1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 »Hi, Claudia. Schön dich zu sehen.« Griet wischte die Hände am Küchentuch ab. »Kaffee?« Ohne eine Antwort abzuwarten, füllte sie einen Becher und stellte ihn auf den Tisch. »Schwarz, nicht.« Sie deutete mit einer Rundbewegung um den Tisch. Claudia trank zwar auch Kaffee im Büro, doch seit sie hier lebte, wurde sie damit zugeschüttet. Überall wo sie hinkam, stand binnen Kurzem eine Tasse mit dem dunklen Gebräu auf dem Tisch. Die Frage nach Tee oder einem anderen Getränk erübrigte sich von selbst. Wahrscheinlich lag das an der Schmugglervergangenheit der älteren Einwohner. Solange der Schlagbaum Europa trennte, so lange wurde hier Kaffee geschmuggelt. Leider nahm das Schengener Abkommen dieses Vergnügen.
Griet war ebenso groß wie ihr Lebensgefährte Paul, jedoch zarter gebaut. Sie trug halblanges dunkelblondes Haar über einem hübschen Gesicht, aus dem graue Augen strahlten. Paul war um die Vierzig und Griet um die dreißig. Beide bildeten ein attraktives, wenn nicht schönes Paar und ergänzten sich prächtig. Anfangs begegnet Claudia Griet mit Misstrauen. In ihrer Vorstellung lief damals etwas zwischen Kurt und der Nachbarin. Bis sie Paul kennenlernte. Heute kam sie zum ersten Mal allein und aus freiem Antrieb zu den beiden.
»Du kommst nicht so einfach zu uns rüber?«, fragte Griet auch gleich, als ob ihr jemand ein Stichwort gegeben hatte. »Wenn ja, dann freuen wir uns.«
»Du hast recht. Ich möchte, dass du dir etwas ansiehst.« Claudia erzählte über den Fall, den sie gerade bearbeitete.
»Wir haben davon gehört. Eine tragische Geschichte«, sagte Paul. »Wie können wir dir helfen?«
»Hier.« Claudia legte die Münze aus der Couchritze auf den Tisch. Jetzt kam sie sich blöd vor. Genauso gut hätte sie die Kriminaltechnik einschalten können.
»Auf den ersten Blick würde ich sagen, dass sie echt ist. In dieser Stärke habe ich die Dinger noch nicht gesehen.« Griet drehte und untersuchte das Geldstück von allen Seiten. »Dies ist eine keltische Münze und besteht aus Potin, eine Bronzelegierung. Weißt du, wo der Fundort liegt?«, fragte sie.
Claudia erzählte die Geschichte und kam darauf zu sprechen, wie das Haus vor ihren Augen implodierte.
Griet und Paul reagierten seltsam. Erschrecken, nein, pures Entsetzen trat auf ihre Gesichter. Claudia hatte solche Reaktionen bei Vernehmungen erlebt. Wenn bei Beschuldigten die Erkenntnis darüber kam, was sie getan hatten und das Ergebnis nicht fassen konnten. Schnell fanden sie zum normalen Verhalten zurück und tauschten einen Blick, der ihr nicht entging.
»Ich muss dir etwas sagen.« Griets Augen sahen nachdenklich in die Ferne. Claudia beobachtete ihre Nachbarin aus der Distanz der Ermittlerin. Urplötzlich belastete Misstrauen die Unterhaltung. »Vor einiger Zeit habe ich den Inhalt eines keltischen Grabes nicht ganz legal an mich gebracht. Das lag dort hinten in der Heide.« Griet wies vage in Richtung Waldsaums. »Damit begann eine Geschichte, die ich nicht noch einmal erleben möchte. Ich denke Paul auch nicht. Wir haben uns damals kennen und lieben gelernt. Immer noch bin ich der Ansicht, dass in der Heide weitere Keltenschätze lagern. Ich habe eine Übereinkunft mit eurer Regierung, in den nächsten Jahren keine Expeditionen in das Gebiet zu unternehmen. Das hängt mit vielen Dingen zusammen. Es gab Ereignisse, die ein normaler Menschenverstand nicht erklären kann. Mit deiner Information zu dem Haus in der Fliegerhorstsiedlung kommt alles wieder hoch. Paul und ich haben den Zwischenfall darüber ausgeblendet. Ich weiß nicht, ob ein Zusammenhang zu unseren damaligen Erlebnissen besteht. Es ist möglich, dass dieses Geldstück dort gefunden wurde. Ich müsste die andere Münze sehen und natürlich einige Untersuchungen machen.«
»Mir ist aufgefallen, dass ihr bei bestimmten Themen einsilbig wurdet. Ich denke Kurt ist mit von der Partie.« Claudia entspannte sich.
