Marie Lu Pera
Mrs. Jones and me
Verborgene Gefahr
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Inhaltsverzeichnis
Titel Marie Lu Pera Mrs. Jones and me Verborgene Gefahr Dieses ebook wurde erstellt bei
Evolution
Nahkampf
Schwindelgefühl
Verlockung
Drohgebärden
Angriff
Selbsterhaltungstrieb
Gerüchteküche
Kontrollverlust
Panik
Konfrontation
Verführung
Supergau
Impressum neobooks
Okay, … vielleicht hätte ich die Schuhe mit den hohen Hacken doch nicht anziehen sollen. Nach all den Jahren würde man doch meinen, man beherrsche den aufrechten Gang. Doch mit den Absätzen fängt man wieder bei null an. Zurück an den Start. Und das Beste ist, man tut sich das freiwillig an. Getrieben von dem immerwährenden Bedürfnis perfekt zu sein.
Ein Drang nach Superlativen – die längsten Beine, der knackigste Po, der flachste Bauch, die vollsten Brüste, die makelloseste Haut, die schönsten Haare. Sieht man genauer hin, so erkennt man die hohen Pumps, die einen künstlich verlängern und in denen sich Blasenpflaster und Anti-Rutsch-Matten guten Tag sagen.
Lässt man den Blick an glatten Beinen, die durch drastische Rodung letzter haariger Überbleibsel der Eiszeit befreit wurden, höher schweifen, kommt man in Gefilde an denen ebenfalls kein Haar gelassen wurde. Nicht zu vergessen die Bauch-weg-Po-her-Unterhose, die die letzten unerwünschten Speckpölsterchen, die von nächtlichen Schoko-Exzessen herrühren, bedingungslos abschnürt beziehungsweise fehlende Rundungen geschickt kompensiert. Dicht gefolgt vom Push-up-BH mit stinkenden Glibber-Pads.
Als Hingucker – eine Maske aus allem, was die Kosmetik-Industrie der Neuzeit so im Repertoire hat. Gekrönt von Haarspray verklebten Strähnen, mit denen man sich lieber keinem offenen Feuer nähern sollte. Nicht zu vergessen das strahlend weiße Lächeln direkt aus der Bleaching-Zahnpasta Tube.
Als abrundendes Accessoire – die Louis-Vuitton Tasche vom Straßenhändler um die Ecke, der jegliche Plagiatsverdächtigungen gekonnt abweist – ganz sicher hat er einen exklusiven Händlervertrag, der ihn berechtigt, die Produkte auf einem Campingtisch in der Fußgängerzone direkt neben den öffentlichen Toiletten zu verkaufen.
Et voilà – die perfekte Illusion. Und das Schlimmste kommt erst noch – mit den Tricks arbeiten alle.
Fakt ist, eigentlich ist es wie in Darwins-Lehre – wer sich nicht anpasst, hat schlechte Karten – Evolution halt. Obwohl ich schon so das Gefühl habe, einige Homo sapiens unter uns entwickeln sich nicht mehr weiter – hm Grundsatzdiskussion.
Ich könnte jetzt sagen, dass ich nicht zu dieser Gattung Weibchen gehöre, die das „Frauen-von-Stepford-Nacheifer-Syndrom“ in sich tragen. Ich könnte behaupten, ich sei anders … eine weitere Illusion, die ich mir erschaffe, die Suggestion, dass ich Kontrolle über diesen Part meines Ichs hätte.
Meine Hypothese ist, dass irgendwo in unserem Unterbewusstsein ein Programm abläuft, das uns zu so einem wie zuvor beschriebenen Wahnsinn treibt. Dies alles nur mit dem einen Ziel – potenzielle Nebenbuhlerinnen auszuschalten und das beste Männchen zu ergattern. Dies ist unser innerster Antrieb. Das würden wir natürlich nie offen zugeben. Zu hart erkämpft sind alle Emanzipations-Errungenschaften.
Dies ist er – der kleinste gemeinsame Nenner, der uns zu gewissen Gräueltaten treibt.
Ich spreche von jeder geschlagenen Schlacht am Wühltisch, um das letzte reduzierte Top zu ergattern, das uns sowieso viel zu klein ist, nur um triumphierend davon zu schreiten.
Es geht um jedes geheuchelte Schlankheits-Kompliment an eine vermeintliche Freundin, die eigentlich schrecklich zugenommen hat.
