Er brach ab, als ihm bewusst wurde, dass er zu offen zu einem Rekruten sprach. Markus war indes schon zum Zelteingang gehastet, dicht gefolgt von Bandit. Von Gaisberg schüttelte den Kopf und schmunzelte. Markus' Eifer, seine ganze offene Art gefiel ihm.
»Der Junge muss noch verdammt viel Disziplin lernen.«
Im Stall herrschte indes das reinste Chaos. Das Pferd, das Max aufgehalten hatte, fing jedes Mal, wenn der Hüne auch nur in Richtung Stalltür ging, an zu keilen und zu wiehern, und beruhigte sich erst, wenn er wieder bei ihm war. Der Stallmeister raufte sich die Haare. Er versuchte verzweifelt, dem Pferd Herr zu werden. Als er nach der Peitsche gegriffen hatte, war die Situation eskaliert. Max hatte einfach in das pfeifende Leder gegriffen und so fest daran gezogen, dass es den Stallmeister von den Beinen geholt hatte. Er schäumte förmlich vor Wut, während die Umstehenden sich köstlich amüsierten.
»Dieser Bastard! Er soll die Peitsche schmecken!«
Als Markus mit von Gaisberg in den Stall kam, drangen bereits einige der Stallburschen mit Mistgabeln gegen Max vor und hatten ihn in eine Ecke gedrängt. Bandit knurrte, sein Schweif peitschte durch die Luft. Markus sprang zwischen Max und die Männer.
»Aufhören! Tut ihm nichts! Er weiß es doch nicht besser!«
»Ihm nichts tun? Der gehört ausgepeitscht! Ach, was sage ich, zu Tode gepeitscht! Das ist ein Nichtsnutz! Ein Drecksack! Ein …« Er verstummte, als sich eine Hand auf seine Schulter legte.
»Du weißt, der Herrgott mag keine Flüche!«
Von Gaisbergs Stimme klang sanft, aber seine Hand drückte fester zu, bis der Stallmeister wimmerte.
»Entschuldigt! Aber dieser Kerl dort …«
»… scheint von Pferden mehr zu verstehen als du!« Hauptmann von Waldows Stimme peitschte durch den Stall. »Ihr dort! Die Gabeln weg, oder ihr lernt, wie die Nachtkälte sich anfühlt, wenn ich euch durch die Regnitz jage!«
Markus sprach leise mit Max, der sich wieder beruhigte, und ging zum Hauptmann. Mit gesenkter Stimme erklärte er ihm, was vorgefallen war. Von Waldow nickte.
»Ich habe jetzt ein Problem. Dein Freund dort hat gegen die Disziplin verstoßen. Als ehemaliger Wachsoldat müsste er das wissen. Aber, um es offen zu sagen, scheint dieser Gaul dort einen Narren an ihm gefressen zu haben. Weiß der Teufel, warum.« Er sah Markus in die Augen. »Du bist für ihn verantwortlich. Also muss ich euch beide bestrafen. Verstehst du das?«
Markus senkte den Kopf. Das fing ja gut an. Nicht einmal einen halben Tag im Lager, und schon wurde er für etwas bestraft, was er nicht getan hatte. Doch dann hob er seinen Kopf wieder. Nein, er würde sich nicht brechen lassen. Max war sein Freund. Und genau wie Max jederzeit sein Leben für ihn geben würde, so würde Markus das seine für seinen Freund geben. Von Waldow lächelte.
»Das gefällt mir besser. Duckmäuser und Arschkriecher kann ich nicht gebrauchen. Also, höre meine Strafe: Du wirst die nächsten drei Wochen mit deinem Freund und diesem Vieh«, er deutete auf den Wolf, »hier im Stall schlafen. Am Morgen wirst du die Pferde füttern, dann Ausbildung bei von Gaisberg für euch beide. Nach dem Mittagessen ausmisten. Abends wirst du bei mir sein, ich werde dir einiges andere beibringen, während dein Freund Küchendienst macht. Verstanden?«
Markus nickte. Das sollte eine Strafe sein? Er verstand es nicht, bis er das Zwinkern in den Augen des Hauptmannes sah. Im Stall zu schlafen wäre für die meisten mit Sicherheit eine Strafe, auf dem harten Boden im Stroh. Auf der anderen Seite war es einer der wärmsten Plätze. Und er konnte ein Auge auf Max haben.
»Ja, Hauptmann«, nickte Markus eifrig, der Max zu sich winkte.
»Was ich mit dir anstellen soll, das weiß ich beim besten Willen nicht. Aber du bist ab sofort für dieses Pferd verantwortlich.«
Max nickte, warf sich in die Brust.
