Armin Öhri
Das schwarze Herz
Julius Bentheim ermittelt
Berlin 1868 Die preußische Polizei wird an den Tatort eines grausigen Verbrechens gerufen. Gemeinsam mit seinen beiden Polizei-Aspiranten und Freunden Julius Bentheim und Albrecht Krosick macht sich Kommissar Gideon Horlitz auf den Weg zum Herrenhaus des Herzogs von Gerolstein, das ein wenig außerhalb der Stadt gelegen ist. Bei ihren Ermittlungen stoßen sie auf ein Netz aus Intrigen, Mord und Gewalt, und unversehens geraten sie in den Einflussbereich einer geheimen Loge. Es kommt zu mysteriösen Verwicklungen mit französischen Komponisten, gefährlichen Doppelagenten und zänkischen Frauenzimmern. Auch die Insassen eines Irrenasyls sowie ein verschrobener Adliger, dessen Bekanntschaft Julius und Albrecht bei einer Soiree machen und von dem es heißt, er habe einen Werwolf in seinem Gefolge und stehe mit dem Bösen im Bunde, sorgen für Gruselspannung in der Metropole an der Spree.
Der Liechtensteiner Schriftsteller Armin Öhri, geboren 1978, lebt in Grabs im St. Galler Rheintal. »Das schwarze Herz« ist der vierte Berlin-Krimi des Autors um seinen Protagonisten, den jungen Tatortzeichner Julius Bentheim. Armin Öhri erhielt den »European Union Prize for Literature«, seine Werke wurden mehrfach ins Ausland übersetzt. Er ist Gründer des Liechtensteinischen Literatursalons und Präsident des Liechtensteinischen Autorenverbands »IG Wort«.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Bildes von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lesser_Ury_-_Am_Kurfürstendamm_(1910).jpg
ISBN 978-3-8392-6786-8
Für Saskia
In der schwindenden Dunkelheit sah er den verstümmelten Leichnam. Sein Mund klebte von geronnenem Blut.
(Guy Endore: Der Werwolf von Paris)
Mindestens eine Aussage in diesem Werk ist falsch.
(Albrecht Krosick)
*
Anmerkung: Dieses Werk muss mindestens eine falsche Aussage enthalten. Angenommen, es täte es nicht: In diesem Fall ist das Vorwort wahr, wenn es falsch ist, und falsch, wenn es wahr ist. – Was eigentlich unmöglich ist.
(Professor Alfredo Casanelli, Inhaber des Lehrstuhls für Logik an der Università degli studi di Bologna; 17. Mai 1869)
Der Tatort, das altehrwürdige Anwesen des Herzogs von Gerolstein, lag etwas mehr als eine Meile vor der Berliner Stadtgrenze. Hier, im Dorf Weißensee, kam der Fernhandelsweg nach Norden durch, und rings um das beinah zirkelrunde Stillgewässer, das dem Dorf seinen Namen gegeben hatte, fügten sich Gutshäuser und großzügig angelegte Gartenanlagen in die Uferlandschaft.
Weit ausladende Bäume säumten die holprige Straße, als Julius Bentheim und Albrecht Krosick – Tatortzeichner der eine, Polizeifotograf der andere – mit ihrem Freund und Vorgesetzten Kriminalkommissar Gideon Horlitz, jenem bekannten und in Fachkreisen als äußerst bibliophil geltenden Homme de Lettres, in einem Landauer vorfuhren. Das mysteriöse Ableben des Hausherrn und die damit verbundene Aufnahme einer gerichtlichen Untersuchung verlangten die Anwesenheit der drei Herren aus dem Stadtpalais Grumbkow, dem Berliner Polizeipräsidium. So traurig der Anlass ihres Kommens auch sein mochte – Arbeit war Arbeit, und in diesem speziellen Fall waren besonders die beiden jungen Polizeiaspiranten begierig darauf, die Hinterlassenschaft des exzentrischen Herzogs persönlich in Augenschein zu nehmen, zumal sich hartnäckig das Gerücht hielt, der Verblichene habe sich zu Lebzeiten der Alchemie und den dunklen Wissenschaften verschrieben.
