Hubert Ettl
Erkundungen in unwegsamem Gelände
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© 2020 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
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ISBN 978-3-7917-3190-2
Einbandgestaltung: Martin Veicht, Regensburg
Satz: Hubert Ettl, Viechtach
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany 2020
eISBN 978-3-7917-6191-6 (epub)
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Für Paula und Vinzent, Fanny und Alma
Wege in die Zukunft
Staunen und glauben
Erfahrungen, die hinüberweisen
Still werden
Die Auseinandersetzung suchen
Das Sinn-Tier als Ebenbild
Ein altes Bild Gottes
Die Frohbotschaft Jesu
Eine unheile Interpretation
Weder Scheiterhaufen noch Galgen
Aufbruch ins Heute
Das mechanische Weltbild
Am Scheideweg
Die Freiheit zum Overkill
Ein christlicher Aufruf
Hoffnung und Verantwortung
Neuer Mensch und neue Religion?
Fingerzeige
Urknall ohne Schöpfergeist?
Gott suchen und von Gott reden
Der Tod und danach
Beten – sich einlassen
Ach, die Kirchen!
Das Abenteuer des Glaubens
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Der Autor
„Mögen hät’ ich schon wollen, aber dürfen hab’ ich mich nicht getraut.“ Diese „Sprachpraline“ stammt von Karl Valentin (1882–1948), dem unvergessenen Münchner Volkssänger, Schauspieler, grotesken Clown und Sprachakrobaten. Mit dem Satz hatte Valentin nicht die katholische Kirche im Blick, aber seine Diagnose der Mitmenschen und seiner selbst gilt so treffend auch für meine Kirche. Endlich herauskommen aus der Krise, notwendige Reformen wagen, umfassend gesunden – mögen und wollen, ja das schon, aber wie wenig traut man sich. Und dies schon seit vielen Jahren.
Die Krise sitzt tief. Nicht nur in der katholischen Kirche, auch in der evangelischen. Von welchem Gott reden sie denn eigentlich? Schleppen sie nicht einen Ballast mit, der die Leute heute mehr abstößt als einlädt, ihre Sinnsuche und ihr Bedürfnis nach Spiritualität in den christlichen Kirchen zu leben? In der angeblich wissenschaftlich entzauberten, extrem technisierten Welt hat ein Glaube an einen jenseitigen Geist, an etwas Göttliches, an einen Gott von Haus aus einen schweren Stand. Aber wenn die Kirche festhält an Dogmen und Lehren, die in den zurückliegenden Jahrhunderten der Auseinandersetzung mit vielfältigen Meinungen einmal festgezurrt wurden, schaut es nicht gut aus für die Zukunft.
„Die Zukunft war früher auch besser“, noch ein Bonmot Karl Valentins. Ob freilich die früheren „Zukünfte“ besser waren als die heutige, möchte ich, zumindest was Religion und Glauben betrifft, bezweifeln. Die Macht der Kirche, der Kirchen war groß. Gut für die da oben, den Glauben als Gehorsamsglauben zu verkünden, den Gläubigen mit Hölle, Fegfeuer und ewigem Verderben zu drohen, die Angst vor einem strafenden Gott zu verbreiten. Ein Glaube in Freiheit war es nicht. Den Glauben als alleinseligmachenden Besitz zu verkünden, dieser Glaube der Vergangenheit hat heute keine Zukunft.
Ich muss gestehen: Wenn ich mich als Laie in die Debatte um die Zukunft des religiösen Glaubens und einer zeitgenössischen Spiritualität einmische, habe ich nicht so sehr die Kirchen im Auge, auch wenn mir ihre Zukunftsfähigkeit am Herzen liegt. In erster Linie wenden sich meine kleinen Erkundungen an die Suchenden und Gläubigen, auch an die Pfarrer und Seelsorger und Seelsorgerinnen in den Gemeinden. Sie zielen nicht auf theologisch-akademische Debatten im Elfenbeinturm. Was meine Kirche betrifft, ihr sich Nicht-trauen, bin ich oft der Resignation nahe. Eine Zuhörerin bei einer meiner Lesungen brachte ihr Verhältnis von persönlichem Glauben und Krise der Kirchen auf den Punkt: „Ich lasse mir meinen Glauben von dieser Krise nicht kaputt machen.“ Ja, das muss man wohl lernen: diesen Spagat aushalten als Element des katholischen Christseins heute.
