Dass sie fast daneben gestanden war, als den armen Bauern der Schlag getroffen hatte, das setzte ihr doch zu, gerade weil sie das Ereignis wie alle hier so völlig unerwartet getroffen hatte.
Die Bäuerin tat ihr leid, denn für sie musste nun eine Welt zusammengebrochen sein.
Am Tor angekommen trennten sich ihre Wege wieder, doch hielt Isolda die Heilerin noch einmal zurück.
»Wie kann denn so etwas einfach so passieren?«
»Warum, das weiss ich nicht«, antwortete diese mit einem traurigen Gesichtsausdruck. »Es passiert immer wieder einfach so, dass einen der Schlag trifft, ohne Vorwarnung.
Vor allem in dem Alter, in dem der Bauer schon war, ist das leider nichts Ungewöhnliches. Das hätte ihm genauso gut bei der Arbeit auf dem Feld oder nachts daheim im Bett ereilen können.«
Isolda nickte und die Heilerin machte einen Knicks, um sich zu verabschieden.
So nahm die Prinzessin die Zügel ihres Pferdes in die Hand um es in den Stall zu führen.
Kapitel 5
oder der 5. Tag im Adventskalender
Hinter sich hörte Isolda das Schlagen der Hufe von Pferden auf dem Pflaster des Schlosshofes, als sie ihr Pferd in den Stall führte.
Erst dachte sie, dass die Ritter, die die arme Bäuerin nach Hause bringen wollten, wieder zurück wären, doch als sie an der Stalltür stehen blieb und zurück schaute, erkannte sie die drei Ritter wieder, die in der Früh kurz vor ihr losgeritten waren.
Sie steuerten ebenfalls den Stall an, stiegen davor ab und grüssten höflich die Prinzessin.
Sie grüsste zurück und führte dann ihr Pferd hinein in den Stall, um den Rittern nicht am Ende noch mitten in der Stalltür im Wege zu stehen.
Der gewohnte Geruch hier im Stall, nach Pferden und Heu tat ihr irgendwie gut und holte sie langsam wieder in die Wirklichkeit zurück, aus der sie durch das Ereignis gerade herausgerissen worden war.
Sie führte ihr Pferd zu seiner Box, öffnete die Verschlüsse des Sattels und nahm ihn ab. Als sie ihn gerade zu seinem Platz auf der gegenüberliegenden Wand hieven wollte, wäre sie fast mit einem der Ritter zusammen gestossen.
Der, schon mit recht gutem Alter, wie sie mit einem Blick in sein Gesicht feststellte, blieb natürlich stehen: »Verzeiht, Prinzessin.«
Und als er sah, dass sie den schweren Sattel immer noch hielt griff er zu und fragte: »Darf ich Euch den Sattel abnehmen?«
In seinen Worten klang eine Freundlichkeit mit, die sich auch in seinen Augen wiederspiegelte, dass Isolda nicht anders konnte, als mit einem Lächeln zu nicken und ihm den Sattel zu geben.
»Danke sehr.«
Der Ritter hielt mit seinen trainierten Armen den Sattel, als würde er kaum etwas wiegen und antwortete mit einem Lächeln: »Sehr gerne.«
Nachdem Isolda nun beide Hände frei hatte, drehte sie sich wieder um, nahm die Decke, die zum Schutz des Pferderückens unter dem Sattel lag, schüttelte sie auf und hängte sie anschliessend, ordentlich zweimal gefaltet, neben den Sattel.
Den Eimer, der daneben parat stand, schnappte sie sich im gleichen Atemzug und ging ein paar Schritte durch den Stall zu den grossen Wassertonnen, um ihn dort zu füllen.
Zurück bei ihrem Pferd stellte sie ihn an seinen Platz in der Box und ihr Pferd schaute ihr dabei zu.
Mit einem Lächeln strich sie ihrem Tier über den Kopf. »Du bekommst ja gleich dein Futter, mein Guter.«
Wieder war sie aus der Box heraus und lief ein paar Schritte um anschliessend einen anderen Eimer mit etwas Hafer zu füllen. Einen Blick warf sie noch in die grosse Tonschale, in der aus der Küche immer wieder Möhren, Äpfel und anderes gebracht wurden, was nicht mehr auf dem Tisch landen sollte.
Sie griff nach drei Möhren um sie mitzunehmen, blieb dann aber noch einen Moment stehen und blickte in die Schale.
Ob hier auch schon etwas dabei ist von dem, was der Bauer und die Bäuerin heute ins Schloss gebracht hatten? Sie konnte es nicht sagen.
