»Max, unsere Freunde beschützen uns, so wie wir sie beschützen. Aber damit wir das auch können, müssen wir üben. So wie mit den Puppen.«
Das Gesicht seines Gegenübers hellte sich auf.
»Ja! Darf Max wieder Puppen hauen?«
Das hatte ihm Spaß gemacht, mit Stock, Axt und Schwert auf die Strohpuppen einzudreschen, bis nur noch Fetzen übriggeblieben waren.
»Nein Max. Heute müssen wir richtig kämpfen. Gegen Männer.«
»Welche Männer? Böse Männer?«
»Gegen unsere Freunde.«
Das verstand Max nicht. Er sah Markus mit einem Blick an, der seine ganze Verzweiflung widerspiegelte.
»Warum soll Max Freunde verhauen?«
»Du sollst sie nicht verhauen. Nicht kaputtmachen, nicht töten, nicht wehtun. Du musst ihnen nur zeigen, dass du weißt, wie du dich wehrst.«
Max starrte an die Wand des Stalls.
»Ich soll mich wehren? Tun Freunde mir weh?«
»Es kann sein, dass sie dir wehtun, damit du lernst.«
»Und ich muss Freunde wehtun?«
»Nein, das eben nicht. Du musst nur verhindern, dass sie dir wehtun.«
Max nickte.
»Gut, dann ich nur ein bisschen wehtun werde.«
»MAX!«, rief Markus. »Auch nicht ein bisschen. Es ist nur ein Spiel, verstehst du?«
Der Hüne stand auf, kratzte sich am Kopf.
»Spiel wie mit Puppen?«
»Ja, Max, wie mit den Puppen.«
»Dann gut. Wenn Markus sagt, nicht wehtun, dann Max nicht wehtun.«
»Das ging ja besser, als ich gedacht habe«, brummte Markus.
Eine Stunde später standen sie auf dem Übungsplatz. Man hatte Markus ein dick gefüttertes Wams übergezogen, das Bauch und Rücken schützte, dazu auch die Arme dick umwickelt. Auch Max wurde damit ausgestattet, dazu bekam jeder Handschuhe und einen Helm. Schließlich bekamen sie ihre Gegner zu Gesicht. Markus stöhnte auf. Wie er es geahnt hatte, musste er gegen von Gaisberg antreten. Er wusste bereits jetzt, dass er danach trotz aller Schutzmaßnahmen überall blaue Flecke haben würde, denn von Gaisberg würde ihn nicht schonen, und er hatte ihn schon kämpfen sehen - der Adlige war gut. Markus musste auf seine Schnelligkeit setzen. Als er jedoch sah, wen man für Max ausgesucht hatte, wurde ihm übel.
Ausgerechnet Fritz Astheimer war der Gegner. Ein kräftiger Kerl, groß wie ein Baum, der Max an Körperkraft in nichts nachstand. Markus hatte mittlerweile einiges über seine Kameraden in Erfahrung gebracht. Astheimer war ein Mann, der nicht viele Worte machte. Seine Waffe war ein Beidhänder, der in seinen Händen wie ein Spielzeug wirkte, wenn er ihn schwang. Die blauen Augen waren kalt wie Eis und er roch nach Tod, dachte Markus sich immer, hatte einen Heidenrespekt vor ihm. Er fasste sich ein Herz und ging zu dem Mann, der mit einem langen Stock anstelle seines Beidhänders bewaffnet war.
»Bitte, Herr, tut ihm nicht zu weh«, flüsterte er ihm zu, wofür er nur einen kalten Blick erntete.
»Wir sind hier nicht in einem Mädchenchor«, brummte Astheimer nur.
Von Waldow klatschte in die Hände.
»Also, ihr habt in den letzten Tagen die Grundzüge gelernt. Heute wird es Zeit, dass ihr wisst, wie es sich anfühlt, wenn dort keine Puppe steht, die alles mit sich machen lässt, sondern ein Mann, der sich wehren wird. Markus: Du fängst an.«
Markus nahm seine Waffe, einen etwa armlangen und genauso dicken Knüppel aus Birkenholz, und stellte sich von Gaisberg. Er machte eine Finte, zog nach links, doch der erfahrene Kämpfer hatte das geahnt, und drosch mit seinem Knüppel auf Markus' linken Arm. Trotz der Polsterung schmerzte es und Markus konnte nicht verhindern, dass ihm ein dumpfer Laut entfuhr. Die Männer, die alle zusahen, johlten. Markus änderte seine Taktik. Er fühlte sich in der dicken Schutzkleidung unwohl, konnte seine Stärke, nämlich seine Schnelligkeit und Geschicklichkeit, nicht ausspielen. Ein ums andere Mal bekam er den Knüppel zu schmecken. Nach einer halben Stunde hatte er nicht einen einzigen Treffer landen können, stattdessen tat ihm alles weh, denn von Gaisberg schlug hart zu.