Karl Valentin, der bald nach dem 2. Weltkrieg verarmt starb, konnte nicht ahnen, welche Zukunft sich bahnbrechen würde, eine Zukunft, welche das Überleben der Menschheit infrage stellt. Eine Situation, wie es sie bisher in der Menschheitsgeschichte nie gab. Die Menschen haben sich viel zu viel getraut. Das haben wir uns lange nicht eingestanden, und als es warnende Stimmen gab vor vierzig Jahren, hat man sie kaum ernstgenommen. Mögen hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut: Das trifft auf viele halbherzige politische und wirtschaftliche Entscheidungen und Maßnahmen zu, um der Menschheit am Scheideweg eine menschenwürdige Zukunft zu sichern. Aber das Nicht-trauen kennzeichnet auch das Bewusstsein und Handeln jedes Einzelnen von uns.
Das Christentum hat bei dieser Entwicklung kaum eine mäßigende Rolle gespielt. Manche Historiker und Gesellschaftsforscher sind sogar der Meinung, das Christentum sei der Nährboden für diesen Hochmut, diese menschliche Hybris gewesen. Die heutige Krise der Menschheit muss das Christentum ins Mark treffen: Inwieweit macht das Ebenbild Gottes, der Mensch, in seiner Freiheit der Schöpfung den Garaus?
Du Messias, dichtet Kurt Marti, der langjährige evangelische Pfarrer und einer der bedeutendsten Lyriker der Schweiz, „sollen wir die letzten / oder die vorletzten menschen gewesen sein / auf diesem planeten? // wozu dann aber / willst du noch wieder kommen? / wozu – wenn dein reich der freiheit der liebe / keine menschen vorfinden wird?“ Willst du dann ein Messias sein „der gebirge der meere der winde nur noch? / archäologe des himmels vielleicht / auf zu später suche / nach spuren / des dann erloschenen ebenbilds gottes?“ Kurt Marti (1921–2017) war ein empfindsamer Seismograph unserer Zeit, besinnlich und kämpferisch zugleich, ein Warner. Ein Christ, der seinen Glauben, seine Spiritualität immer wieder befragte vor dem Hintergrund schreiender Ungerechtigkeiten in unserer Welt des Unfriedens, der Gewalt und vor allem auch der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. In einem an das große christliche Gebet, dem „Vater unser“, angelehnten Gedicht bittet er: „und führe uns nicht / wohin wir wie blind / uns drängen / in die do-it-your-self-apokalypse / sondern erlöse uns / von fatalität und sachzwang / damit das leben / das du geschaffen / bleibe auf diesem kleinen / bisher unbegreiflich erwählten / planeten“. 1
Ob die Christen nicht nur als Einzelne, sondern in ihrer Mehrheit und vielleicht sogar als große Institutionen, also als Kirchen, dieser notwendigen Wende Antrieb und Hilfe, Denkanstoß und Licht sein können, wird sich zeigen müssen. Ich hoffe es. Aber wegen dieser Aufgabe, wegen dieser gesellschaftlichen Funktion allein werden die Wenigsten das Abenteuer des Glaubens eingehen. Für die Erhaltung der Lebensgrundlagen kann man sich auch als säkularer Humanist engagieren.
Im Kern sind es zwei andere Gründe, Erfahrungen, Motivationen, die einen bestärken, weiter oder wieder an eine geistige Kraft jenseits der materiellen Welt zu glauben. Neben den persönlichen Erfahrungen und mit ihnen verbunden ist die Gottsuche eine Sinn- und Wahrheitssuche, die einen immer wieder packt und nicht mehr loslässt.
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