„Ja und?“, entgegnete Sebastian ein wenig ungehalten.
„Na ja. Sie ist nicht gekommen.“
„Sie ist nicht gekommen?“, echote Elin.
„Ja, n-nicht gekommen.“
„Soll vorkommen.“ Treblow klang gereizt. Wir ermittelten in einem Mordfall, und da kommt diese aufgebrezelte Tussi mit so ´nem Kinderkram .
„Ja schon. Aber ich habe sie seitdem zigmal angerufen, doch sie war nicht zu erreichen.“
„Auch das soll vorkommen“, gab der Kommissar noch ein Stück weit genervter zurück.
„Eigentlich sollte sie bei mir übernachten. Und heute wollten wir dann zusammen nach Berlin fahren. Sie hatte sich übelst darauf gefreut.“
„Was wollten Sie in Berlin?“ Die Antwort interessierte Sebastian nicht wirklich, doch er hatte die Frage nun einmal in den Raum geworfen.
„Na ja, was man in Berlin halt so machen kann: Sightseeing, bummeln, shoppen und so weiter. Heute Abend wollten wir dann zum Kudamm. Da hat vor kurzem so ´n neuer Club aufgemacht. Sie meinte, der wäre total abgefahren und wollte unbedingt da rein.“
„Und jetzt glauben Sie, ihr könnte etwas zugestoßen sein?“ Treblows Frage klang eher nach einer Feststellung.
„Ich habe es heute Vormittag immer wieder auf ihrem Handy versucht. Gegen halb zehn bin ich dann zu ihrer Wohnung, aber es hat niemand aufgemacht.“ Ihre Stimme stockte und ihre Augen begannen vor Feuchtigkeit zu glitzern. „Ich mache mir echt Sorgen, dass ihr was passiert sein könnte.“
„Wie heißt Ihre Freundin?“, hakte Elin nach.
„Franzi. Ich meine Franziska, Franziska Klein.“
Plötzlich fiel es den Beamten wie Schuppen von den Augen. Schlagartig wurde ihnen klar, dass die Person, die ihnen gerade gegenübersaß, möglicherweise den Schlüssel zur Identität des bisher noch namenlosen Opfers vom Küstenwald in der Hand hielt. Der Kettenanhänger, die Initialen FK , arbeitete Tarhans Gehirn auf Hochtouren. FK wie Franziska Klein – das könnte passen . Sollte uns Kommissar Zufall tatsächlich so schnell zur Seite stehen?
„Haben Sie ein Foto von ihr, oder können Sie sie beschreiben?“, fragte Sebastian, dessen Aufmerksamkeit scheinbar in Lichtgeschwindigkeit von Null auf Hundert gestiegen war.
„Ein Foto leider nicht. Aber ich kann sie Ihnen, glaub ich, ganz gut beschreiben.“ Regelrecht stoisch zählte Jasmin Bartzsch sodann die markantesten Merkmale ihrer Kollegin auf: einundzwanzig Jahre, klein und schlank, halblange, blonde Haare mit farbigen Strähnchen, dazu ein silbernes Bauchnabelpiercing, ein Tattoo in ihrer Leistengegend und nicht zuletzt das Halskettchen mit der vielsagenden Buchstabenkombination. Es passte alles, aber wirklich alles wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, ehe sie fast etwas verschämt ein weiteres Detail hinzufügte: „Und dann gibt es da noch so einen Schmetterling.“
„Einen Schmetterling?“, echote Elin mit fragender Miene. „Was meinen Sie damit?“
„Na ja, so eine Tätowierung auf ihrem, na ja, ihrem …“ Anstatt den Satz zu vollenden, zeigte sie mit dem Finger auf ihren Allerwertesten.
„Sie meinen so ein Arschgeweih?“, nahm Treblow kein Blatt vor den Mund.
„Nö, kein Arschgeweih. Ein Tattoo, ein Schmetterling, ziemlich bunt, auf ihrer Arsch-, äh, ich meine Pobacke.“
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Ein paar ungläubige Blicke flogen durch den Raum. „Rechts oder links?“, nahm Tarhan schließlich den Gesprächsfaden wieder auf.
„Wa-was?“, stammelte Jasmin Bartzsch.