Jedes Wetteifern am Fitness-Studio Inquisitions-Folter-Gerät, das uns in der Umkleide vor Seitenstechen fast umkommen lässt – aber das man uns während des Wettrennens um die höchste Tretfrequenz niemals angesehen hätte.
Jenes instinktive Verhalten, das uns phantasievolle Gruselgeschichten über eine „Kollegin“ erfinden lässt, die gerade mal eben zur Toilette ist und wir somit auch noch das letzte buhlende Männchen erfolgreich in die Flucht schlagen, das es wagt, sie anstatt uns zu umwerben. Ja es geht um Abgründe, die sich auftun, wenn man das komplexe Wesen einer Frau erforscht.
Manche könnten nun vollen Spottes annehmen, dass wir weiblichen Geschöpfe recht einfach gestrickt zu sein scheinen – doch weit gefehlt, denn es ist diese tiefgründige innere Dissonanz, mit der wir immerfort mit uns selbst kämpfen. Ein resonantes Gefühlschaos, das in Impulsen solch schöpferisch zerstörender Kraft mündet wie sie charakteristisch für eine Evolution sind.
Scheiße… wo bin ich … sag nicht … NEEEIIIN … wie kann es auch anders sein – jetzt hab ich doch tatsächlich meine Haltestelle verpasst. Hans-guck-in-die-Luft par excellence sag ich nur. Memo an mich selbst: Ich sollte nicht so viel in Gedanken faseln, wenn ich in Öffis sitze. Das bin ja mal wieder typisch ICH.
Es sollte extra Sitze für Tagträumer geben, die automatisch an ihrer Endhaltestelle mittels Schleudersitz rausgeworfen werden – hm eine neue Geschäftsidee. Schnell raus hier. Okay … wo bin ich?
Darf ich vorstellen: fehlender Orientierungssinn – ein Gehirnareal, das bei mir zugegebenermaßen leicht verkümmert ist. Was natürlich durch meine Fähigkeit des Halteplan-Lesens locker kompensiert wird. Wo bin ich jetzt genau und was sind das für Striche und Farben – ach drauf geschissen – ich fahr einfach mit meinem mitgeschleppten Rad drauf los. Norden dürfte dort sein, wie war das noch mal … im Osten geht die Sonne auf – irgendwo ist sie nie zu sehen – wobei ich seh ja die Sonne von überall.
Ha … das wär ja gelacht – ich bin schließlich im Großstadtdschungel aufgewachsen. Also hier kommt mir mal nichts bekannt vor. Jetzt nur keine Panik – okay, einige Millisekunden später setzt doch Panik ein – Hilfe.
Natürlich ist wieder mal niemand in Sicht, den ich nach dem Weg fragen könnte – ja … richtig gehört – im Gegensatz zu den Herren der Schöpfung ist Nach-dem-Weg-Fragen tatsächlich eine Option für mich. Meine Hypothese ist, dass mit dem Akt des Nach-dem-Weg-Fragens ein Zeichen von Schwäche einhergeht und dies somit für unsere Vertreter des ach so starken Geschlechts ein krasser Gegensatz zu ihrem mühevoll aufgebauten Image wäre.
Wir Vertreter des schwachen Geschlechts haben damit allerdings kein Problem, da wir ja von unserem Prinzen aus einer Notsituation gerettet werden wollen. Oh… ich fasle schon wieder.
Ah da ist ein kleines Café, da sind sicher Vertreter der Gattung Mann, die mir den rechten Weg weisen können, zu finden.
Kurzer Check, ob es gefahrlos betreten werden kann. Gedankliche Checkliste: Punkt eins: optische Erscheinung – okay, vielleicht etwas antiquiert jedoch nicht heruntergekommen. Punkt zwei: Verhältnis weibliche/männliche Individuen : kein Missverhältnis durch das Schaufenster erkennbar. Punkt drei: Schokotorten-Portfolio: Hm … aus dieser Entfernung nicht erkennbar. Okay zugegebenermaßen gibt es einen Zielkonflikt zwischen Punkt drei und dem Traumgewicht-Erreichungsprojekt – aber was soll ich sagen – man muss eben Prioritäten setzen. Resümee: Tragbares Risiko.
Perfekt – es gibt sogar einen passenden Masten, wo ich mein Fahrrad anketten kann.
Kurzer Check, ob alle Potenziell-peinlich-wenn-exponiert-Stellen mit Textilfasern bedeckt sind, Brust raus, Bauch rein und schon kanns losgehen.
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