Der Mann schnaubt abfällig, dann brummt er: „Aber deswegen bin ich nicht hier, mein Freund, das hat andere Gründe.“ Er holt Luft und fährt fort: „Leider muss das Peitschenrennen in diesem Jahr wohl ausfallen. Jimmy hat sich beim Kälberbrennen am Bein verletzt und kann dummerweise im Moment nicht reiten. Und Du weißt, ohne Jimmy bin ich gegen Dich so chancenlos, wie ein Mann ohne Pferd.“ Er lacht und zeigt dabei große, gelbe Zähne.
‚Auch kein besonders sympathischer Zweitgenosse’, denkt Carol, laut aber fragt sie höflich, nachdem sie sich aus Davids Armen befreit hat: „Was ist denn ein Peitschenrennen? Davon habe ich noch nie etwas gehört.“
Der Mann mit dem breiten Grinsen schaut sie an, zieht die linke Augenbraue hoch und schnarrt arrogant: „Man kann ja auch nicht alles kennen. Wer sind Sie überhaupt? Und wie laufen Sie rum? Das gehört sich für eine Frau nicht.“ Sein Blick streift ihre Hose und brennt sich an Carols Holster fest, in den sie wenige Augenblicke zuvor ihre Waffe geschoben hat, nachdem einer der Cowboys sie ihr gereicht hat.
Nicht minder hochnäsig schnippt Carol zurück: „Blake, Miss Carol Blake, Cowboy auf der Willow-Tree-Ranch in Ebony Town, Wyoming.“
Der Mann prustet los: „Cowboy, was sich heute schon alles Cowboy nennen darf.“
Er lacht lauthals. Carols Temperament kocht schon wieder über, denn ihr Blutdruck ist noch nicht in den Normalbereich zurückgekehrt. Der Indianer fasst sie beruhigend am Arm, damit sie nicht mit den Fingernägeln auf den Sprecher losgeht und sofort hat sie sich auch schon wieder unter Kontrolle, kann sich aber einen kleinen verbalen Seitenhieb doch nicht verkneifen. „Jedenfalls habe ich mich beim Kälberbrennen noch nie verletzt, Mister ...“
„Oh sorry“, lacht der noch immer, „aber ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Howards mein Name. Peter Howards, mir gehört die Nachbarranch.“
Er wendet sich an Rambo: „Kann die wirklich Kälberbrennen?“
Der Angesprochene zuckt mit den Schultern. Er ist ungeduldig und möchte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Man merkt ihm an, dass er seine beiden Delinquenten endlich hängen sehen will. Immer wieder schaut er zu den beiden blassen, verängstigten Männern hinüber.
An seiner Stelle antwortet der Indian: „Miss Blake kann sehr gut Kälberbrennen. Was ihr an Kraft vielleicht fehlen mag, macht sie durch Können und Geschicklichkeit wieder wett. Sie ist einer der besten Cowboys, die mir jemals begegnet sind. Und sie ist so gut, dass sie sich in diesem Leben bestimmt nicht beim Kälberbrennen verletzen würde, weder verbrennen noch in sonst einer Art.“
Er macht eine kurze Sprechpause und fährt dann, Carol mit einem kurzen Blick streifend, fort: „Ein Peitschenrennen ist eine ziemlich unfaire Angelegenheit, Mister Howard, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Man versucht mit allen möglichen, natürlich auch miesen Tricks, seinen Gegner aus dem Rennen zu schlagen. Ist das nicht so?“
Howards schmunzelt belustigt. „Wenn Sie das so sehen, Mister. Wir sehen das anders. Es ist ein höchst spannender und amüsanter Wettkampf, bei dem der Bessere gewinnt.“
Carol, die gut zugehört hat, schüttelt zweifelnd ihren hübschen Kopf. „Oder der, der die mieseren Tricks auf Lager hat.“
„Am wichtigsten ist überhaupt, das Rennen zu überstehen!“, knurrt Rambo ungeduldig, wirft wieder einen Blick auf seine gefesselten Männer und meint dann beiläufig: „Aber da in diesem Jahr kein Rennen stattfindet, habe ich es kampflos gewonnen.“
Nachdenklich blickt der Indianer erst Howards, dann Rambo an und dann zu den gefesselten, auf ihre Hinrichtung wartenden, vor Angst schon fast besinnungslosen Männern hinüber, um danach fast entschuldigend zu Carol zu schauen.
Er hat da so eine Idee, eine vage nur, aber es könnte klappen, wenn ihn sein Indianerinstinkt nicht im Stich lässt.