»Mach‹ ihm keinen Vorwurf. Paul und ich haben ihn darum gebeten. Wir wollten dir die Geschichte bei passender Gelegenheit selbst erzählen.«
»Nein, nein. Um Gottes willen. Wir haben uns in der Zeit, die wir uns jetzt kennen, so wenig gesehen, dass wir keine Gelegenheit hatten, uns ausgiebig über uns zu unterhalten. Wie gesagt … ich spürte, dass da etwas war. Anfangs dachte ich zwischen dir und Kurt läuft was, aber da kannte ich Paul noch nicht.«
»Deshalb warst du so zurückhaltend.« Griet lachte belustigt. »Normal müsste ich jetzt die deutschen Behörden unterrichten. Wenn du möchtest, warten wir noch etwas.« Griet van Houten lehrte als Privatdozentin in Den Haag Anthropologie. Sie hatte es nicht so mit der Bürokratie, die ihr immer wieder Steine in den Weg legte.
»Es wäre nett, wenn du noch wartest. Ich möchte einige Recherchen anstellen und denke, du brauchst auch etwas Zeit.«
»Richtig. Besorge mir noch die zweite Münze, dann kann ich einen Vergleich oder Zusammenhang herstellen. Um noch einmal auf unsere Reaktion von vorhin zurückzukommen.« Griet rang mit sich. »Es geschehen Dinge, die nicht mit normalen Maßstäben zu messen sind. Ich habe es angedeutet. Du sprachst von einer Implosion. Dieses Gebiet wurde von den Kelten besiedelt. Die Möglichkeit, dass unter uns Gänge und Höhlen laufen, ist groß. Dass die Ursache bei deinem Gebäude darin liegt, schließe ich aus. Hier wird es einen anderen Grund geben. Lassen wir das im Moment. Wie geht es dir?« Sie musterte Claudia eindringlich.
»Im Großen und Ganzen gut. Nachts werde ich manchmal schweißgebadet wach, wahrscheinlich habe ich dann geträumt, weiß es aber nicht mehr. Kurt nimmt mich in den Arm und schon geht es wieder.«
»Mute dir nicht zu viel zu.« Paul sah sie besorgt an. »Du könntest einige Kilo vertragen.«
»Hör‹ auf mich zu bemuttern. Die Arbeit tut mir gut. Sie lenkt ab.«
»Dann lassen wir das.« Paul lächelte. »Du bist von hier? Kurt deutete letztens etwas an.«
»Ja. Wenn ich meinen Eltern glauben darf. Bis Mitte achtzig haben wir hier gelebt. Mein Vater ist aus dem Dorf und meine Mutter aus Heinsberg. Was Genaues weiß ich jedoch nicht, weil ich mich nie dafür interessierte. Vielleicht sollte ich mich darum kümmern.«
»Was macht dein Vater?«
»Biochemie. Früher bei Bayer, heute ist er selbstständig. Eine kleine Firma. Ich glaub‹ so fünfundzwanzig Beschäftigte.«
»Dann bist zur Kripo? War das nichts für dich?«
»Nein. Hat mich nie interessiert. Ich wollte schon immer zur Polizei.« Claudia sah sich zum ersten Mal bewusst in der Wohnung der beiden um. Sie lebten ganz anders. Während bei Kurt immer alles aufgeräumt war, herrschte hier kontrolliertes Durcheinander. Auf der Küchenarbeitsplatte stand noch das Frühstücksgeschirr. Hier und da hing Kleidung über einer Stuhllehne. Ein Notebook stand auf dem Tisch, an dem sie gerade saßen und der Desktop PC stand in der Ecke zum Wohnzimmer unter einem kleinen Tisch. Der Monitor darauf zeigte ein Windows Hintergrundbild. Gemütlich, dachte sie. Wenn sie da an ihre alte Wohnung dachte … Zurzeit herrschte Ordnung. Nicht ganz. Die Klamotten vorhin, hatte sie einfach in die Ecke geworfen. Vielleicht fand sie eine Möglichkeit, Kurt ebenfalls zu einem kontrollierten Durcheinander zu erziehen.
»Wir waren froh, als Kurt dich anschleppte«, bemerkte Griet.
»Wieso Kurt? Wenn ich mich erinnere, hab‹ ich ihn mir unter den Nagel gerissen.« Sie grinste hingerissen. »Der Arme hatte im Grunde genommen keine Chance.«
»Du hast recht.« Paul stimmte zu. »Zuerst hielten wir dich für eine Glücksritterin. Aber das musste Kurt selbst wissen.«
»Deshalb vorhin die Erkundigungen nach meinen Eltern?«
»Klar«, gab Paul gut gelaunt zurück. »Nein. Mich interessiert dein Hintergrund wirklich. Es hat nichts mit Kurt zu tun. Außerdem kennen wir uns jetzt auch.«
»Wenn ihr etwas wissen wollt, fragt einfach. Ich bin nie sehr gesellig. Zuerst fraß der Job meine Zeit und nachher kam ich nicht mehr heraus. Heute frage ich mich warum. Mir gefällt es, mit euch und den Leuten im Dorf. Einfach was erzählen, ohne groß nachzudenken, welch intellektueller Hintergrund gefragt ist.« Claudia staunte über das, was sie sagte. Dazu bestand keinerlei Anlass.
Читать дальше