»Lass sie besser los, du Halunke, ansonsten hast du nichts mehr, was du einer Frau bieten kannst.«
Er machte eine Pause, sah, wie Markus, der ihm den Rücken zuwandte, sich leicht versteifte, während Marie ihn ansah, und begriff, was er vorhatte. Ihre Augen blitzten vergnügt.
»Vielleicht hätte ich dich doch damals schon von dem Elend erlösen sollen, das dich des Nachts nicht schlafen lässt.«
Die Drohung in Matthias' Stimme war nicht echt. Markus ließ Marie los, drehte sich um und grinste breit.
»Meister Matthias, ich freue mich, dass Ihr Euren Humor nicht verloren habt.«
Er wusste, worauf sein früherer Meister anspielte. Als er damals von ihm als Henkersgehilfe aufgenommen worden war, hatte er einmal Marie beim Baden beobachtet. Dummerweise hatte Matthias ihn erwischt.
Was dann folgte, würde Markus sein Lebtag nicht vergessen. Er war auf den Tisch geworfen worden und sein Meister hatte so getan, als ob er ihn kastrieren würde, doch in Wahrheit hatte er das Messer nur in ein Stück Schinkenspeck, dass sich zwischen seinen Beinen befunden hatte, gespießt. Es war ihm jedenfalls eine Lehre gewesen, und er hatte Marie nie wieder heimlich beobachtet! Matthias grinste ihn an, trat zu ihm und umarmte ihn.
»Markus! Ich bin froh, dass du gesund und wohlbehalten bist. Wie lange ist das her? Zehn Jahre?« Er rückte ihn auf Armeslänge von sich. »Und lass den Meister weg. Ich bin keiner mehr. Nur ein Holzfäller und Bauer.«
Markus musterte seinen ehemaligen Meister. Er war Zeuge gewesen, wie Matthias nach der Hinrichtung an der Frau des Vogtes, die Marie nach dem Leben getrachtet hatte, sein Richtschwert zerbrochen und seinen Beruf als Henker aufgegeben hatte.
Es war dem jungen Burschen damals schwergefallen, das als endgültig zu betrachten, aber Matthias hatte scheinbar Wort gehalten. Er war nie gern Henker gewesen.
»Und, seid Ihr glücklich, Meister«, fragte er und erntete dafür eine Kopfnuss.
»Wenn du noch einmal Meister sagst, dann überlege ich es mir am Ende doch noch anders«, flachste Matthias und wandte sich jetzt dem gewaltigen Kerl zu, der immer noch auf dem Boden lag und sich von Barbara bearbeiten ließ. »Ich sehe, Max hat sich kein bisschen verändert.«
»Oh, das stimmt nicht. Er ist schon ein wenig erwachsener geworden, zumindest manchmal«, warf Markus ein. »Und er kann sogar schon bis zehn zählen.«
»Ernsthaft?«
»Ja, Max zählt. Eins, zwei, drei, Bier, fünnef, sechse, siebene, achte, nein, Zähne.«
»Interessante Zähleweise«, lachte Marie. »Aber ich denke, ihr kommt alle rein. Ich mache uns etwas zu essen. Ihr bleibt doch, oder, Markus?«
»Wie könnte ich dir etwas abschlagen, Marie.« Schon als er es sagte, bedauerte er die Ausdrucksweise. »Ich meine, wie könnte ich dir eine Bitte verweigern.«
Marie lächelte ihn an, während Matthias ihm eine Hand auf die Schulter legte.
»Schon gut, Markus. Abschlagen war vielleicht nicht das richtige Wort. Aber in dem Punkt sind wir uns einig. So wie bereits damals könnte ich es heute genau so wenig. Und um auf deine Frage zurückzukommen: Ja, Markus. Ich bin glücklich. Und nun kommt. Wir waschen uns und dann lassen wir uns von Marie bekochen und erzählen.« Er sah sich um. »Wo ist denn nur Eckhard?«
»Meinst du den großen Burschen, der da hinter der Hauswand steht und uns nicht aus den Augen lässt? Der sich überlegt, ob er uns begrüßen oder angreifen soll?«
Der Beobachter war Markus keineswegs entgangen.
»Eckhard«, rief Matthias. »Komm her.«
Der junge Bursche kam zögernd hinter der Hauswand hervor. Markus betrachtete ihn. Er hatte Maries Nase und ihr blondes Haar, aber die Statur und die dunklen Augen seines Vaters. Er würde ihm an Körpergröße und auch Kraft in ein paar Jahren an nichts nachstehen, erkannte Markus. Er ging zu ihm und reichte Eckhard die Hand.