Julius Bentheim dachte sich sein Teil bei diesen Ammenmärchen. Rücklings aus der Kutsche steigend, den Blick über die Schultern nach hinten gerichtet, ließ er bereits das Auge schweifen, um das Ziel ihres Ausflugs zu betrachten: Ein mächtiges Gemäuer in Form von gestapelten Steinbruchscherben und lokalen Findlingen umgab das Grundstück. Weit in die Höhe geschossene, dichte Trauerweiden vermochten es, dem zufällig vorbeikommenden Wanderer tief und nachhaltig ins Bewusstsein zu dringen, wo sie unweigerlich einen melancholischen Eindruck hinterließen.
Kaum hatten die Neuankömmlinge das schmiedeeiserne Zufahrtstor durchschritten, als sie auch schon das imposante Herrschaftshaus erblickten. Vor ihnen thronte es auf einer Anhöhe, hinter der das spiegelglatte Wasser des Weißen Sees zu erahnen war. Das Gebäude hinterließ bei Julius einen doppelten Effekt. Einerseits beeindruckten ihn die Größe, die Ausmaße und der Protz mit all seinen Verzierungen; andererseits wirkte es zu überladen für seinen Geschmack. Überall reckten sich stolze Giebel zum Himmel empor, die Fassade war teilweise neoklassizistischen Ursprungs, an manchen Stellen aber brach ein Überbleibsel gotischer Baukunst hervor. Groteske, wild blickende Statuen von Dämonen und Teufeln prägten das Bild.
Unheil verkündende dunkle Wolken lagen über dem Anwesen. Ein kalter und zugleich rauer Wind fegte über ihre Köpfe hinweg, als Horlitz, Krosick und Bentheim endlich vor dem Hauptportal standen und an der Klingel zogen.
Es vergingen zwei Minuten, bis sie ein schlurfendes Geräusch vernahmen. Mit einem Krächzen öffnete sich die Tür, und die Ermittler blickten in das gestrenge Gesicht eines älteren Mannes, der eine schäbige Livree trug und einen goldenen Kerzenständer in der Hand hielt.
»Die Herren wünschen?«
Bentheim sah sich den Diener genauer an. Seine knochigen Wangen und die hohe Stirn erinnerten an einen Asketen, und im Kerzenschimmer besaßen die geriatrischen Zuckungen, die in unregelmäßigen Abständen seine Handbewegungen zu befallen schienen, ein eindringliches, wenn auch komisches Flair.
»Darf ich Ihnen unsere Karte geben?«, sprach ihn Horlitz höflich an, sowie sie über die Schwelle getreten waren. Besagte Visitenkarte mit einer auffällig barschen Bewegung an sich reißend, starrte der Livrierte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
»Noch mehr Polizisten?« Es war eher eine Feststellung denn eine Frage. Der alte Mann drehte sich um, tief aufseufzend, und winkte mit der Hand. »Folgen Sie mir, meine Herren! Bitte, so kommen Sie doch.«
Krosick und Bentheim, die hinter Horlitz in der Eingangshalle standen, nickten sich einvernehmlich zu, bevor sie wieder nach ihren Gepäckstücken griffen und zum Diener aufschlossen. Der Boden, über den sie Albrechts Kamera und seine weiteren Fotoutensilien schleiften, bestand aus rohen Pflastersteinen. An den Wänden prangten Bilder barocker Meister: schwere, düstere Ölgemälde. Von der mit Stuckwerk verzierten Decke hingen goldene Kandelaber herab, wodurch Julius erst auffiel, dass an keinem einzigen Ort Petroleumlampen brannten. Einzig das Flackern der Kerzen warf verzerrte Schatten an die Wände, und das wilde Pfeifen des aufkommenden Sturms, das von draußen hereindrang, ließ den Tatortzeichner erschaudern. Es war eine gespenstische Atmosphäre, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass just in diesem Haus ein Mord geschehen war.
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