Dann reichte es Markus und zerrte sich das dicke Wams herunter.
»Was zum Teufel wird das?«, fauchte von Waldow. »Soll er dir die Rippen brechen, Kerl?«
»Hauptmann, er wird mich nicht treffen!«
Von Gaisberg stutzte, dann lachte er laut auf.
»Ich werde ihm nur eine oder zwei brechen! Vielleicht noch einen Arm!«
Die Männer ringsum brachen in lautes Gelächter aus und schlossen Wetten ab, wie lange Markus im Lazarett liegen würde, wenn von Gaisberg mit ihm fertig war. Aber der Bursche ließ sich nicht beeindrucken, schwang seinen Knüppel aus dem Handgelenk und sah seinem Gegner in die Augen.
»Bereit für eine Überraschung?«, zischte er.
Und noch, bevor sein Gegner sich versah, hatte Markus ihn attackiert. Jetzt, von der störrischen und schweren Schutzkleidung befreit, war er so schnell, dass von Gaisberg ihm kaum folgen konnte. Markus wirbelte förmlich um den Mann herum, rammte ihm den Knüppel in die linke Kniekehle, so dass der erfahrene Soldat sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Blitzschnell stand Markus über ihm und deutete einen Schlag auf den Kopf an, der im Ernstfall tödlich gewesen wäre.
»Hol mich der Teufel!«, brummte der Geschlagene, während die Männer ringsum Beifall klatschten.
Markus reichte seinem Gegner die Hand und half ihm auf die Beine. Der sah ihn lange an, dann zog auch er die dicke Kleidung aus.
»So, dann wollen wir mal sehen, ob dir das ein weiteres Mal gelingt.«
Jetzt, wo beide Gegner beweglicher waren, dauerte der Kampf länger. Aber beide hielten sich bei den Schlägen zurück, das war deutlich zu erkennen. Es war mehr Respekt als Angst vor von Waldow, der sie mit Sicherheit bestrafen würde, wenn einer von ihnen ernsthafte Verletzungen davontrug. Nach weiteren zwanzig Minuten hob von Gaisberg die linke Hand.
»Ich muss zugeben, Bursche, du hast mich überrascht. Du bist schneller als alles, was ich bisher gesehen habe.« Er drehte sich zum Hauptmann. »Ich denke, er ist so weit, dass wir ihn ab morgen mit einem echten Schwert üben lassen können.«
Von Waldow nickte, diesen Eindruck hatte auch er.
»Gut. Markus, das hast du wirklich gut gemacht, ich sehe, wir müssen für dich ein leichtes Kettenhemd auftreiben. Deine Stärke ist deine Geschwindigkeit.« Er blickte zu Max. »Und nun du.«
Max, der zitternd beobachtet hatte, wie Markus ein ums andere Mal getroffen worden war und dann doch am Ende unverletzt geblieben war, stapfte in Richtung seines Gegners. Er senkte den Kopf, ging stur weiter. Astheimer nickte böse, dann nahm er seinen Knüppel und ließ ihn mit voller Kraft gegen den Arm seines Gegners krachen. Max blieb stehen, besah sich seinen Arm, dann schaute er zu Markus, der nur mit offenem Mund dastand. Astheimer konnte nicht fassen, dass sein Schlag keine stärkere Reaktion hervorgerufen hatte, und wollte ein zweites Mal zuschlagen, doch dieses Mal knallte sein Knüppel nur auf den von Max, der seinen instinktiv hochgerissen hatte.
Astheimer keuchte auf, als der Zusammenprall ihm durch Mark und Bein fuhr. Jetzt schlug Max zu, aber er traf, wie beabsichtigt, nur das Holz der Waffe seines Gegners, der dieses nicht mehr festhalten konnte. Im hohen Bogen flog der Knüppel durch die Luft.
Astheimer nahm seine Waffe wieder auf, nutzte einen Moment, in dem Max zu Markus hinüber sah, und ließ den Knüppel auf den Rücken des Gegners krachen. Markus zog unwillkürlich den Kopf ein. Er wusste, dass er unter diesem Schlag zusammengebrochen wäre wie ein gefällter Baum. Aber Max schüttelte sich nur, als hätte man ihn mit kaltem Wasser übergossen.
»Das nicht mit Freunden machen«, brummte er. »Freunde tun nicht weh dem anderen.«
Astheimer jedoch kannte keine Gnade. Erneut traf das Holz Max, dieses Mal an die Brust, sodass dem Hünen für einen Moment die Luft wegblieb. Von Waldow beobachtete das Geschehen aufmerksam. Er kannte Astheimer, wusste, dass dieser sich in einen Rausch steigern konnte, und war bereit, sofort dazwischen zu gehen, wenn der erfahrene Kämpfer die Kontrolle verlieren würde. Doch dazu kam es gar nicht.
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