„Herr Professor, können Sie den Todeszeitpunkt näher eingrenzen?“, warf Treblow schließlich zaghaft in den Raum. Er hatte sich noch immer nicht so recht mit den diesbezüglich bislang noch recht vagen Angaben abgefunden, aber an der grauenhaften Szenerie, die sich seit gut einer Stunde vor seinen Augen abspielte, sichtlich zu kauen.
Schwesinger kam gar nicht erst dazu, über die Frage nachzudenken, geschweige denn, sie zu beantworten. „Am liebsten würde ich mich ja auf die Geisterstunde festlegen, das hätte doch was, nicht wahr, Herr Kommissar?“, fauchte Frau Dr. Büttner bissig und mit einer gehörigen Portion Sarkasmus. Sie wetterte wie eine Furie, die Adern an ihren Schläfen traten gefährlich hervor, und ihre Blicke wirkten wie die reinsten Giftpfeile. „Aber bisher wissen wir nun mal nicht, wie lang genau sie am Fundort gelegen hat. Und wir kennen weder den Tatort, noch haben wir eine Ahnung, wie lange sie dort zugebracht hat und welche Bedingungen dort herrschten. Aber das alles habe ich ihnen bereits vorhin ausführlich erklärt.“
„Schon gut. Ich weiß, aber vielleicht könnten sie ja …“
„Nichts könnte ich. Hören Sie endlich auf, Treblow! Es bleibt dabei: Der Tod der Frau ist Freitagnacht irgendwann zwischen zehn und zwölf Uhr eingetreten. Genauer geht´s unter diesen Voraussetzungen nun mal nicht. Da können Sie von mir aus auf und nieder hüpfen.“
Wortlos erklärte Sebastian schließlich die bedingungslose Kapitulation und verzichtete auf weitere Interventionen. Er wusste, wann es an der Zeit war, den geordneten Rückzug anzutreten, und wollte nicht durch eine unbedachte, letztendlich aber nutzlose Äußerung unnötig Öl ins Feuer gießen. Außerdem hatte auch er angesichts der schaurigen Bilder, die seit fast zwei Stunden wie ein Horrorfilm vor seinen Augen vorüberzogen, mit einem zunehmend flauen Gefühl in seiner Magengrube zu kämpfen. Mittlerweile hatte sein Gesicht jegliche Farbe verloren, er war beinahe so weiß wie eine Kalkwand, was natürlich auch Katrin Büttners giftigen Blicken nicht entgangen war.
„Was ist los Commissario?“, stürzte sie sich sogleich wie ein Geier auf seine Beute. „Falls Sie jetzt auch kotzen müssen, wie die anderen …“
„… stimme ich es selbstverständlich vorher mit Ihnen ab“, fiel er ihr mit einem Mix aus Wut und Zynismus ins Wort.
„Meine Herrschaften, ich darf doch sehr bitten!“, ermahnte Schwesinger die beiden Streithähne mit ruhigem, aber bestimmendem Tonfall, der keine Widerrede duldete. „Wir sollten uns auf unsere Arbeit konzentrieren.“
Ungeachtet dieser lautstarken Auseinandersetzung ist ein Sektionssaal grundsätzlich alles andere als ein Ort der Stille. Spätestens, wenn sich die Oszillationssäge mit scharfer Schneide und lautem Gekreische durch das Schädeldach eines Toten frisst, ist es mit der Ruhe vorbei. Auch das dumpfe Knacken der Knochenschere beim Durchtrennen der Rippen dürfte nicht nur Zartbesaiteten wahrhaft Gänsehautfeeling bescheren. Aber bei Vorliegen einer Straftat oder auch nur Verdacht auf einen unnatürlichen Tod ist nun mal die eingehende Untersuchung der drei großen Körperhöhlen, nämlich Kopf, Brust und Bauch, durch die Strafprozessordnung verbindlich vorgeschrieben. Für Schwesinger und sein Team waren die damit verbundenen Arbeitsschritte samt all ihrer unangenehmen Begleiterscheinungen mittlerweile zwar zur vertrauten Routine geworden, aber dieser außergewöhnlich brutale Fall ging offenbar selbst an ihnen nicht spurlos vorüber. Mit einem langgezogenen, geraden Schnitt vom Hals bis hin zur Hüfte hatte der Professor inzwischen den Rumpf der Toten eröffnet. Die ansonsten übliche Y- oder U-förmige Klingenführung war diesmal ausnahmsweise entbehrlich, da eine Aufbahrung des Opfers nach allem, was mit ihm geschehen war, aus naheliegenden Gründen nicht mehr in Betracht gezogen werden musste. Zeitgleich hatte sich Kambale mit der Knochensäge am Schädel des Opfers zu schaffen gemacht und sich anschließend dem knöchernem Brustkorb zugewandt. Wie ein aufgeschlagener Mantel ruhte nun die sterbliche Hülle der Ermordeten schließlich auf der harten Unterlage aus kaltem Edelstahl. Vorsichtig wurden sodann das Gehirn und nacheinander die inneren Organe entnommen und äußerlich eingehend begutachtet, ohne dass sich dabei nennenswerte Auffälligkeiten ergaben. Allerdings verrieten der leicht vergrößerte Uterus und der blass-bläulich gefärbte, etwas aufgelockerte Muttermund, dass sich die junge Frau zum Zeitpunkt ihres Ablebens im Frühstadium einer Schwangerschaft befunden hatte. Emotionslos diktierte Schwesinger auch diese, für die Ermittlungen gewiss nicht uninteressante Entdeckung in den kleinen schwarzen Knopf am Kragen seines OP-Kittels. Gewebeschnitte aus den verschiedensten Körperarealen, Blut- und Urinproben sowie Magen- und Darminhalt wanderten schließlich zur weiteren Untersuchung in die eigens dafür vorgesehenen Behälter. Möglicherweise würde ja das Mikroskop bislang verborgene Details enthüllen oder die chemisch-toxische Fahndung nach Medikamenten, Drogen und Giften wichtige Erkenntnisse zutage fördern. Darüber hinaus war für die Ermittlungen natürlich vor allem die Arbeit der DNA-Analytiker von Interesse. Immerhin gab es diese Haut- und Blutrelikte unter ihren Fingernägeln, aber auch das gefundene Sperma in den Ruinen ihrer Weiblichkeit und nicht zuletzt das Ungeborene in ihr. Über alldem schwebte die bislang ungelöste Frage, ob und inwiefern all die vielen kleinen Puzzleteilchen letztendlich ineinander passten.
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