ein angrenzender Waldweg war den ich verpasst habe. Das war wohl der Grund warum außer mir niemand hier gepilgert ist und mich diverse Autofahrer, wild gestikulierend angehupt haben. „Was für ein Idiot, geht der auf der Straße!“ muss sich so mancher gedacht haben.
Im Kloster Roncesvalles auf spanischer, besser gesagt baskischer Seite angekommen, leiste ich mir nach einem Gespräch mit dem Hospitalero der Bettenburg, der mich keinen Blick in die Schlafsäle machen ließ, doch ein Zimmer im angrenzenden Hotel. Ich verzichte momentan auf Massenherbergen. Wer weiß wie es darin zugeht, wenn ich nicht mal reinlugen darf.
Ich habe heute echt was geleistet, bin müde, erschöpft, meine Füße tun weh und ich muss erstmalig meine Sachen waschen.
Außerdem brauche ich Schlaf und Ruhe. Also Geldbeutel gezückt und eingecheckt. Jaaaa, so soll ein Hotelzimmer sein. Angenehm groß und mit schönem Bett. Mir fällt das grausige Kayola ein. Heute gibt`s kein Geschnarche. Noch so eine Nacht im Anschluss schaffe ich nicht.
Ich breite die frisch im Waschbecken von Hand gequirlten Klamotten im ganzen Hotelzimmer zum Trocknen aus, gehe essen und besuche im Kloster meine erste Pilgermesse. Ich verstehe zwar nichts, aber da die Kommunion selbsterklärend ist, braucht es keine Worte. Die Messe ist wunderbar, mit schönem Gesang. Am Ende werden alle Pilger nach vorn vor den Altar gebeten und in ihrer Landessprache gesegnet. Es ist sehr berührend. „Austria“ hat der Pfarrer gesagt und dass wir alle wohlbehalten unser Ziel erreichen sollen. Ich merke wie es mich stärkt einerseits heute etwas geschafft zu haben und andererseits eine gewisse Kraft in der Kirche zu empfangen.
Morgen schlaf ich mich aus und gehe es weiter ruhig an.
25.9. Viscarret
Tränen in der Früh. Was ist los? Irgendetwas stimmt nicht. Geht es vielleicht doch darum die Entbehrungen der einfachen Refugios, der Herbergen, auf mich zu nehmen?
Ausgeschlafen bin ich aber Gott sei Dank. Nachdenklich gehe ich frühstücken und föhne anschließend noch meine restfeuchte Wäsche trocken. Zusammengenommen ergibt das einen pünktlichen Aufbruch…um 12 Uhr Mittags!! Das nenn ich pilgern.
Ein schöner Weg unweit der Straße erwartet mich, das Wetter ist gut, ein wenig kühl vielleicht. Nach 12 Kilometern erreiche ich den Ort Viscarret. An der ersten Bar, aus der laute Musik dröhnt, gehe ich vorbei und suche lieber den kleinen im Reiseführer angekündigten Supermercado. Einmal ganz durch den Ort bitteschön. Hier fangen meine Erfahrungen in Spanien mit geschlossenen Geschäften an. Ok, in dem Fall war es ein Sonntag, zugegeben.
Ich habe trotzdem Hunger. Sonst auch alles zu. Also wieder zurück an den Anfang in die Bar mit der lauten Musik. Drinnen allerdings, verschwitzt meine Sachen in die Ecke stellend, bemerke ich andere Pilger und einen freundlichen Mann hinter dem Tresen. Als erstes lerne ich was eine spanische Tortilla ist. Ein Omelette. Oder eher ein Kuchen aus Kartoffeln. Und weil sich 1 Stück nach wenig anhört, bestelle ich gleich noch einen gemischten Salat und einen „Cafe con leche“ - einen Milchkaffee dazu. Um wohlfeile 9,-. Als alles auf dem Tisch steht, wird mir eines klar. Weit kann ich dann nicht mehr gehen. Mein Blut wird sich aus Beinen und sonstigen beim Gehen gebrauchten Körperteilen fein in die Gedärme zurückziehen um Kartoffeln und grünen Salat mit Thunfisch zu verdauen.