»Ja, Hauptemann! Max Freund von Pferd. Pferd mag Max.«
»Scheint so«, brummte von Waldow und fragte sich gleichzeitig, wie dieser tumbe Bursche es geschafft hatte, in die Rothenburger Stadtgarde zu kommen. Er wandte sich an den Stallmeister. »Wie mir scheint, seid Ihr mit der Pflege der Tiere überfordert. Ihr seid hier aus Bamberg?«
»Ja, Herr.«
In der Tat war der Stallmeister ein aus der Stadt angestellter Mann, da dem Regiment noch jemand fehlte, der diesen Posten übernehmen konnte.
»Ab sofort seid Ihr hier nicht mehr willkommen. Wenn die Sonne untergeht und Ihr seid noch im Lager, lasse ich Euch mit der Peitsche verjagen. Ihr habt einen Soldaten angegriffen. Im Krieg steht darauf der Tod.« Er näherte sich dem leichenblassen Mann, bis nur noch eine Hand zwischen sie passte. »Lasst Euch beim Zahlmeister auszahlen und dann macht, dass Ihr fortkommt!«
Der entlassene Stallmeister drehte sich nach einem letzten, hasserfüllten Blick auf Markus und Max um und befolgte dann widerstandslos den Befehl. Dass er wegen einem Idioten und einem halben Kind entlassen worden war, kratzte schwer an seinem Stolz. Die Stallburschen, die danebenstanden, fürchteten sich bereits, denn dass sie ungeschoren davonkommen sollten, war nicht zu erwarten. Schließlich hatten sie Max mit Mistgabeln bedrängt. Doch von Waldow schickte sie nur nach draußen mit der Warnung, dass sie beim nächsten Vergehen mit harten Strafen zu rechnen hatten.
Als nur noch Max, Markus, von Gaisberg und er im Stall waren, sah er die Gefährten lange an.
»Ich weiß nicht, warum ich das tue. Aber ihr beiden solltet euch über eines im Klaren sein: Jeder andere hätte euch draußen an einen Pfahl gebunden und die Peitsche spüren lassen. Und eine Warnung gebe ich euch mit auf den Weg: Das war das letzte Mal, dass ich euch geschützt habe. Passt euch an oder aber ihr werdet es auf die harte Art lernen!«
Damit verschwand er.
Von Gaisberg blickte ihm nach, dann sah er Markus lange an.
»Ich weiß nicht, was er in dir sieht, Junge. Aber du hast wahnsinniges Glück. Merk dir eins jedoch gut: Verlass dich nicht zu sehr auf das Glück, es ist launisch wie eine Frau und lässt dich von heute auf morgen im Stich.«
Markus nickte. Er verstand, was von Gaisberg ihm sagen wollte.
W
»Fester, Anna! Du musst viel fester ziehen!«
Anna war schon rot im Gesicht vor Anstrengung, und die Lederbänder von Agnes' Mieder hatten tiefe Striemen in ihren Handflächen hinterlassen.
»Ich kann nicht fester ziehen«, klagte das Mädchen. »Du gehst jedes Mal rückwärts!«
»Verflucht nochmal«, schimpfte Agnes, brüllte dann durch den Wagen: »WALTRAUD! Hilf mal! Du musst mich festhalten!«
Anna verdrehte genervt die Augen; Agnes erzählte in den Tagesvorstellungen den Kindern Märchen. Sobald aber die Sonne untergegangen war, wurden ihre Geschichten deutlich schlüpfriger, und in Anschluss nahm sie - wie fast alle Frauen, die den Gauklertrupp begleiteten - Männer gegen Geld mit auf ihr Lager.
Agnes zählte schon an die dreißig Sommer und ihre Figur war ausgesprochen üppig. Darum legte sie immer besonderen Wert auf ihre Erscheinung, umso mehr, wenn besondere Kunden zu erwarten waren wie am heutigen Abend die vornehmen Herren, und darum musste das Mieder so fest geschnürt sein wie irgendwie möglich.
Inzwischen war die honigblonde schlanke Waltraud herangekommen. Sie steckte noch im Unterrock und grinste breit, als sie Agnes beide Hände reichte.
»Beeilt euch ein bisschen, ich bin auch noch nicht angezogen!«
Anna seufzte tief, wickelte die Bänder des Mieders fest um ihre Hände, biss die Zähne zusammen und zog.
»FESTER!«, kommandierte Agnes sofort, die es mit Waltrauts Hilfe nun schaffte, dem Zug nicht nachzugeben. Anna unterdrückte einen deftigen Fluch und ein paar Schimpfwörter, um dann einen Fuß auf Agnes' gut gewölbtes Hinterteil zu setzen. Als sie diesmal zog, blieb Agnes buchstäblich die Luft weg und Waltraut lachte laut auf: »So ist es richtig, ihre Augen quellen schon vor!«
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