»Hier stimmt jede Menge nicht«, meinte Maria. »Ich sprach gestern mit Armin. Er sorgte sich, weil im LKA die Drähte zu unserem Fall heiß liefen. Die Toten haben eine groß angelegte Ermittlung der amerikanischen Bundesbehörden in Gang gesetzt.«
»Wie gesagt. Wir sprechen später darüber und nicht hier.« Claudia schloss das Thema und verließ den Raum.
»Was ist denn mit der los?«, fragte Heinz.
»Da braut sich was zusammen. Irgendein heißes Ding. So habe ich Claudia noch nie erlebt.«
»Was hat denn dein Heini vom LKA genau gesagt?«
»Der Heini heißt Armin«, Maria zog die stark betonten Augenbrauen hoch, »und deutete die Schwierigkeiten lediglich an. Dabei schien er in großer Sorge. Irgendwer muss in Düsseldorf mächtig herumwirbeln. Wie immer ... unter großer Geheimhaltung. Das kennen wir … es dringt meist etwas nach draußen.«
»Und das auf meine alten Tage. Ich brauch das nicht mehr.« Heinz schob fahrig die Akten über den Tisch. »Ob ich mal Fabian anrufe?«
»Untersteh‹ dich. Claudia verpasst dir einen Einlauf, dass du nie mehr von der Toilette kommst.«
*
Claudia drehte vor dem Polizeipräsidium auf dem Parkplatz ihre Runden, die Schultern eingezogen und den Kopf gesenkt. Der Wind wehte kühl und sie trug keine Jacke. Ein Königreich für eine Zigarette. Sie war nie abhängig von den Glimmstängeln, doch ab und zu … Wütend auf die Welt, brabbelte sie sinnlose Worte. Abrupt blieb sie stehen und guckte zum Eingang. Stone kam heraus. Sie schüttelte leicht den Kopf.
Claudia riss sich zusammen und nahm den Lauf wieder auf. Kaum setzte Raissa den Fuß auf die erste Stufe, um hinabzugehen, rauschte eine schwere dunkle Limousine heran und sie stieg ein. Verspiegelte Scheiben. Claudia erkannte nicht, ob außer dem Fahrer jemand im Innenraum saß. Ein BD-Kennzeichen mit einer Neun beginnend. Bundesinnenministerium, wenn ihre Erinnerung nicht trog.
Was wurde hier gespielt? Eine Bundesbehörde? Konnte sie der Amerikanerin trauen, die gestern am frühen Abend so sympathisch rüber kam? Alles trat so ein, wie sie es voraussagte. Wo geriet sie hinein? Claudia nahm das Smartphone und drückte Marias Kurzwahltaste. Sie ging kein Risiko ein. Das Team wurde in der Vergangenheit schon einmal abgehört. Litt sie unter Verfolgungswahn? Nein, sicher nicht.
»Ich bin’s«, sagte sie kurz. »Bitte keine Namen. Wir treffen uns um vierzehn Uhr bei mir.« Sie unterstellte Kurt, dass er die Gelegenheit, zum Ausritt mit Raissa, nutzte, und sei es, um sie zu provozieren. Sie nutzten in der jüngeren Vergangenheit die Wohnung ihres Lebensgefährten, häufiger zu konspirativen Sitzungen. Im Präsidium herrschte in den letzten Wochen ein derartiges Durcheinander, dass die kurzzeitige Verlegung der Tätigkeit an einen anderen Ort, nicht auffiel. Die Führungsriege durchlief vor einigen Wochen eine Erneuerung. Die Beteiligten warteten auf ihren Prozess in einem Korruptionsskandal. Langsam schlenderte sie ins Büro zurück.
*
Im Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen tagten in einem abhörsicheren Raum vier nicht mehr ganz junge Männer in dunklen Anzügen. Unter anderem die Abteilung Verfassungsschutz und ein hoher Beamter aus Berlin. Sie waren so geheim, dass sie ihre Idenditäten tarnten. Da saß deutsche Geschichte ..., Helden und Götter: Siegfried, Hagen, Gunnar und Odin. Wenn die Angelegenheit nicht so ernst wäre, bot sie Stoff für eine Komödie. Wer letztendlich für die heutige Veranstaltung zuständig zeichnete, lag noch im Dunkel. Vielleicht würde der Urheber im Verlaufe der Konferenz bekannt werden. Deutsche Beamte fragten nicht.
»Die Amerikaner wildern auf unserem Gebiet«, stellte Odin fest.
»Dafür sitzen wir zusammen«, murrte Siegfried.
»Ich hatte heute Abend etwas anderes vor. Mein Enkel hat Geburtstag. Jetzt liegt er sowieso im Bett. Ich hole morgen nach, was ich heute versäume«, lächelte Hagen müde.