Pappsatt lege ich das Besteck beiseite. Es ist 16 Uhr. Mein angepeiltes Örtchen Zubiri ist noch 10 Kilometer weit weg. Mir schwant, dass ich die Kombination aus 12 Uhr losgehen, viel zu viel Essen und noch nicht vorhandener Kondition überdenken sollte. Als ich beim Wiederaufschnallen des Rucksacks bemerke, dass der Bauchgurt in seiner bisherigen Einstellung nicht mehr zuzukriegen ist, ich möglicherweise in die Dunkelheit komme und mir Füße und Knie bereits weh tun, möchte ich einfach nur noch bleiben. Am Ende gibt’s in dort nicht einmal mehr ein Bett für mich. So beschließe ich gleich hier im Ort zu nächtigen. Ich wollt`s sowieso langsam angehen.
So kehre ich in der Pension „Corazon Puro“ ein. Übersetzt bedeutet das „reines Herz“. Klingt gut. Die Wirtin spricht sogar deutsch! 20 Euro mit Halbpension im Zwei-Bett- Zimmer. Spitze. Hoffentlich gesellt sich kein Zweiter dazu, dann hab ich das Zimmer für mich alleine. Denkste. Auch das war neu. Wenn Du den Zimmerpreis bezahlst, wird niemand mehr dazugelegt, egal wieviel Betten im Zimmer stehen. Super. Kein Gefühl wie in Kayola, aber auch keines wie im Hotelzimmer letzte Nacht. Ich nähere mich langsam an, was für mich stimmiges Pilgern bedeuten könnte.
Momentmal, wieso schnarcht denn da im Nebenzimmer jemand schon um 18 Uhr so laut vor sich hin? Das Schnarchen scheint mir jedenfalls bereits Wegbegleiter zu sein.
Im Zimmer schiebe ich mir das von Susanne erhaltene Armband mit der Aufschrift „mein Weg“ aufs linke Handgelenk. Jetzt ist es stimmig. Schwer ist es auch nicht, wiegt lediglich ein paar Gramm. Und naja, momentan gehe ich zwar noch zu wenig Kilometer und gebe gleichzeitig zu viel Geld aus, doch es ist bereits „mein Weg“.
Der hat mich heute übrigens durch einen Wald geführt hat, der aus „der Herr der Ringe“ hätte stammen können…gruselig. Haben nur noch die metergroßen Spinnen gefehlt die von den Bäumen hupfen um die darunter Marschierenden in ihre Nester zu ziehen.
Der Plan für morgen ist früher losgehen, Mittagspause machen und dafür weiter zu kommen als heute. Beim gemeinsamen Abendessen der hier wohnenden Pilger lerne ich einen sehr netten älteren Mann aus Kanada, Jim, kennen. Wir unterhalten uns wunderbar. Ja, es geht mit meinem Englisch ganz gut, ich scheine verstanden zu werden. Deutsche sitzen auch mit am Tisch, die aber ein wenig steif wirken. Gut, der Weg hat ja erst begonnen um lockerer zu werden. Ein spanisches Ehepaar rechts von mir verstehe ich sprachlich nicht. Macht aber nix, da die Frau sich irgendwie einer Mischung aus Distanzlosigkeit und gestelzt lustig hingibt und ihr Mann im Gegenzug aussieht wie ein Mitglied der Hells Angels.
Am nächsten Morgen vor dem Losgehen habe ich noch ein Foto vor dem Haus gemacht. Hier glaube ich mit einem morgendlichen Ritual angefangen zu haben. Ich habe mich in voller Gehmontur hingestellt um einen Moment, vor dem Haus indem ich die Nacht verbracht habe, innezuhalten. Noch einmal Revue passieren lassen, was hier so alles geschehen ist, mich bedankt und überlegt ob ich nichts vergessen habe. Das war mir sehr wichtig. Ich wollte immer nur nach vorne gehen und nicht gezwungen sein, einen vergessenen Gegenstand im Rückwärtsgang wieder abzuholen. Zum Abschluss habe ich Gott um Beistand für den kommenden Tag gebeten und bin bewussten Schrittes losgegangen. Möglicherweise habe ich das auch gemacht um besser loszulassen. Am Camino musst du nämlich immer und immer wieder Dinge, Sachen und Menschen loslassen. Wenn du das nicht kannst…hier kannst du es lernen.
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