Markus Gesicht leuchtete wie eine überreife Hagebutte.
Marie legte eine Hand auf seinen Arm.
»Markus, das ist doch nicht schlimm. Ihr habt euch also wiedergesehen!«
»Ja, aber das ist nicht so, wie du vielleicht denkst, Marie.«
Sie hörte die Bitterkeit in seiner Stimme. Matthias, der bisher nur schweigend zugehört hatte, versuchte, die Situation zu retten.
»Du hast aber scheinbar gut aufgepasst damals. Diese Gundela, sie hat dich an Greta erinnert, habe ich Recht?«
»Ja, Matthias. Sie hatte den gleichen verschlagenen Gesichtsausdruck, da wusste ich, dass sie lügt.«
»Trotzdem, diese Truppe scheint ja von der wirklich üblen Sorte zu sein. Was ist aus ihnen geworden?«
»Das erzähle ich euch noch. Zunächst einmal ging es im Frühjahr dann nach Würzburg, später nach Mainz. Dort habe ich reiten und auch schießen gelernt. Max wurde mehr oder weniger zum Stallmeister. Er hat wirklich ein Händchen für Pferde, das hat man schnell erkannt.«
Er erzählte von den Strapazen und dem Drill, den Entbehrungen, den schlaflosen Nächten, in denen er frierend Wache hatte halten müssen. Aber auch von den schönen Stunden, wenn sie im Sommer auf freiem Feld ihr Lager aufgeschlagen hatten und er den Sternenhimmel bewundert hatte. Doch immer wieder klang seine Stimme bitter, wenn er von den Schmerzen erzählte, die ihn oft nach langen Märschen oder den Übungsstunden geplagt hatten, von den blauen Flecken, die er sich geholt hatte und auch den Schnittwunden vom Schwertkampf.
Er holte tief Luft, warf noch einen Holzscheit in's Feuer.
»Nach der Ausbildung wurde es dann aber sehr schnell ernst, sogar tödlich ernst …«
Zweiter Teil
Wien, September 1529
Markus streifte ziellos durch die Stadt. Seit August war er mit seiner Einheit hier stationiert, seit man um Hilfe gegen die Osmanen gebeten hatte, welche Wien mittlerweile beinahe vollständig eingeschlossen hatten. Die Belagerung war nur noch eine Frage der Zeit.
Aus dem jungen, schlaksigen Burschen war ein stattlicher Mann geworden. Markus zählte nun achtzehn Jahre, hatte an Muskeln zugelegt, seine Schultern waren breiter geworden, seine ganze Erscheinung kräftiger, allerdings immer noch eher sehnig. Ein kurzgeschnittener Bart zierte sein Gesicht, in dem vor zwei Jahren nur ein dünner Flaum gewachsen war. Seine gesamte Gestalt zeugte von einem Selbstbewusstsein, das jeden, der ihn nicht kannte, sofort davon überzeugte, dass es besser wäre, sich nicht mit ihm anzulegen.
Mit dem Schwert war er fast so gut wie sein Lehrer geworden. In den Zweikämpfen, die sie zu Übungszwecken abhielten, verlor er nur sehr selten. Auch mit dem Messer war er äußerst geschickt und traf, wenn sie eine Meisterschaft im Messerwerfen abhielten, beinahe jedes Mal in's Schwarze.
Jetzt aber wurde aus der Ausbildung zum ersten Mal blutiger Ernst. Sie waren zur Unterstützung gerufen worden, weil es zu befürchten war, dass die Osmanen Wien überrennen würden. Der Großteil der Stadtmiliz sowie fast alle Mitglieder des Stadtrates waren geflohen.
Es hieß allerdings, dass die meisten den Akýncý in die Hände gefallen waren. Also hatte man so viele Soldaten und auch Söldner, wie es möglich war, in und um Wien zusammengezogen, um das Heer der Gottlosen, wie sie auch im Volksmund genannt wurden, aufzuhalten. Wien war die letzte Bastion, bevor es den Osmanen gelingen würde, weiter vorzurücken und das Christentum auszulöschen. Als seine Einheit angekommen war, war Wien noch eine schöne Stadt gewesen. Jetzt war sie schmutzig, öde, trostlos. Es roch nach Fäkalien, Rauch, Asche und Verwesung. Nach Tod.
Und Markus ahnte, dass es möglich wäre, hier den Tod zu finden. Er vermisste Bandit, seinen Wolf. Der junge Soldat hatte alles versucht, um von Waldow umzustimmen, dass er ihn mitnehmen konnte, hatte aber letztlich nachgeben müssen. Er hatte ihn in Würzburg gelassen, aber man hatte ihm versprochen, gut auf das Tier zu achten.
Trotz der Trostlosigkeit, die Wien ausstrahlte, stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht, als er an die vergangene Nacht dachte. Seufzend schob er die angenehme Erinnerung zur Seite und machte sich auf den Weg zurück zu seinen Kameraden.