»Ich freue mich, dich nach all den Jahren endlich kennenzulernen«, sagte er freundlich. »Als ich deinen Vater und deine Mutter das letzte Mal gesehen habe, da warst du noch nicht geboren.« Er sah zu den beiden Mädchen. »Und dass du mittlerweile noch zwei Schwestern hast, das wusste ich auch nicht.«
Eckhard drückte Markus zaghaft die Hand. Doch dann spürte der Soldat, wie der Griff fester wurde und versuchte, dagegenzuhalten. Sie sahen sich dabei tief in die Augen, es war ein Spiel, bei dem jeder den anderen testete, wie viel er aushielt. Es dauerte einige Augenblicke, da ließ Eckhard ihn los. Markus rieb sich die schmerzende Hand.
»Mein lieber Schwan, Marie, was gibst du dem Burschen zu essen? Dagegen ist ja der Händedruck von Max das reinste Streicheln.«
Jetzt brachen bei Eckhard die Dämme und er lachte.
»Mama sagt immer, ich fress ihr noch die Haare vom Kopf.«
»Den Verdacht habe ich auch«, grinste Markus und hieb dem Burschen mit aller Kraft auf die Schulter, der nicht einmal zuckte.
Matthias legte seinem Sohn eine Hand auf dessen rechte Schulter.
»Eckhard ist Fremden gegenüber sehr vorsichtig. Ich glaube, er ist der Meinung, dass ich alleine es nicht schaffe, die Frauen hier im Haus zu beschützen.«
Sein Sohn wurde rot, sagte aber nichts, sondern sah seinen Vater mit einem Blick an, der Markus verriet, dass er ihn über alles liebte, ja fast verehrte.
»So, wollt ihr hier weiter rumstehen und Maulaffen feilhalten? Was sind das für Manieren? Leonore, du kümmerst dich um Barbara, Eckhard, sieh zu, dass das Feuer brennt, Matthias, du gehst in die Speisekammer, unsere Gäste werden hungrig und durstig sein.«
»Jawohl!«, grinste Matthias und stand scherzhaft stramm, zwinkerte dann Markus zu. »Weißt du jetzt, wer hier das Sagen hat?«
Markus nickte grinsend.
»Das erinnert mich an meine Ausbildung. Da wurde ich auch so gescheucht.«
Gemeinsam betraten sie das Haus. Max noch immer auf allen vieren, während die beiden Mädchen auf ihm wie auf einem Pferd ritten. Markus ließ es sich nicht nehmen, mit den Tisch zu decken.
Nachdem sie gegessen hatten und der Abend hereingebrochen war, sah Marie Markus an.
»Wollt ihr wieder weg oder bleibt ihr eine Weile? Wir haben genug Platz.«
»Wenn es euch nichts ausmacht, dann würden wir gerne ein oder zwei Tage bleiben. Es gibt viel zu erzählen«, sagte Markus leise.
Matthias stutzte. Etwas an dem Tonfall gefiel ihm nicht. Es klang ein gewisser Schmerz durch.
»Ihr könnt bleiben, so lange ihr wollt oder es eure Pflicht euch gestattet«, sagte er bestimmt. »Marie, ich glaube, die Mädchen müssen ins Bett.«
»Und ich?«, fragte sein Sohn. »Ich bin kein kleiner Junge mehr.«
Matthias tauschte einen kurzen Blick mit Markus, der nur nickte.
»Du kannst noch aufbleiben, wenn deine Mutter es erlaubt.«
»Aber nur, wenn Markus nichts erzählt, was für Kinderohren nicht geeignet ist!«, grinste Marie.
»Ich werde versuchen, mich zu benehmen.«
Eine Stunde später saßen Matthias, Marie, Markus, Max und Eckhard im Hof um ein Feuer. Es war eine milde Sommernacht, zu schön, um im Haus zu bleiben. Markus sah gedankenverloren zu den Sternen. Wie so oft in den letzten Jahren stellte er sich die Frage, wie alles, was geschehen war, zusammenpasste. Und wie er das alles dem Mann erzählen sollte, dem er verdankte, dass er nicht als Dieb bestraft worden war, sondern ein ehrbares Leben führen konnte, auch wenn es bei Weitem nicht so verlaufen war, wie er gehofft hatte.
Langsam, stockend, dann immer flüssiger erzählte er, was sich, seit er aus Rothenburg fortgegangen war, ereignet hatte.
Erster Teil
Bamberg, Februar 1527
Markus fror wie ein junger Hund. Missmutig stapfte er durch den Schnee und folgte den Pferden und Wagen, die sich vor ihm mühsam den Weg bahnten. Neben ihm marschierte Max, der eigentlich wie fast immer gut gelaunt war. Schnee, Regen, Sturm, nichts schien seiner Laune etwas anhaben zu können. Nur wenn es zu wenig zu essen gab, dann wurde Max ungehalten. Aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass die Rationen, die sie erhielten, ihn nur bedingt sättigten. Doch der Hüne war ein Überlebenskünstler. Er hatte es sich zu eigen gemacht, mittels selbstgemachter Drahtschlingen Hasen und Kaninchen zu fangen, die er sogar recht schmackhaft zubereiten konnte. Es war eine willkommene Erweiterung des Speiseplans, die ihm den Respekt und die Gunst der meisten Kameraden eingebracht hatte.
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