1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Unterdessen waren zwei kräftige Männer in roten Jacken und weißen Hosen damit beschäftigt, den leblosen Torso in einen Leichensack zu verfrachten, damit er schließlich in das Institut für Rechtsmedizin der Universität Rostock überführt werden konnte. „Die Forensiker werden sicherlich eine Zeitlang brauchen, um der Ärmsten ihr Gesicht zurückzugeben“, gab Elin zu bedenken, die noch immer weiß wie eine Kalkwand war. Welch grauenvolles Puzzlespiel , ging es ihr durch den Kopf.
„Stimmt, es dürfte in der Tat ein hartes Stück Arbeit sein, sie wieder einigermaßen fotogen zurechtzuschustern“, gab Sebastian mit unpassendem Sarkasmus zurück, mit dem er vermutlich nur seine eigene Fassungslosigkeit überspielen wollte.
Tarhan musterte ihren Kollegen mit entgeisterten Blicken und knuffte ihn kurz in die Seite. „Statt makabere Späße zu machen, verrate mir lieber, was du von der Sache hältst.“
„Schwer zu sagen. Wer immer das Mädchen kaltgemacht hat, er hat ganze Arbeit geleistet, und das ganz sicher nicht ohne Grund“, murmelte er nachdenklich und kaum hörbar vor sich hin.
„Wenn du mich fragst, war das hier kein gewöhnlicher Mord, sondern eine eiskalte Hinrichtung“, entgegnete die Kommissarin. „Irgendjemand muss entweder unbändigen Hass auf sie gehabt haben, oder aber er wollte mit der extremen Brutalität der Tat sozusagen ein Zeichen setzen, wie es beispielsweise in mafiösen Kreisen gang und gäbe ist.“
„Eine interessante Theorie“, entgegnete Sebastian anerkennend. „Aber mich beschäftigt vor allem die Frage, ob das hier ein Einzelfall ist oder wir es womöglich mit einem irren Frauenhasser zu tun haben, der, während wir uns hier den Kopf zermartern, vielleicht schon sein nächstes Opfer im Visier hat.“
„Falls du mit deiner Annahme richtig liegen solltest, wäre freilich höchste Eile geboten“, mahnte Elin. „Aber natürlich ist auch das derzeit nicht mehr als eine Theorie.“
„Vollkommen richtig“, lenkte Treblow umgehend ein. „Aber wenn meine Vermutung stimmt, dann reden wir gerade über einen gemeingefährlichen Psychopathen, der schon bald erneut zuschlagen könnte. Und wenn es irgendwie geht, würde ich ihm gern zuvorkommen.“
„Soweit okay“, replizierte Tarhan. „Und wie verfahren wir weiter?“
„Fahr du schon mal ins Präsidium! Ich bespreche mich derweil noch kurz mit Frau Dörfel und komme dann so bald wie möglich nach“, antwortete der Hauptkommissar. „Zuallererst müssen wir die Identität der Toten klären. Also setz deinen zauberhaften Hintern schon mal an den Computer. Vielleicht spuckt der ja eine passende Vermisstenmeldung aus.“
„Und wovon träumst du nachts?“, entgegnete Tarhan schnippisch.
„Manchmal geschehen ja noch Zeichen und Wunder.“
„Und wenn nicht?“
„Dann werden wir wohl oder übel die Medien einschalten und sie mit ein den entsprechenden Informationen füttern müssen. Aber ich gehe mal davon aus, dass die sich auch so das Maul zerreißen werden. Auf so ´ne Story stürzen die sich doch wie die Geier.“
„Wenigstens hat das Opfer auch ohne Gesicht so einiges zu bieten“, machte Elin vorsichtig auf Optimismus, wobei sie vor allem an das auffällige Tattoo und den markanten Körperschmuck dachte. „Das könnte unsere Chance sein.“
„Zumindest ist das schon mal ein Anfang“, stellte Treblow sachlich nüchtern fest. „Und nun mach dich vom Acker!“
„Okay, dann bin ich jetzt mal weg.“ Sichtlich froh, endlich der grausamen Szenerie entfliehen zu können, ging Tarhan schnellen Schrittes zu ihrem Wagen, öffnete die Fahrertür und ließ sich erschöpft auf den kalten Ledersitz fallen. Sie brauchte einige kurze Augenblicke der Besinnung, ehe sie den Schlüssel ins Zündschloss steckte, den Motor anließ und schließlich in einer blau-grauen Abgaswolke davonbrauste.
