Nun schließt sich die Türe endgültig hinter ihr.
Fawkes starrt ihr nach und überlegt, ob er einen Geist gesehen hat, aber die Kugel in seiner Hand und das wilde Hufklappern, das von draußen an sein Ohr dringt, sind äußerst real und Geister pflegen gewöhnlich nicht zu reiten. Eine Pferdeverrückte, die von den Banditen nichts erkannt hat, sich aber mit einem Blick das Aussehen der Pferde verinnerlicht hat. Wahrscheinlich sind ihr Tiere bessere Freunde, als Menschen.
Zwei Tage nach diesem Vorfall beobachtet David Widefield, der Vormann der Willow-Tree-Ranch, einen Reiter, der in einem wahren Höllentempo über die Nordweide der Ranch fegt. Das hat niemals etwas Gutes zu bedeuten, denn wer es so eilig hat, der hat was auf dem Kerbholz oder etwas zu verbergen.
Der Vormann, der einen Zaun auf der Weide kontrolliert hat und gerade im Begriff ist, zur Ranch zurückzukehren, setzt sofort hinter dem unbekannten Reiter her und brüllt: „Stopp!“, doch der Fremde galoppiert in unvermindertem Tempo weiter. Der Vormann glaubt zu Recht, einen Viehdieb vor sich zu haben oder noch schlimmer, einen der Postkutschenräuber. Er zieht seinen Colt und gibt einen Warnschuss in die Luft ab.
Erst jetzt reagiert der Reiter. Er zügelt sein Pferd und erhebt langsam die Hände, doch er macht keine Anstalten, sich umzuwenden.
David Widefield kommt heran geritten und pariert sein Pferd neben dem des Fremden. Dann fragt er in scharfem Ton: „Was wollen Sie hier? Und wer sind Sie überhaupt?“
Anstelle einer Antwort schiebt der Fremde nur den Stetson ins Genick, dabei fällt dem Vormann auf, dass die Hand sehr klein und zierlich ist. Endlich wendet der Unbekannte seinen Kopf und blickt den Cowboy mit unbewegtem Gesicht, aber aus eiskalten Augen finster an.
Der Mann wird blass vor Erstaunen. Das hübsche Kindergesicht wird von langen, feuerroten Haaren umrahmt, die unter dem herab rutschenden Stetson hervorquellen. Die großen Augen des Mädchens verschwinden fast in dem dichten Pony, doch der Zug um ihren Mund ist hart und verbittert.
Entsetzt stammelt der Mann, den sonst so leicht nichts aus der Ruhe zu bringen vermag: „Mein Gott, Sie, Sie sind ja gar kein Mann.“
Jetzt spielt ein spöttischer Zug um Ihre Lippen, denn die junge Dame ist sich sehr wohl bewusst, dass sie in der Männerkleidung und ohne Damensattel die Unschicklichkeit in Person ist. Es ist absolut unfein und es gehört sich für ein junges Mädchen einfach nicht, wie ein Mann zu reiten. Sie merkt, dass der Mann vor ihr genau mit diesem Gedanken beschäftigt ist. Eigentlich wäre jetzt eine flapsige Bemerkung fällig, aber im Angesicht der immer noch drohend auf sie gerichteten Waffe spart sie sich diese und begnügt sich damit, ihn weiterhin mit funkelnden, blitzenden Augen böse anzustarren.
Der Cowboy knurrt, um sein Erstaunen und seine Verlegenheit in den Hintergrund zu drängen, einen Ton schärfer, als er dies üblicherweise tut: „Wenn Sie mir schon nicht sagen wollen, wer Sie sind und was Sie hier wollen, so werden Sie vielleicht meinem Boss Rede und Antwort stehen, immerhin befinden Sie sich auf seinem Grund und Boden.
Aber zuerst muss ich Sie ersuchen, mir wenigstens Ihren Colt und Ihr Gewehr zu geben. Sie könnten sonst auf dumme Gedanken kommen.“
Mit wütendem Gesichtsausdruck zieht das Girl sein Gewehr aus seiner Halterung am Sattel und wirft es dem Cowboy zu. Der fängt es geschickt auf und sagt dann mit seiner wiedergefundenen Ruhe: „Und bitte auch alle anderen Waffen, wenn es möglich ist.“
Daraufhin zieht sie ein Messer unter ihrem Hemd hervor und gibt es dem mittlerweile ganz nahe herangekommenen Mann unter unverständlichem Gegrummel. Dieser ergreift es und zieht ihr mit der anderen Hand mit einer fast entschuldigenden Geste den Colt aus dem Patronengürtel.
Die ganze Zeit sind ihre Augen auf ihn gerichtet. Da ist kein Flattern der Augenlider oder ein Ausweichen des Blickes zu erkennen.
„Eine kleine Lady und dann bis an die Zähne bewaffnet“, knurrt der Mann und verstaut ihre Waffen. Sie zeigt keine Spur eines schlechten Gewissens.
