Dann griff er nach der Glocke, die am Wachhäuschen aussen hing und schlug sie drei Mal, bevor er der Prinzessin antwortete: »Wir sind hier nur zu zweit, ich kann den Posten nicht verlassen, aber gleich kommen weitere Wachen, die zum Bauern eilen können.«
Kaum hatte er das ausgesprochen, da eilten auch schon drei, dann ein vierter und noch ein fünfter Wachmann im Laufschritt zum Tor.
»Dort vorne auf der Strasse ist ein Bauer zusammengebrochen, sofort zu ihm!«, befahl der Wachmann den neu ankommenden und sie rannten sofort weiter, aus dem Tor hinaus und in Richtung des Bauern.
»Dann hole ich die Heilerin«, rief Isolda und schon eilte sie mit ihrem Pferd quer über den Hof zum Bedienstetengebäude, in dem die Heilerin hier am Schloss ihre Kammer hatte. Sie hoffe nur, dass sie auch da war und nicht irgendwo anders im Schloss unterwegs.
Noch bevor sie die Eingangstür des Gebäudes erreichte, kam sie zusammen mit dem Wachmann auch schon heraus in den Hof.
»Schnell«, rief Isolda, »steigt bei mir auf.«
Die Heilerin schaute sie einen Wimpernschlag gross an, reichte ihr dann ein Bündel, das sie in Händen hielt und der Wachmann half ihr, hinter der Prinzessin aufs Pferd zu steigen.
Kaum war sie oben und konnte sich hinter der Prinzessin am Sattel festhalten, da gab sie ihrem Pferd auch schon weder mit den Schenkeln zu verstehen, dass es losreiten sollte.
Die Prinzessin mässigte jetzt zwar das Tempo, damit sie die Heilerin nicht unterwegs verlieren würde, aber dennoch waren sie um etliches schneller als wenn sie zu Fuss gelaufen wäre.
Nur einen kleinen Moment nach den Wachen kamen sie bei dem Bauern wieder an.
Isoldas Herz raste inzwischen auch vor Aufregung, sie rief den Wachen zu, der Heilerin vom Pferd zu helfen und stieg dann selbst auch wieder ab, das Bündel der Heilerin noch in Händen.
Die Heilerin sass schon neben dem Bauern am Boden, rüttelte ihn an der Schulter und sprach ihn an, bekam aber keine Reaktion.
Da sie nicht mehr alleine war, wurde die Bäuerin nun auch noch panisch und rüttelte ebenfalls am Arm ihres Mannes, rief seinen Namen und begann lautstark zu weinen.
Zwei der Wachmänner gingen zu ihr und versuchten ruhig auf sie einzureden, dass sie die Heilerin ihre Arbeit machen lassen und ihren Mann erst einmal loslassen solle. Sie brauchten sehr viel Überzeugungskraft, um die Bäuerin nach einigen Momenten doch dazu zu bewegen, halfen ihr auf die Beine und führten sie ein paar Schritte weiter, an beiden Armen gestützt.
Derweil hatte die Heilerin den leblosen Bauern auf den Rücken gedreht und das Hemd geöffnet. Sie hielt seinen Arm in ihren Händen und die Finger direkt auf das Handgelenk gepresst und hatte das Ohr direkt über seinem Mund.
Ihr Gesichtsausdruck verriet aber nichts Gutes und als Isolda in die offenen Augen des Bauern blickte, die sich nicht mehr bewegten und ihr leblos trüb erschienen, da ahnte sie, dass sie wohl zu spät waren.
»Sollen wir in die Stadt reiten, einen Arzt holen?«, fragte einer der Wachmänner die Heilerin vorsichtig.
Sie überlegte noch einen Moment, schüttelte aber dann den Kopf.
»Das wird wohl nicht mehr nötig sein, sein Herz hat aufgehört zu schlagen«, antwortete sie traurig.
Hinter sich hörten sie Hufschläge, von mehreren Pferden, wie Isolda gleich heraushörte.
Drei Ritter kamen angeritten und stiegen ebenfalls bei ihnen ab.
»Was ist passiert?«, wollte einer der Ritter sofort wissen und fügte nervös hinzu, als er die Prinzessin erkannte: »Ist Euch etwas passiert, Prinzessin?«
»Nein«, schüttelte sie den Kopf, »mir geht es gut«, und blickte dabei weiterhin auf den Bauern.
»Was ist mit ihm?«, fragte der Ritter weiter.
Die Heilerin antwortete ihm leise: »Sein Herz schlägt nicht mehr, aber er ist unverletzt, so dass ihn wahrscheinlich genau hier der Schlag getroffen hat.«
Und obwohl sie es recht leise gesagt hatte, hat es die Bäuerin anscheinend gehört, auch wenn sie ein paar Schritte entfernt stand und brach nun in Tränen aus.