„Das Tattoo, der Schmetterling“, entgegnete die Kommissarin. „Trägt sie ihn auf der linken oder rechten Arschbacke?“
Die Gefragte überlegte einen kurzen Moment, ehe sie schließlich antwortete: „Links, glaube ich.“ Es folgte nochmals eine kurze Pause. „Nein, ich bin mir sicher. Links“, schob sie schließlich hinterher. „Es ist links und ganz nebenbei ziemlich ausgefallen. Ich sehe es ja fast jeden Tag bei uns in der Praxis, in der Umkleide. Sie hat ja immer nur Strings an, selbst jetzt, bei dieser Schweinekälte.“
Waren sich die Ermittler eben noch beinahe hundertfünfzigprozentig sicher, dass ihnen die junge Frau gerade unbewusst den Namen des Opfers auf dem Silbertablett serviert hatte, so überkamen sie nun doch wieder leise Zweifel. Eigentlich passte jedes Detail zu der Toten vom Küstenwald, bis auf die zuletzt erwähnte Tätowierung. Zumindest war ihnen eine solche am Fundort nicht aufgefallen, allerdings war der Leichnam dermaßen blutverkrustet gewesen, dass man ein solches Detail fürs Erste durchaus übersehen haben konnte. Aber solange diesbezüglich keine endgültige Klarheit herrschte, gehörte eine gesunde Portion Skepsis nun mal in den Werkzeugkasten eines jeden umsichtigen Kriminalisten. „Wir brauchen Adresse und Telefonnummer von Ihrer Freundin“, klinkte sich Sebastian schließlich wieder in die Konversation ein.
Umständlich fummelte Jasmin Bartzsch in ihrer Handtasche, bis ein schwarzes Etwas zum Vorschein kam. Es wirkte flach wie eine Flunder und war ihr Smartphone. Sekunden später nannte sie eine Adresse in der Kirchnerstraße in Warnemünde und eine mehrstellige Zahlenfolge. Elin notierte die Angaben auf einen Zettel und verschwand sogleich wortlos aus dem Zimmer.
Das Handy auf Treblows Schreibtisch vibrierte unterdessen wie eine Libelle und bettelte mit einem monotonen Surren darum, dass sein Besitzer doch endlich rangehen möge. „´tschuldigung“, warf er mechanisch in Richtung Jasmin Bartzsch, als er auf dem Display neben einem kleinen Herz den Schriftzug Mel entdeckte, und fügte sogleich ein erklärendes „meine Tochter“ hinzu. Nachdem die letzten Bereitschaftsdienste ziemlich ruhig verlaufen waren, hatte er ihr leichtsinnigerweise Hoffnungen auf einen gemeinsamen Tag gemacht. Erst wollten sie zum Schlittschuhlaufen in die nahegelegene Eishalle, bei gutem Wetter vielleicht noch in den Zoo und sich abends dann beim Griechen ihre Bäuche vollschlagen. Sie hatte sich so darauf gefreut, aber dann war ihr diese Notiz ihres Vaters auf dem Küchentisch in die Hände gefallen und ihre Stimmung augenblicklich auf den Nullpunkt gesunken. Aus Erfahrung wusste sie, dass Ich versuche, so schnell wie möglich zurück zu sein nichts anderes als Tut mir leid, aber heute wird es leider nichts, vielleicht klappt es ja ein anderes Mal bedeutete. Selbst das Versprechen, sie alsbald anzurufen, war dann üblicherweise nicht mehr als eine bedeutungslose Floskel. Wenn die Arbeit ihn erst einmal als seine Geisel genommen hatte, dann ließ sie ihn so schnell nicht mehr frei. Und beinahe schien es, als wolle er auch gar nicht freigelassen werden, zumindest nicht solange, bis der Fall, um den es gerade ging, endlich gelöst war. „Hallo Große.“ Er sprach sehr leise, beinahe flüsternd.
„Papa, du wolltest dich doch melden“, hauchte ein betrübtes Stimmchen am anderen Ende vorwurfsvoll.
„Tut mir leid, mein Schatz. Ich hab´s einfach bisher nicht geschafft. Aber wir haben hier einen echten Notfall.“
„Du immer mit deinen Scheiß Notfällen. Wir wollten doch …“
Er fiel ihr spürbar genervt und ziemlich harsch ins Wort: „Ich weiß. Tut mir ja auch wirklich leid. Aber das werden wir wohl oder übel verschieben müssen.“
„Das sagst du doch immer“, regte sich leiser Protest, den er jedoch geflissentlich ignorierte.
„Mach dir was zu Mittag! Im Kühlschrank sind noch Nudeln von gestern. Oder du holst dir eine Pizza bei Giovanni. Ich melde mich nachher nochmal.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte er das Gespräch weg und wandte sich wieder Jasmin zu.
Elin hatte inzwischen wieder hinter ihrem Schreibtisch platzgenommen und ihrem Kollegen ein für den Außenstehenden kaum vernehmbares Kopfschütteln zugeworfen, welches hinsichtlich Franziska Klein nichts Gutes verhieß. Ihr Instinkt sagte ihr, dass die Stimme auf der Mailbox, welche sie vor wenigen Minuten aufgefordert hatte, Namen und Rufnummer zu hinterlassen, längst aus dem Jenseits kam. Und auch das Versprechen, umgehend zurückzurufen, würde sich in diesem Leben wohl nicht mehr erfüllen, denn sie hatte vermutlich ein Telefonat mit einer Toten geführt.
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