1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 „Wir werden diesem Halunken keine Wahl lassen“, meinte Ed eines Tages. „Wir sind beide tüchtig, gewissenhaft und auch einigermaßen seriös. Keiner von uns wird auf die Straße gesetzt. Abgemacht.“
Detaillierte Absprachen folgten, wurden genauestens eingehalten. Jeder schien folglich unersetzbar, keiner konnte gemisst werden. Schließlich blieben beide, hatten eine gute Zeit. Sie wurden Freunde.
Der Chef setzte sich bereits nach wenigen Wochen in die Schweiz ab. Einzige Kommunikationsquelle, das Telefon. Albert Sauer sollte die Produktion übernehmen, Eduard Behring die Betriebsleitung.
Der schlaue Firmenchef hatte einen äußerst lukrativen Nebenjob, und eine bezaubernde Freundin im Nachbarland. Beides schien ihm sowohl auf sexueller, wie finanzieller Ebene sichtlich reizvoller, als seine eigene Fabrik. Vor allem reizvoller als sein angetrautes Eheweib. Um den Hausfrieden einigermaßen zu gewährleisten, die zänkische Gattin notdürftig zu beschwichtigen, sollte das Unternehmen weiterlaufen. Sein persönliches Interesse lag jenseits der Grenze. So galt es für Eduard schon nach kürzester Zeit wesentliche Dinge selbst zu entscheiden, und dies tat er auch nach bestem Wissen und Gewissen.
Gasthof zum goldenen Bock.
Gretel, die Wirtstochter, war ein dralles, sehr reizvolles Mädchen. Mit überschäumender Lebhaftigkeit und einem Permanentlachen infizierte sie jedermann. Griesgrame und deren Gedanken verscheuchte sie wie lästige Fliegen. Mutter beherrschte das Kochen mit Perfektion. Sie regierte in ihrem Reich als unumstrittene Herrscherin, tagaus, tagein. Der Vater hingegen verstand es trefflich, seinen Weinkeller mit köstlichen Rebensäften verschiedener Regionen Italiens und der Schweiz, Frankreichs und dem romantischen Elsass zu füllen - und diese dann häufig und ebenso reichlich zu testen. Glasige Augen und ein hochroter Kopf verrieten die Gewissenhaftigkeit seiner Kontrollen. In solchen Momenten musste Gretel eingreifen. Mit Schwung bugsierte sie Vater Koller Richtung Stammtisch, wo er wohl besser aufgehoben war, als hinter der Theke.
Eduard gefiel das Dirndl. In ihrer Gesellschaft war gute Laune vorprogrammiert. Ausgedehnte Spaziergänge folgten mit schwatzen und liebäugeln.
„Was sammelst du denn da für Gemüse “, belustigte sich Eduard anfangs, wenn sie sich nach jedem zweiten Schritt bückte, um irgendein Pflänzchen in ihren Beutel zu stecken.
„Heilkräuter und Gewürzstauden. Daraus braue ich wirksame Arzneien, die manchmal rascher anschlagen als die Pillen und Säfte unseres dicklichen Doktors. Das habe ich von Großmutter gelernt.“ Sie strahlte Eduard an, war richtig stolz auf ihr Wissen.
„Weißt du Eduard“, fügte sie mit schelmischer Ernsthaftigkeit hinzu, „unser lieber Doktor leistet nämlich lieber seinen Kumpeln in der Gaststube Gesellschaft, als seinen Kranken. Gottlob sind unsere Leute ein gesunder Menschenschlag, denen in den meisten Fällen schon die herrliche Luft als Medizin reicht.“ Ihr herzliches Lachen überzeugte Eduard.
Dennoch: Das eindeutig größere Interesse der lustigen Gretel an ihm war kaum zu übersehen. Schimmernde Brombeeräuglein. Immer enger kuschelte sie, streichelte seinen Arm, halste ihn, und drückte ihm in den letzten Tagen sogar öfter einen Kuss auf die Wange.
Eduard war blind und taub für ihre Annäherungsversuche. In seinem Kopf kreiste immer noch die Erinnerung an die seltsame Begegnung am Bahnhof in Innsbruck. Einige Male war er in die Hauptstadt gefahren, und stundenlang am Bahnhof herumgestanden.
„Na, kommt sie heut wieder nicht?“ Der Bahnhofvorstand kannte ihn bereits, hatte Mitleid mit dem unglücklichen Burschen.