Ohne noch weiter nachzudenken, knurrt er: „Das Rennen fällt nicht aus. - Mister Howards, ich werde für Sie reiten, wenn Sie nichts dagegen haben.“
Carol stöhnt auf und tippt sich vielsagend an die Stirn. „Jetzt bist Du vollkommen übergeschnappt, Boss! Was soll ich als Deine letzten Worte an Mr. Carpenter ausrichten?“
Widefield ignoriert den Einwurf seines Cowgirls und dreht sich zu Rambo um. „Wenn ich gewinne, Mister Rambo, bekommen die beiden Männer“, er weist auf Jake und Mike, die noch immer die Köpfe in den Schlingen haben und sich kaum zu bewegen wagen, „eine faire Gerichtsverhandlung und außerdem ...“, David holt tief Luft, „...und außerdem darf ihre Frau gehen und zwar mit dem Jungen!“
Regina tut dem gradlinigen, sehr gerecht denkenden Mann unendlich leid. Was muss diese gebildete, sensible Frau unter dem selbstherrlichen Tyrannen gelitten haben.
„Wenn ich nicht gewinne...“, fährt er fort, wird aber sofort von Rambo unterbrochen.
„Das ist uninteressant, dann stelle ich sowieso die Bedingungen, außerdem ist ein Sieg ihrerseits sowieso nicht zu erwarten. – Okay! Wir kämpfen also gegeneinander.“
Rambo schaut David aus seinen kalten Augen an, wendet sich ab, geht ein paar Schritte, bleibt stehen und dreht sich nochmals zu Widefield um. „Aber ganz egal, wie das Rennen ausgeht, Mann, mein Angebot bleibt weiterhin bestehen. Egal, ob Sie gewinnen, oder ob ich gewinne. Ich schätze Sie und hätte Sie gerne als meinen Partner. – und wenn ich es recht überlege, könnte das Ihr Einsatz sein!“ Seine Stimme hat einen eindringlichen Tonfall angenommen und er blickt den Willow-Tree Vormann durchdringend an, doch dieser schüttelt erneut den Kopf.
„Und es bleibt bei meinem No, Sir! Ich liebe Wyoming!“
Rambo ist ganz bestimmt kein Typ, der ein ‚Nein’ so ohne weiteres akzeptiert, deshalb ist er entsprechend wütend und geht ziemlich übermotiviert in das Rennen.
Mike und Jake werden wieder an Händen und Füßen gefesselt in den Stall gesperrt, dann kann das Rennen beginnen.
Die Beteiligten und ihre gespannten Zuschauer begeben sich zur Hausweide, wohin einer von Rambos Cowboys bereits die Pferde der beiden Kontrahenten gebracht hat. Die Zuschauer klettern auf das Gatter, um eine bessere Übersicht über das ganze Geschehen zu bekommen.
So ein Peitschenrennen ist eine aufregende und leider auch mörderisch gefährliche Angelegenheit. So mancher Cowboy hat sich dabei schon lebensbedrohlich verletzt und es hat sogar schon etliche Todesfälle gegeben, was Carol allerdings gottlob weder weiß, noch ahnt. Sie kann es sich allerdings lebhaft vorstellen, dass es wohl noch nie vorgekommen ist, dass einer der Beteiligten unverletzt oder ohne starke Blessuren aus der Sache hervorgegangen ist.
Das Mädchen hat sich etwas abseits von den anderen Zuschauern an den Holzzaun gestellt und verfolgt mit bangem Herzen die letzten Vorbereitungen, die auf der Weide für das Spektakel getroffen werden. Gerne hätte sie ihrem Boss Silky gegeben, denn für dieses temperamentvolle Tier wäre es ein Klacks, gegen Rambos Gaul anzukommen, doch der Indianer würde auf dem Hengst nicht weit kommen, denn der Schwarze lässt keinen anderen Reiter als seine Herrin aufsitzen. Ausnahmefälle sind höchstens Verwundete, die sein Mensch ihm aufnötigt.
Das Rennen beginnt. Beide Gegner sind ungemein gute Reiter und sich ziemlich ebenbürtig. Sie versuchen sich mit allen Mitteln, das Leben so schwer wie nur irgendwie möglich zu machen und werfen sich die gemeinsten Stolpersteine in den Weg.
Carol staunt immer mehr, was für fiese Methoden ihr Chef anwendet und welch miesen Tricks er auf Lager hat. Niemals hätte sie diesem ruhigen, besonnenen Mann solche Aktionen zugetraut. Sie beschließt, bei Gelegenheit ein ernstes Wort mit dem Mann zu wechseln. Andererseits, der Zweck heiligt noch immer die Mittel und wenn er gewinnt, egal wie unfair auch immer, rettet er zwei Männer vor der Lynchjustiz eines selbsternannten, unbarmherzigen Richters und er macht eine Frau und deren Kind glücklich.
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