Das zerriss auch Isolda fast das Herz, denn dem Tod und seinem Leid war sie in ihrem Leben noch nie so nahe begegnet wie jetzt gerade.
Der Ritter überblickte die Situation schnell: »Wenn Ihr wollt, Prinzessin, und gestattet, dann würden wir uns darum kümmern, dass die Bäuerin gut nach Hause kommt und dort betreut wird und der Verstorbene ebenfalls direkt in die Stadt gebracht wird, wie es sich gehört.
Isolda stand immer noch neben sich und nickte nur. Was sollte sie auch anderes tun. In der Situation gerade war sie hilflos und hatte keine Ahnung, was jetzt zu tun wäre. Von daher war sie heilfroh, dass die Ritter da waren und wussten, was getan werden musste.
Der Ritter stand auf und gab den anderen beiden auf, mit sechs Mann, einem Pferdekarren, Trage und Leichentuch wieder zu kommen. Dann ging er zur Bäuerin, die immer noch weinend vor ihrem toten Mann stand und legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter.
Leise sprach er einige Worte zu ihr, die Isolda nicht verstand und die Bäuerin nickte nur ein paar mal.
Die Heilerin hatte dem Bauern in der Zwischenzeit die Augen geschlossen und seine Hände auf der Brust gefaltet. Friedlich sah er aus, stellte Isolda fest.
Es verging kaum Zeit, da waren auch schon die ersten vier Ritter zu Pferd wieder zurück und hatten sowohl eine Trage als auch ein grosses weisses Leinentuch dabei.
Die Trage wurde neben den Bauern auf die Strasse gestellt und das Tuch mit wenigen und wie es aussah gut geübten Handgriffen darauf ausgelegt, dass es mittig lag und beide Seiten so eingerollt waren, dass sie nicht auf dem Boden lagen.
Danach hoben sie zu dritt den leblosen Körper langsam und vorsichtig auf die Trage und schlugen ihn komplett in dem weissen Tuch ein, dass man nichts mehr von ihm sehen konnte.
Die Ritter verhielten sich dabei die ganze Zeit sehr ruhig, agierten mit Bedacht und sprachen kein Wort miteinander. Was Isolda angenehm fand, denn Hektik und Aufregung hatten sie hier gerade schon genug gehabt.
Bis der Wagen angerumpelt kam, dauerte es noch einen Moment, der zu einer kleinen Ewigkeit wurde, die die Prinzessin fast wie in Trance verbrachte.
Dann wurde die Trage von Rittern auf den hinten offenen Wagen gehoben und vorsichtig abgestellt. Die drei Körbe, die noch achtlos neben der Strasse lagen, sammelten sie ein, stellten sie ebenfalls mit auf den Wagen und halfen dann der Bäuerin, vorne direkt neben dem Kutscher Platz zu nehmen. Zu ihrer anderen Seite setzte sich ein zweiter Ritter, der gleich einen Arm um sie legte, damit sie ihnen auch nicht während der Fahrt umkippen konnte.
Auch jetzt sprachen die Ritter kaum, verständigten sich mit Blicken und ein jeder wusste, was zu tun war.
Der Ritter, der das Kommando gehabt hatte, blieb mit der Prinzessin, der Heilerin und den Schlosswachen zurück, als der kleine Tross, vier Ritter zu Pferd und der Wagen, sich langsam in Bewegung setzte.
Isolda schaute den Ritter nach einem Moment fragend an und er sprach sehr ruhig: »Wir sorgen dafür, dass die Bäuerin nicht alleine bleibt, bis jemand aus ihrer Familie oder von Verwandten da ist, um sie zu betreuen, damit ihr nichts geschieht.«
»Zählt auch das zu den Aufgaben der Ritter?«, fragte die Prinzessin, die sich langsam wieder gefangen hatte.
Der Ritter nickte.
Das hatte Isolda noch gar nicht gewusst.
»Wir sind da, um zu beschützen und zu helfen, auch in solchen Situationen, wo man die Bäuerin niemals alleine mit dem Verstorbenen auf der Strasse hätte zurücklassen können.«
Isolda nickte.
»Dann lasst uns ins Schloss zurückkehren«, sprach der Ritter.
Isolda stieg auf ihr Pferd und die bunt zusammengewürfelte Truppe machte sich auf den Weg zurück.
Jetzt kam ihr der Weg natürlich viel länger vor, wenn sie ihn nicht im Galopp zurücklegte, doch war diese Zeit nicht verkehrt, wieder Ruhe und Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.
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