Dem karg möblierten Büro hätte eine Renovierung gut zu Gesicht gestanden. Unpersönlich wies ein rundes Plastikschild mit rotem Rand und einer durchgestrichenen Zigarette auf das hier bestehende Rauchverbot hin. Die vergilbten Gardinen und der gelblich-braune Schmierfilm auf der Deutschlandkarte an der Wand zeugten jedoch davon, dass es auch die Hüter des Gesetzes mit selbigem nicht immer ganz so genau nahmen. Die Einrichtung des Zimmers wurde von drei wandhohen, grauweißen Resopalschränken, die von oben bis unten mit Ordnern vollgepfropft waren, sowie zwei einfachen, frontal aneinandergestellten Schreibtischen mit heller Kunststoffoberfläche dominiert. Während der eine akkurat aufgeräumt wirkte, war der andere mit Aktenbergen und Papierstapeln förmlich übersät. Ein Plastebecher mit Mickymaus-Motiven – eigentlich ein ziemlich wertloses Mitbringsel aus einem Florida-Urlaub, zugleich jedoch Erinnerung an ein längst vergangenes Familienidyll – beherbergte ein Sortiment an Kugelschreibern, Textmarkern und anderen mehr oder weniger nützlichen Gehilfen und schien das einzige einigermaßen geordnete Element an Sebastians Arbeitsplatz zu sein. Ganz ohne Zweifel war er der ungekrönte König des strukturierten Chaos´ und wehe dem, der es wagte, hieran etwas durcheinanderzubringen. Tarhan verkörperte diesbezüglich das ganze Gegenteil. Neben einem wuchtigen, stets griffbereiten Notizzettel-Würfel waren lediglich ein paar Stifte, eine Schere und ein kleines Holzlineal in einer anthrazitfarbenen, mehrfach unterteilten Federschale gelagert, während alle übrigen Utensilien ordentlich in einem Rollcontainer unter ihrem Schreibtisch ruhten. Die Unterlagen der aktuell zu bearbeitenden Fälle fanden ihren Platz in einfachen, aber durchaus zweckmäßigen Kunststoffablagen zu ihrer Linken. Rechtsseitig waren, wie bei ihrem Kollegen auch, Computertastatur, Maus und ein moderner Flachbildschirm platziert, der so gar nicht in die triste Büroidylle a la Bitterfelder Barock in Sprelacard-Ausführung passen wollte. Außerdem hatte Elin die Angewohnheit, vor allem wenn sie angespannt war oder über etwas grübelte, mit Büroklammern herumzuspielen und diese solange hin und her zu biegen, bis sie endlich in zwei Teile brachen. Wie andere Leute Knabberzeug hatte sie deshalb stets eine ausgediente Creme-21-Dose voller dieser drahtigen Gesellen an ihrem Platz stehen. In einer separaten Schublade bunkerte sie zudem ein paar Schminkutensilien für den Notfall, welche allerdings schon länger nicht benutzt worden und vermutlich längst eingetrocknet waren, einen Deoroller sowie einige Stangen Pfefferminzdragees. Obendrein hatte sie stets einige Packungen Zellstofftaschentücher sowie drei, vier Schachteln Lord Extra auf Vorrat, die ihr jedoch immer mal wieder ausgingen, obwohl sie selbst diesem Laster schon vor langer Zeit abgeschworen hatte. Dafür war Treblow gelegentlich umso dankbarer für diese eiserne Ration im Schreibtisch seiner Partnerin.
Die junge Frau, die soeben ihr Büro betreten hatte, stellte sich als Jasmin Bartzsch vor. Sie mochte schätzungsweise drei-, vierundzwanzig sein und blickte die Beamten aus funkelnden, smaragdgrünen Katzenaugen an. Ihr dunkles Makeup wirkte auf ihrer blassen, leicht sommersprossigen Haut etwas überzogen. Das schmale Gesicht wurde von einer dezent nach oben driftenden Nase geprägt und ihren Kopf zierte ein gerade geschnittener, brünett-rötlicher Bob mit Seitenscheitel. Beide Ohren waren mit mehreren Steckern und Kreolen vollgepflastert. Darüber hinaus trug sie neben dem rechten Auge ein auffälliges Teardrop-Piercing sowie einen kleinen Ring in ihrem linken Nasenflügel. Sie war ziemlich groß und ausgesprochen schlank. Ihren zierlichen, aber dennoch recht knackigen Hintern betonte eine hautenge schwarze Jeans, die in hellbeigen Wildlederstiefeletten mit gefährlich hohen, spitzen Absätzen mündete, was ihre ohnehin schon endlos scheinenden Beine noch ein Stück länger wirken ließ. Ein kurzer, blassgelber Rollkragenpulli, der, als wolle sie dem winterlichen Wetter damit trotzen, einen schmalen Streifen nackter Haut über dem weißen, nietenbesetzten Gürtel an ihrem Hosenbund hervorblitzen ließ, vollendete ihre insgesamt äußerst attraktive Erscheinung. Zumindest rein figürlich hätte sie gut und gern als Mannequin durchgehen können. Dennoch verkörperte sie einen Typ Frau, den Treblow nicht sonderlich mochte. „Also, die, die Sa-Sache ist folgende“, begann sie stotternd. „Es geht um meine, meine Freu-Freundin oder besser gesagt meine Kollegin. Eigentlich waren wir für gestern Abend verabredet.“
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