Sie musste einen Moment länger in Gedanken hier gestanden haben, denn der gleiche Ritter wie eben wartete geduldig ein paar Schritte weiter, da er selbst für die Pferde der Ritter Futter holen wollte.
»Oh, verzeiht«, sprach Isolda und schämte sich ein klein wenig, dass sie so unaufmerksam mitten im Raum gestanden war.
»Nur keine Eile, Prinzessin«, bekam sie ruhig und freundlich als Antwort.
Ob die drei Ritter bereits wussten, was gerade geschehen war? Aber woher sollten sie.
Als sie an der Box zurück war, streckte ihr Pferd ihr schon voller Erwartung den Kopf entgegen und schnaubte erfreut, als es die Möhren in der Hand roch und gleich die erste vors Maul gehalten bekam.
Nachdem alle drei Möhren weg waren und der Eimer neben dem mit Wasser stand, hatte ihr Pferd seine Schnauze darin versenkt und frass weiter.
So griff die Prinzessin nach der Bürste und fuhr ihrem Pferd damit sorgfältig durchs Fell.
Als Prinzessin hätte sie das alles gar nicht machen müssen, dafür hatten sie ausreichend Stallburschen, aber sie machte es gerne und ihr Rappe dankte es ihr auch mit einem sehr vertrauten Verhältnis, so als wäre er ein Freund für sie.
Nachdem sie anschliessend die leeren Eimer wieder an ihre Plätze gebracht und die Box verschlossen hatte, verliess sie den Stall wieder.
Nach ein paar Schritten blieb sie draussen im Hof stehen und warf noch einmal einen Blick durch das offene Tor hinaus auf die Strasse. Sie lag da, als wäre nichts geschehen.
Ein lautes Knacken schreckte sie auf und sie sah im rechten Augenwinkel eine Bewegung.
Die Prinzessin glaubte ihren Augen nicht, denn mit plötzlichem lauten Getöse sackte das Dach des Stalls ein!
Wie in Zeitlupe sah sie, dass sich im mittleren Teil des Stalls ein ganzer Bereich des Daches erst nach innen neigte und dann die einzelnen Dachschindeln in das sich bildende Loch hinein fielen.
Ihr Mund stand ihr offen und sie war viel zu perplex um zu verstehen, was da gerade wirklich vor ihren Augen geschah.
Dann erfasste sie eine Staubwolke, die aus der Stalltür hinausgeschossen kam.
Erst als sie husten musste und sich schüttelte, um den Staub und das Heu, das mitgerissen wurde, los zu werden, war sie wieder voll im Hier und Jetzt zurück.
Oh Gott, schoss es ihr durch den Kopf. Ziemlich genau dort war sie gerade gestanden!
Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag mit solcher Wucht, dass sie fast umgefallen wäre. Ihre Beine waren schlagartig schwer und unbeweglich wie Blei und zugleich weich und haltlos wie Pudding.
Ihr rauschte das Blut in den Ohren und ihr Puls schoss in Windeseile in die Höhe, dass sie ihren Herzschlag im ganzen Oberkörper spürte.
Aus dem Stall hörte sie lautes Wiehern und von allen Seiten mischten sich nun Rufe und Schreie dazu, sie hörte Wortfetzen von Befehlen heraus und dann kamen auch schon die ersten Wachen und Ritter angerannt.
Die Pferde! Schoss es Isolda da durch den Kopf. Ihr Pferd hatte sie ja auch gerade in den Stall gebracht, das jetzt bei den anderen stand. Was war mit ihnen geschehen, wenn das Dach über ihnen zusammen brach?
»Prinzessin! Seid ihr verletzt?«, hörte sie jemanden rufen und im gleichen Moment erschien ein Ritter direkt vor ihren Augen.
Seine Augen waren zusammengekniffen und er sah sie erschrocken an.
Sie war nur gerade nicht in der Lage, eine Antwort zu geben, zu sehr stand sie noch unter Schock.
»Isolda!«, hörte sie nun jemanden schreien, eine bekannte Stimme und Leonhard rannte so schnell er nur konnte quer durch den Hof vom Gebäude der Ritterschaft auf sie zu.
»Geht es dir gut?«, keuchte ihr Bruder, als er bei ihr angekommen war.
»Mir fehlt nichts«, antwortete sie mit dünner Stimme.
»Gottlob geht es dir gut«, rief Leonhard und schloss sie in seine Arme.
Doch gleich drauf löste er sich wieder von ihr und fragte den anderen Ritter: »Was ist mit Winfried und den anderen, die auch noch im Stall waren?«
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