„Nebukadneza. Entschuldigt die späte Störung. Ich habe Euch doch von meinem Vorhaben berichtet, jeder Auserwählten des Königs einen Personenschutz zur Seite zu stellen. Nun, das ist der Rekrut, den ich für Euch auserwählt habe.“ Nein. Jeden, bloß ihn nicht. „Darf ich vorstellen, das ist Nebukadneza. Der Rekrut Aurelion ist Euch ja bereits bekannt.“ Ja leider.
Ich nicke leicht. Der Arkadier tritt vor. Diesmal ist sein Blick von höflicher Bestimmtheit. Wahrscheinlich wartet er, bis der Hauptmann gegangen ist, bevor er mich wieder mit seinen Zügen verspottet.
„Der Rekrut wird Euch nicht aus den Augen lassen“, aus dem Munde des Hauptmanns holt mich dann aus meinen Gedanken.
„Wie darf ich das verstehen?“, hinterfrage ich seine Worte.
„Nun, er wird über Euch wachen. Tag und Nacht.“ Er wird hier schlafen ? Das kann er vergessen.
„Nichts liegt mir ferner, als Eure Befehle infrage zu stellen Hauptmann, doch erlaubt mir folgenden Einwand: Meine Tür wird von zwei Soldaten bewacht. Die Eingangshalle zu den Gemächern ebenfalls. Dieser Teil der Akademie ist bereits wie eine Festung. Ich bin sicher, Eure Rekruten werden an anderer Stelle dringender gebraucht.“
„Nun, die anderen Auserwählten hatten keine Einwände. Sie haben es mehr als begrüßt, nun beschützt zu sein. Gerade von Euch hätte ich dies ebenso erwartet, den Übergriff auf Louisa und den heutigen Angriff auf Euch im Hinterkopf habend.“
Die Bilder tauchen wieder vor meinem geistigen Auge auf. Ich habe sichtlich damit zu kämpfen, sie wieder zu verdrängen.
„Mir ist der Anschlag auf Louisa durchaus bewusst, Hauptmann“, hauche ich gepresst. Immerhin war ich es, die ihren Körper hinterher berühren musste, da sie unter Schock stand und nicht befragt werden konnte. Ich habe nicht erkannt, um wen es sich bei dem Attentäter handelte, aber er hat sie übel zugerichtet. Er wurde bei seinem Angriff gestört und konnte flüchten.
Der Hauptmann scheint langsam zu bemerken, wie unpassend seine Aussage war. „Verzeiht. Ich wollte Euch nicht vor den Kopf stoßen. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet. Ach ja, der Rekrut wurde über Eure ‚ Gabe ‘ in Kenntnis gesetzt. Ihr müsst sie nicht verbergen.“ Dabei schwenkt der Blick des Hauptmanns zu der Box des Königs.
Im nächsten Augenblick ist er bereits zur Tür raus und lässt mich mit dem Soldaten allein. Wunderbar.
Wie bereits vermutet, ist der Arkadier wieder dazu übergegangen, belustigt auszusehen. Dabei blickt er sich neugierig in meinem Zimmer um.
Er stößt sogar einen Pfeiflaut aus. „Das nenne ich einmal ein Prunkzimmer. Wenn das die Armen auf der Straße sehen könnten, würden sie sicher hier einfallen. Jetzt weiß ich, warum die Wachen draußen stehen.“ Sollte das ein persönlicher Angriff auf mich sein? Ich weiß nicht einmal, was ich darauf erwidern soll, also drehe ich mich einfach um und setze mich wieder an die Kommode.
Ich will gerade nach dem ersten Gegenstand greifen, da ertönt ein dumpfer Laut. Er hat sich doch tatsächlich auf mein Bett fallengelassen. So, jetzt reichts.
„Was tust du da?“, will ich wissen.
Mit hinter seinem Kopf verschränkten Armen liegt er bequem auf meinem Kissen und sieht entspannt aus.
„Ich mache es mir gemütlich“, prustet er selbstverständlich.
„Hast du kein Benehmen? Steig sofort aus meinem Bett“, fordere ich.
Er scheint mich zu ignorieren, zieht mein Seidennachtkleid hinter dem Kissen hervor und betrachtet es amüsiert. „Uhhh, was haben wir denn hier?“
Wütend stapfe ich auf ihn zu und entreiße es ihm.
„Ziehst du das nachher an?“, will er wissen.
Ich bin erneut dazu übergegangen, ihn einfach zu ignorieren und setze mich wieder – mit hochrotem Kopf. Erneut will ich nach der Brosche greifen, doch werde wieder unterbrochen.