Der Vormann ist es nicht gewohnt, dass auf seine Anweisungen keine Reaktion erfolgt. Er runzelt unwillig die Stirn, doch seitens der jungen Frau ist keinerlei Emotion zu bemerken. Widefield raunzt die Reiterin an: „Ich glaube, Sie haben nicht die geringste Absicht, mir eine meiner Fragen zu beantworten. Aber der Rancher, dem dieses Gebiet hier gehört, der wird Sie schon zum Reden bringen. Sie werden ja wohl wissen, dass Sie sich hier auf der Willow-Tree-Ranch befinden.“
Sie zieht nur die Augenbrauen hoch und macht ein Gesicht, als wolle sie sagen: ‚Pah, na und? Willow-Tree ist doch nicht der Mond, imponiert mir also gar nicht.’
Nun blickt er sie etwas spöttisch an: „Aber, vielleicht werden Sie auch mit Mister Carpenter nicht reden, ja vielleicht können Sie armes Ding gar nicht sprechen, möglicherweise sind Sie auf den Mund gefallen.“
Er blickt auf den Colt, den er ihr aus dem Holster gezogen hat. Eine schwere Waffe, aber eine sehr schöne Arbeit, mit einem Griff aus Perlmutt und den eingravierten, wunderschön geschwungenen Initialen C.B.
„Nun, jetzt weiß ich wenigstens, dass Ihr Vorname mit C und Ihr Nachname mit B beginnt, das heißt, natürlich nur, wenn das Ihre Waffe ist und Sie sie nicht irgendwo gemaust haben.“
„Sie sind doch ein...“, platzt das Girl heraus, doch sie fängt sich sofort wieder, beißt sich auf die Lippen und ihre großen Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen.
„Na also, reden können Sie ja doch, nicht nur brummen, so etwas Ähnliches habe ich mir schon fast gedacht.“
,Diese Ironie, diese verdammte Ironie. Der Kerl bringt mich auf die Palme! Und ausgerechnet so ein Mistkerl sieht so unverschämt gut aus. Verdammt, zum Glück ist er viel zu alt.‘ Das Mädchen ist stinksauer, besonders da ihr der Mann wirklich gefällt. Groß, breite Schultern, schwarze Haare, markantes Gesicht, dunkle Augen, wie es aussieht eine tolle, muskulöse Figur, pfui Spinne aber auch!
Schweigend reiten sie zur Ranch. Die Pferde sind in einen gemächlichen Trott gefallen und die beiden Reiter treiben sie in der trockenen Hitze nicht unnötig an.
Der Vormann betrachtet das junge Ding neben sich genau. Sie ist sehr hübsch. Die Jeans, der Stetson, der Colt und eine Winchester passen eigentlich nicht zu ihrem schmalen, fein geschnittenen Gesicht mit den großen, klug blickenden Augen, die eine ungeheure Erfahrung ahnen lassen. Aber gerade dieser unmögliche Aufzug verleiht dem Kind etwas geheimnisvolles, irgendwie anziehendes, ganz so, als hätte sie ein großes, schlimmes Geheimnis zu verbergen.
Ihre Haare haben eine wundervolle rote Farbe, die in der Sonne glänzt, als wäre die Frisur mit flüssigem Gold überzogen. Der Mann kann nicht ahnen, wie viel Kummer in diesen roten Haaren steckt. Rotfuchs, Hexe und andere nicht gerade liebevolle Schmeicheleien haben ihre Spielkameraden ihr oft nachgerufen. Sogar eine Hexenverbrennung hatten die Kinder einmal an ihr ausprobieren wollen.
Anerkennend muss der Cowboy feststellen, dass das Mädchen großartig reitet, sie verschmilzt mit ihrem Pferd nahezu zu einer Einheit, bei einem Mann würde man sagen, ein Naturbursche, aber weibliche Wesen sind dafür wirklich nicht geschaffen.
Ihrem Gesicht ist anzusehen, dass sie sich weder auf das Pferd noch auf die Umgebung konzentriert, sondern dass sie sehr intensiv nachdenkt. Der Cowboy ist auf der Hut, damit sie nicht auf die Idee kommt, plötzlich die Flucht zu ergreifen. Durch seine von seiner Mutter weitergegebene indianische Abstammung hat er einen sehr wachen Instinkt für menschliche Verhaltensweisen in Krisensituationen und er riecht förmlich, dass das Mädchen nur an eine baldige Flucht denkt.
Nachdenklich blickt er wieder auf die Haare des Mädchens und auf einmal fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Die rothaarige Unbekannte, die als Heldin durch Ebony Town geistert. Es kann da gar keinen Zweifel geben, so rote Haare kann es nicht zweimal kurz hintereinander bei verschiedenen Personen geben. Die Beschreibung passt genau. Das ihm das nicht direkt aufgefallen ist. David ist wie vom Blitz getroffen, aber er lässt sich seine Aufregung nicht anmerken. Das ist ja wirklich eine kleine Sensation.
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