Claudia saß entspannt und dachte nicht daran zu reagieren. Die Frau wollte etwas von ihr, weil sie ansonsten nicht vor ihr säße.
Kurt versuchte das Schweigen zu unterbrechen, doch Claudia legte ihre Hand auf die seine und streichelte ihn leicht, wie abwesend.
Raissas grinste anerkennend. »Ich bin am Zug«, stellte sie fest. »Gut. Die beiden Toten arbeiteten als Agenten einer Institution unseres Landes, zu der Sie nichts Näheres wissen müssen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich auch nichts darüber. Sie mussten aus Gründen, worüber ich nichts weiß, abtauchen und fanden in Deutschland das, was sie suchten. Hier wurden sie umgebracht. Der letzte Fall, an dem sie arbeiteten, stand im Zusammenhang mit dem Handel von Daten. Sie sagen jetzt, dass Datenhandel ein alltägliches Übel ist. Ich stimme Ihnen zu, solange es um die Erfassung von Kaufverhalten und Ähnlichem geht. Allerdings geht es in diesem Zusammenhang um sensiblere Daten wie die Namen von Soldaten, die in Krisengebieten eingesetzt sind oder die inneren Strukturen von Geheimoperationen.« Während sie sprach, lagen ihre Augen ruhig auf Claudia.
»Warum stellen Sie Ihre Computersysteme nicht um?« Kurt warf die Frage dazwischen.
»Wenn es so einfach wäre. Wir sprechen hier nicht über einen Hackerangriff. Es sind gewissenslose Geschäftsleute an der Arbeit, die in vielen kleinen Aktionen die Daten an Land ziehen und zu einem Komplex zusammensetzen, der ihnen dann die gewünschten Informationen gibt. Sie befinden sich hier auf einem Spekulationsmarkt.«
»So wie Schweinebäuche?« Kurt unterbrach wieder.
»Genau. Wie Eddie Murphy und die Schweinebäuche. Es geht banal um Geld und nichts anderes. Keine nationalen oder internationalen Verschwörer. Einfach Geld. Wir laufen in Gefahr, dass die Daten in falsche Hände geraten und darüber Personen und nicht nur amerikanische Staatsbürger in Lebensgefahr geraten. Grace und Peter Abels sind zwei von fünf Agenten, die bei den Recherchen ihr Leben ließen.«
»Unter diesen Umständen ist es für uns begrüßenswert, wenn wir aus den Ermittlungen heraus sind«, stellte Claudia lapidar fest.
»An ihrer Stelle würde ich das auch sagen. So einfach ist die Situation nicht. Ihre Vorgesetzten, ihre Regierung und meine Leute werden Sie ins offene Messer laufen lassen. In Kenntnis aller Aspekte werden Sie aufgefordert, Ihre Ermittlungen durchzuführen, ohne dass Ihnen reiner Wein eingeschenkt wird.«
»Was veranlasst Sie, mich zu warnen?«
»Gute Frage. Schwere Antwort. Unser Rechtssystem ist besch … eiden. Zuviel Willkür, zu viele Eitelkeiten. Im Grunde gilt das einzelne Lebewesen nichts. Ich habe zu lange im Ausland und hauptsächlich in Deutschland gelebt, als dass mir starke nationale Gefühle die Sicht auf das Wesentliche versperren. Mein Entschluss Sie heute zu besuchen, ist eine adhoc Entscheidung, und wurde nicht geplant. Ich begegnete heute Morgen Ihrem Lebensgefährten Kurt. Keine geplante Aktion. Ich wusste sofort, wer er war und ihn Ihnen zugeordnet. Ich bin bereit, Sie in jeder Hinsicht zu unterstützen, natürlich nicht offiziell.«
Claudia schwieg lange. Die Gedanken kreisten und wogen ab. Es war nicht so, dass sie die Ausführungen von Raissa Stone abtat. Sie wusste nicht, worin das Motiv lag, sie zu warnen. Aus irgendeinem Grunde vertraute sie der Frau. Maßlos ärgerten sie, Kurts Stielaugen, die über den Busen des Gastes strichen. Dabei hatte sie selbst wahrlich genug für einen Mann. Männer … immer auf der Jagd. Das zahlte sie ihm heim.