„Wieso bekomme ich die prüdeste aller Auserwählten“, beschwert er sich lautstark. Wie bitte? „Oder zierst du dich nur, um mich zappeln zu lassen.“ Was zum … „Bei der Musterung warst du nicht so zurückhaltend.“ Was fällt ihm ein.
Mit offenem Mund fixiere ich ihn durch den Spiegel hindurch.
„Du solltest dein Mieder lockern – würde dir guttun“, rät er mir. „Natürlich bin ich dir gerne dabei behilflich. Leg dich zu mir. Ich verspreche dir, davon wird niemand erfahren.“ Aurelion streckt sogar die Hand aus und will mich damit in meinem eigenen Bett willkommen heißen. Toll. Wieso bekomme ich den Soldaten mit den fehlenden Manieren?
Erbost stehe ich auf, schnappe mir meine Box und verlasse den Raum. Er wagt es tatsächlich, so mit mir zu sprechen. Ist das zu fassen. Als ob ich mich so einem Primaten hingeben würde. Sein Kopf würde rollen, bevor er die nächste Frechheit ausstoßen könnte.
Ich schimpfe in Gedanken vor mich hin, da ist er mir bereits dicht auf den Fersen.
„Warte, wo willst du hin?“, ruft er mir hinterher. Weg von dir.
„In die Bibliothek. Dort herrscht Sprechverbot“, informiere ich ihn.
„Willst du mir damit etwas sagen?“, fragt er doch tatsächlich.
Ich stoppe und erkläre: „Hör zu. Ich habe zu tun, also könntest du aufhören, mich andauernd zu unterbrechen.“
„Wobei denn, beim in den Spiegel Sehen?“ Das sagt er so abschätzig, dass ich einen Schritt zurücktrete und weitergehe. Für wie oberflächlich hält er mich eigentlich?
„Was hast du denn? Lag ich etwa falsch oder erträgst du die Wahrheit nicht?“, mutmaßt er. Das ist ja die Höhe.
„Ich weiß nicht, was du vorhast, Aurelion, aber es wird nicht funktionieren, also gibs auf“, rate ich ihm.
Wir betreten die Bibliothek, da meint er überheblich: „Das wollen wir ja mal sehen.“
Ich lächle und zähle innerlich von drei rückwärts. Im nächsten Moment brüllt der Bibliothekar: „Hier herrscht absolute Stille, Rekrut . Soll ich es dir buchstabieren?“
„Nein Sir“, stößt er aus und salutiert. Der Bibliothekar ist sogar ranghöher als ein Rekrut im ersten Semester. Die Erkenntnis erheitert mich durchaus.
An meinem Platz angekommen, habe ich immer noch ein Lächeln auf den Lippen.
„Lachst du mich etwa aus?“, will Aurelion flüsternd wissen.
Ich schüttle den Kopf und wechsle den Stuhl, als er mir gegenüber Platz genommen hat. Er folgt mir natürlich.
Das Spiel mit dem Platzwechsel geht einige Male vonstatten, bis er genervt den Kopf schüttelt und sich in einiger Entfernung auf einen Stuhl niederlässt.
Da er mich immer noch im Blickfeld hat, wende ich ihm den Rücken zu. Endlich herrscht Stille. Dass ich das noch erleben darf.
Erschöpft öffne ich die Box und wickle die Brosche aus dem roten Samttuch. Ich konzentriere mich auf die Frage, wem sie ursprünglich gehörte, da fluten bereits die ersten Bilder meinen Geist.
Epoche für Epoche gehe ich in der Zeit zurück und gelange so an den ursprünglichen Besitzer, eine ältere Dame, die das Schmuckstück an ihrer Bluse trägt.
Ich suche nach Anhaltspunkten ihres Namens und werde bei einem Brief, der sich vor ihr auf einem Schreibtisch befindet, fündig.
Als ich die Augen öffne, blicke ich in dunkelblaue Ozeane. Wunderbar, er ist mein ganz persönlicher Alptraum – wie bereits vermutet.
„Was tust du da?“, will er flüsternd wissen.
Ich kann ihm nicht antworten, denn ich skizziere bereits das Gesicht der Frau auf ein Stück Pergament. Wenn ich das nicht schnell mache, vergesse ich wichtige Details. Dafür setze ich mich wieder an einen anderen Tisch. Er folgt mir natürlich und sieht mir dabei zu.
„Wer ist die alte Frau? Deine Großmutter? Oder etwa deine Mutter? Wie alt bist du überhaupt? Dreißig?“ Was? Dreißig? Der Mann treibt mich noch in den schier sicheren Wahnsinn. Wieso teilt mir der Hauptmann diesen ungehobelten Arkadier zu? Will er mich damit etwa quälen?
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