W
»Herrgott Kruzitürken Sauerkraut, wir stecken schon wieder fest!« Der Fluch Wilhelm Haases, der sich den Gauklern als Helfer für eine Vielzahl von Aufgaben angeschlossen hatte, aber auf der Bühne keinen roten Heller taugte, hallte durch den Wald. »Silvanus, hörst du, wir stecken fest!«
»Ein Schnellmerker bist du, Wilhelm«, knurrte Silvanus durch zusammengebissene Zähne. Als ob er nicht selbst den Ruck bemerkt hätte, als sich sein Wagen auf dem von Wurzeln und Schlaglöchern übersäten Waldweg zum dritten Mal in der letzten Stunde festgefahren hatte.
»ADAM! HEB UNS RAUS!«
Der bullige Adam mit dem kahlgeschorenen Kopf kam aus einem der hinteren Wagen gesprungen. Er beklagte sich nicht, jedoch sah man ihm an, dass selbst er genug von diesen Anstrengungen hatte. Anna und die anderen Frauen, die im ersten Wagen mitgefahren waren, kletterten heraus, um es dem Kraftprotz wenigstens ein bisschen leichter zu machen. Nervös sah die Rothaarige sich um. Nichts als Bäume so weit das Auge reichte! Es war dämmrig unter dem dichten Blätterdach, obwohl der Abend noch weit entfernt war. Anna hatte Angst. Hier würden sie Angreifer erst im letzten Moment sehen. Wahrscheinlich viel zu spät!
Inzwischen hatte Adam das rechte hintere Wagenrad mit festem Griff gepackt und ging in die Knie. Die Adern an seinem Hals traten hervor wie Seile, als er den Wagen aus dem Loch hob, und sein Urschrei scheuchte die Vögel aus dem Bäumen. Nach seiner Heldentat kehrte er wortlos in seinen Wagen zurück, und Anna und die Frauen kletterten wieder hinein.
»ES GEHT WEITER«, brüllte Silvanus. »UND PASST AUF, DASS IHR NICHT AUCH IN DIESES VERDAMMTE LOCH GERATET!«
Langsam fuhren sie weiter, bemüht, nicht gleich in die nächste Falle zu geraten.
»Warum zum Teufel hast du diesen Weg gewählt, Silvanus?«, zeterte Wilhelm, der neben dem Kutschbock her ritt. »Wir hätten an der Donau entlangfahren können, da wären wir viel schneller vorangekommen!«
Silvanus fuhr seinen Gehilfen an wie ein wütender Hund.
»Richtig! Wir, und die Renner und Brenner ebenfalls! Wo hast du Vollidiot eigentlich die letzten Wochen verbracht? Bei uns offensichtlich nicht, wenn du immer noch nicht verstanden hast, was hier passiert!«
Bei der Erwähnung der Renner und Brenner erschauerte Anna im Inneren des Wagens und schmiegte sich an Dorotheas Schulter. In den letzten Wochen war die Lage immer brenzliger geworden.
Nachdem sie vor zwei Jahren aus Bamberg hatten flüchten müssen, waren sie weiter nach Österreich gezogen. Bis fast an die ungarische Grenze waren sie gekommen und sie hatten gut verdient, obwohl sie nirgendwo lange geblieben waren. In jedem kleinen Dorf hatte es eine Vorstellung gegeben, und die Menschen waren begeistert gewesen, ihnen oft noch in den nächsten Ort nachgezogen, um noch einmal zusehen zu können. Überall hatte man sie willkommen geheißen. Eine gute Zeit! Bis die ersten Berichte aus Ungarn zu ihnen vordrangen. Die Osmanen waren im Anmarsch! Man munkelte, dass sie es auf Wien abgesehen hatten. Also waren sie umgekehrt, hatten nur angehalten, um zu spielen, wenn es unbedingt notwendig gewesen war, weil ihnen das Geld oder der Proviant ausging.
Trotzdem wurde der Truppe bald klar, dass sie in höchster Gefahr schwebte. Das osmanische Heer kam nur langsam voran, aber es schickte Vorboten. Sie selbst nannten sich die Akýncý, die Menschen, die ihnen begegneten, »Renner und Brenner«.
Und das nicht ohne Grund!
Bei den Akýncý handelte es sich um Reitertrupps, die scheinbar aus dem Nichts auftauchten und alles überfielen, was ihnen in den Weg kam. Gnadenlos plünderten sie ganze Dörfer aus, töteten die wehrlosen Bauern, brannten danach alles nieder. Manchmal nahmen sie die Frauen mit, manchmal vergewaltigten sie sie gleich an Ort und Stelle. Nur wenige überlebten ihre Angriffe, aber die wenigen, die es taten, erzählten schaurige Geschichten.
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