»Lasst uns zum Kern der Angelegenheit kommen«, forderte Odin, der Beamte aus Berlin. Er kam aus der Hauptstadt, deshalb stand ihm der Name der germanischen Gottheit zu. »Ich hatte heute Nachmittag einen Termin mit dem Minister. Ein Gespräch mit heiklem Charakter. Aus NATO Kreisen bekamen wir einen Hinweis darauf, dass im tiefsten Westen unserer Republik zwei amerikanische Agenten umgebracht wurden. Wichtige Daten, den Afghanistankonflikt und andere Brandherde tangierend, wurden gestohlen. Die Angelegenheit ist heikel, weil, nach bisherigen Erkenntnissen, keiner Regierung oder einem Geheimdienst, der Diebstahl zuzuordnen ist. Die geheimen Drähte laufen heiß, ohne einen Hinweis zu liefern. Alles deutet im Moment auf ein reines Spekulationsgeschäft mit Menschen, mit Soldaten und deren Familien.
Die getöteten Agenten arbeiteten verdeckt. Die amerikanische Regierung befürchtet Vergeltungsschläge, wie sie in jüngster Vergangenheit Europa überrollen. Sie haben Angst, dass eine Serie über den großen Teich schwappt. Die Außenministerin der USA sprach mit unserer Kanzlerin und vereinbarte, dass wir die Amerikaner aus der Schusslinie nehmen. Damit ziehen wir die Aufmerksamkeit auf uns. Ich weiß …«, er wehrte den Ansatz eines Einwandes ab. »Wir bringen unsere eigenen Leute nicht in Gefahr. Solange sie bei ihren Mordermittlungen bleiben, wird ihnen nichts geschehen. Wir geben die Richtung vor. Den brisanten Hintergrund verschweigen wir.«
»Ich habe die ermittelnden Beamten unter die Lupe genommen.« Siegfried, der Beamte aus Nordrhein Westfalen ergriff das Wort. »Eine junge Vorgesetzte und zwei alte Hasen. Heinz Bauer steht kurz vor dem Ruhestand und baut mächtig ab, wie mir der Polizeipräsident versicherte. Maria Römer ist immer wieder in Beziehungskrisen verstrickt. Claudia Plum leitet das Kommissariat als Hauptkommissarin. Sie ist aufgrund von Ermittlungen ihres letzten Falles angeschlagen und gesundheitlich nicht auf der Höhe. Sie lebt in einer jungen Beziehung, die sicherlich viel Zeit benötigt. Drei Beamte, die nicht ihr volles Leistungsspektrum abrufen. Der Polizeipräsident ist seit einem halben Jahr in Amt und Würden. Der Staatsanwalt seit drei Monaten. Bessere Bedingungen bieten sich uns nicht.«
»Mir gefällt der Vorgang nicht. Wir machen uns zu willfährigen Vasallen anderer Regierungen und setzen das Leben unserer Beamtinnen und Beamten aufs Spiel.« Hagen vom BND zog ein missmutiges Gesicht.
»Opfer müssen gebracht werden«, entgegnete Odin. »Außerdem ist unklar, ob tatsächlich Gefahr besteht. Hierzu bedarf es klarer Anweisungen unsererseits, um sie zu schützen.«
»Wer gibt die Anweisungen?«, fragte Gunnar, der bisher schwieg. Er war der Jüngste in der Runde und fühlte sich sichtlich unwohl.
»Wir installieren jemanden vor Ort«, sagte Odin nachdenklich.
»Ein weiterer Unsicherheitsfaktor«, warf Gunnar missmutig ein. »Zu viele besitzen Wissen oder Halbwissen. Je mehr Personen wir einweihen, umso gefährlicher wird die Lage für die Beamten. Etwas dürfen wir nicht außer Acht lassen … kein Telefon, keine Mail, kein Fax usw. Die Technik ist unsicher. Wir müssen uns auf alte Tugenden besinnen.«
»Die Maßnahme kommt mir nicht gelegen«, stellte Hagen fest. »Mir fehlt die Zeit, laufend durch die Gegend zu reisen. Wir sollten unsere Zusammenkünfte auf ein Minimum beschränken.«
»Ich stimme uneingeschränkt zu.« Siegfried nickte gewichtig.
»Den Ablauf regelt mein Bereich. Ich versuche, die Aktion in Berlin zu steuern. Einladungen erfolgen im absoluten Bedarfsfall.« Odin schaute sie nacheinander an. »Gut dann. Wir verfahren also so.«
Gunnar schwieg. Ihm ging das Verfahren gegen den Strich. Er beteiligte sich erstmals an dieser Runde. Erst vor einigen Wochen wurde ihm die Führungsposition im BKA übertragen, die er zurzeit innehatte und ihn in die Situation brachte, in Vertretung, teilnehmen zu müssen. Die Männer waren ihm namentlich bekannt und er verstand das Theater mit den Geheimnamen nicht. Ob sie wirklich dachten, durch die andere Identität von allen Fehlern und Schuld freigesprochen zu werden, sollte diese Maßnahme ans Tageslicht kommen? Eine blauäugige Betrachtungsweise. Zumindest die Art und Weise, wie das Gespräch ablief, war menschenverachtend. Er überlegte, wie er das Ermittlerteam, zumindest teilweise, beschützen konnte.
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