„Wirst es schon noch lernen, Bürscherl. Auf die Weiber ist eben kein Verlass. Such dir einfach eine andere. Kann doch nicht so schwer sein, für so einen feschen Kerl, wie du einer bist.“
Ed beobachtete Züge die aus Wien kamen, oder dort hin fuhren. Beharrlich löcherte er die einzelnen Waggons, ohne eine Spur seiner Angebeteten zu finden. Schwarzhaarig, wie er sie vor sich sah, träumte er von einer Italienerin oder Spanierin. Nachts wälzte er sich mit leidenschaftlichen Phantasien in seinem üppigen Federbett, hoffte, das Schicksal möge gnädig sein, ihm diesen Engel noch einmal über den Weg schicken.
Nach Wochen vergeblichen Träumens gab Eduard dem Drängen seiner Bewunderin eines Abends nach. Gretel verführte ihn buchstäblich.
Reichlich unromantisch , dachte er lapidar.
„Das war die himmlischste Nacht meines Lebens“, flötete Gretel völlig aus dem Häuschen. Eduard reagierte seine Sehnsüchte nach einem Phantom mit diesen Liebesspielen sachlich ab. Schließlich beunruhigte ihn die Erwartung, die er in ihren und ebenso in den Augen der Anderen las.
„Ihr seid aber ein verdammt hübsches Paar. Sakrament noch einmal, das wird eine Hochzeit geben!“ So die Stammgäste. Ein vertrautes Klopfen auf die Schulter und das wohlgefällige, fast schon familiäre Getue der Eltern alarmierte ihn noch mehr.
Kurz entschlossen kündigte er im Gasthof, bezog nahe der Fabrik ein gemütliches Zimmer. Die Zusammenkünfte wurden seltener. Die Verbindung lockerte sich, sehr zum Missfallen der Eltern, die bereits die Hochzeitsglocken blank putzten.
„Da staunst du aber Eduard. He Kumpel, was sagst du zu diesen Luxusgefährten?“ Strahlend präsentierte Albert eines Tages zwei Lohnerroller. Wilde Spritzfahrten und ausgelassenen Blödheiten folgten.
Ein Überholmanöver. Eduard stürzte. Zwei Rippenbrüche, eine große Platzwunde am Kopf, tiefe Schürfwunden. Fazit: Krankenhaus.
„Also ihre Damenbesuche werden mir langsam unheimlich“, lachte der behandelnde Arzt. „Man könnte richtig neidisch werden. Wie machen sie das nur?“ Süße Köstlichkeiten türmten sich auf Eduards Nachttisch. Seine treuen Lehrlinge und Gesellinnen gaben sich die Klinke in die Hand.
Nach endlosen Tagen trostlosen Herumliegens hatte Ed einen erlösenden Einfall. Albert musste herhalten.
„Heute Nacht legst du dich ins Krankenbett. Ich muss endlich wieder einmal Luftschöpfen.“
„Na wenn das nur gut geht. Aber ich hab was gut bei dir.“
„Einverstanden! Bist ein echter Freund, aber jetzt mach schon. Morgen früh ist der Spuk zu Ende.“
Es wurde eine lange, feuchtfröhliche Nacht im schwarzen Bock. Gretel wurde wieder einmal geliebt und war überglücklich. In den Morgenstunden kehrte der Ausreißer reichlich beschwerlich über den Balkon zurück, Albert verschwand auf dem gleichen Weg.
Am Abend seiner offiziellen Spitalsentlassung besoffen sich die beiden Burschen nach Herzenslust, hüpften anschließend splitternackt in den Löschteich, der unmittelbar hinter dem Fabrikgelände angelegt war.
„Hast du dort droben vergessen auf mich…“. Lauthals brüllten sie vereint das Wolgalied in den Nachthimmel. Anzeigen wegen nächtlicher Ruhestörung liefen bei der Polizei ein. Die Schuldigen konnten nicht eruiert werden.
Es war ein Tag mit Regen und Herbststürmen. Der Wind fraß die welken Blätter von den Zweigen. Heftig rüttelte er an den mächtigen Bäumen, die vor fast hundert Jahren als kleine Setzlinge in den Boden gesteckt worden waren. Wirbelnd trieb er das Blattwerk der Rotbuchen vor sich her, wehte es in rotierenden Spiralen an den Wänden empor, ließ es dann sanft wieder auf den Boden gleiten. Ein purpurner Teppich gaukelte ihnen in mitten der beklemmenden Steinmauern die Illusion eines Märchens aus tausend und einer Nacht vor.
Und dann, eines Tages war die glückliche Zeit mit einem Schlag vorüber. Freund Albert war völlig ausgeflippt. Nächtens drang er, nach waghalsigen Klettertouren über Balkons und Dachsimse in die Schlafstuben der Mädchen ein, die im Fabrikgebäude ihre Unterkünfte hatten. Dümmliches Gekicher und Gejohle weckten die gestrenge Chefin. Aus Mangel an zärtlichen Zuwendungen hatte sie meist miese Laune. Mit Taschenlampe und Gezeter stürmte sie in die Kemenate der kreischenden Gören.
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