»Gut.« Claudia riss sich zusammen und drückte den Anflug von Eifersucht zur Seite. »Eine endgültige Zusage hängt davon ab, wie meine Dienststelle und die übergeordneten Dienstherren reagieren. Sollte es nur andeutungsweise in die von Ihnen angedeutete Richtung gehen, machen wir gemeinsame Sache.«
»Nein. Da rede ich auch ein Wort mit.« Kurt trat aufgeregt an den Tisch. Sein Blutdruck schoss unvermittelt in die Höhe. »Du wirst dich nicht wieder in Gefahr begeben?« Die Angst um sie stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Ich hab‹ keinen Bock, mich wieder deinetwegen zu ängstigen.«
»Das ist mein Job. Ich bin nicht mehr in Gefahr, als bei jedem anderen Fall.«
»Ich will es aber nicht.«
Claudia wuselte ihm, wie so oft, durch die Haare. »Kinder die was wollen, bekommen eins auf die Bollen. Nimm dich zusammen. Mit Frau Stones Unterstützung haben wir alles im Griff. Was muss ich noch wissen?«, sie wandte sich der Amerikanerin zu. Kurts Fürsorge tat ihr gut. Fast war sie geneigt, die begehrlichen Blicke auf den Busen der Amerikanerin zu tolerieren. Nein … dafür bekam er eine Packung.
»Ich besuche morgen offiziell Ihre Dienststelle und weise mich als Beobachterin der amerikanischen Regierung aus. Wir kennen uns nicht. Danach wird Ihr Staatsanwalt Sie davon unterrichten, dass Sie die Ermittlungen weiter leiten. Wenn Sie wollen, mache ich Ihnen einen Termin auf der Base. Dazu ist jedoch zu sagen, dass außer einem Kaffee oder Tee nichts herauskommen wird.«
»O. k., wenn weiter nichts ist, möchte ich Feierabend machen.« Claudia erhob sich. Sie hatte keine Lust mehr und wollte Ruhe haben.
»Ich bin gleich weg.« Raissa Stone stand auf und zog ihre Uniformjacke an. »Reiten Sie morgen wieder?«, fragte sie Kurt. »In den frühen Nachmittagsstunden bin ich wieder an dem Platz, an dem wir uns heute getroffen haben.«
»Einen Moment.« Claudia hielt die Amerikanerin auf. »Sie haben davon gehört, dass das Haus in dem Abels lebte, zusammengefallen ist?«
»Wann?« Stone sah sie mit undurchdringlicher Miene an.
»Vor ein paar Stunden. Das müssen Sie doch mitbekommen haben.«
»Ich habe die Feuerwehr gesehen, jedoch keinen Zusammenhang hergestellt. Ich kümmere mich darum.« Sie nickte kurz und ging zur Ausgangstüre. Claudia begleitete sie.
»Du wirst morgen nicht reiten«, fauchte Claudia, als sie zurückkam.
»Wie sie befehlen, Gnädigste.« Kurt nahm sie in den Arm.
»Eine richtige Kuh. Hängt die dicken Titten in die Gegend. So etwas gehört verboten. Und du Idiot starrst die ganze Zeit darauf. Ich dachte schon, du bekommst einen Krampf in die Augen.«
»Reg dich ab. Sie ist eine schöne Frau.«
»Sag‹ das noch einmal und ich kratz‹ dir die Augen aus.«
»Stell‹ dich nicht blöd an. Du bist auch eine schöne Frau und brauchst keine Komplexe zu bekommen. Und das Beste ist … du gehörst zu mir.« Bevor Claudia etwas sagen konnte, warf er sie kurzerhand über die Schulter und stolperte die Treppe hinauf ins Badezimmer.
*
»Du hast um zehn Uhr einen Termin beim Staatsanwalt.« Maria empfing Claudia schon in der Tür.
»Wenn der etwas von mir will, soll er hierhin kommen«, antwortete Claudia missmutig.
»Heute schlecht aufgestanden?«
»Nein. Ich war sehr gut gelaunt. Du hast nichts damit zu tun. Aber echt … wenn der was von mir will, dann nur hier. Wo ist Heinz?«
»Der beruhigt den Polizeipräsidenten. Der will dich nämlich auch sprechen.«
»Super. Dann hole ich mir eine Tasse Kaffee.«
»Wie bist du denn drauf. Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?«
»Schlimmer. Warten wir den heutigen Tag ab … dann sprechen wir darüber.«
»Oh, geheimnisvoll. Gib mir einen Tipp.« Maria hatte sich aufgetakelt. Wahrscheinlich frönte sie wieder ihren Kaufrausch. Zwei- bis dreimal im Jahr machte sie Bekleidungsgeschäfte unsicher. Immer dann, wenn es ihr besonders gut oder schlecht ging. War sie ganz am Boden, kaufte sie Schuhe.
»Wart‹ es ab«, antwortete Claudia. In diesem Augenblick klopfte es kurz an der Tür und der Polizeipräsident trat ein. Im Gefolge der Staatsanwalt, Heinz und Raissa. Maria sprang dienstbeflissen auf, während Claudia unbeeindruckt an ihrem Kaffeebecher nippte.
»Frau Plum«, der Staatsanwalt stand gewichtig vor ihrem Schreibtisch.
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