Meister Mondschein nickte erneut.
»Mein Grossvater wird seine Gründe gehabt haben, genau so gehandelt zu haben und nicht anders. Sonst hätte er die Legende nicht genau so verwahrt.«
»Auch wenn nicht klar ist, warum er es vermeintlich dem Zufall überlassen hat, wann und wie sie wieder gefunden wurde«, ergänzte Meister Mondschein.
»Vielleicht wusste er es doch und hat deswegen genau so gehandelt wie er es getan hat. Er hätte meinem Vater die Legende auch direkt übergeben und ihm Anweisungen geben können, was er zu tun hätte. Er hätte ihm auch erzählen können, wo er sie her hatte, wer sie geschrieben hat und wie man das Schwarze Herz erkennt und bekämpft.«
»Auch diese Gedanken hatten wir schon«, pflichtete ihm Meister Mondschein bei. »Doch allein das Wissen darum, dass Euer Grossvater es wohl gewusst haben muss, hilft nicht weiter, denn was er wusste, das weiss niemand mehr.«
Und wieder drehten sich alle Gedanken im Kreis und kamen nicht weiter, stellte Leonhard fest.
Er warf noch einen Blick auf den Zettel in seiner Hand und reichte ihn dann Meister Mondschein zurück. Dieser stand auf und schlurfte wieder ins Nebenzimmer, um die Abschrift wieder sicher zu verwahren.
Als er zurück kam sass Leonhard in Gedanken versunken im Sessel.
»Mein Prinz«, sprach der Gelehrte nun mit leicht sorgenvoller Stimme, »zermartert Euch nicht zu sehr das Hirn über Dinge, die nicht mehr gelöst werden können. Wichtig ist, dass Ihr wissend und aufmerksam seid.«
Leonhard blickte ihn an.
»Ich wünschte, ich könnte Euch mehr sagen oder mehr helfen. Doch das einzige, was ich tun kann, ist genauso zu Euren Diensten zu sein, wie ich es seit eh und je für Eurem Vater bin.
Hütet dieses Geheimnis gut in Euch und geht richtig damit um.«
Als diese Worte gesprochen waren blickte Leonhard in ein eindeutig sorgenvolles Gesicht. Ja, ihm war inzwischen klar geworden, dass diese Legende wie ein Fluch über diesem Land lag. Und das sprach er nun auch aus: »Die Legende ist wie ein Fluch, der jederzeit zuschlagen könnte, was doch so viele Jahre und Jahrzehnte noch nicht eingetreten ist. Und keiner kann sagen, ob es morgen der Fall sein wird oder in einhundert Jahren erst.«
Meister Mondschein sah ihn traurig und müde an und nickte nur stumm.
Leonhard blickte ihn genauso stumm an, bis er doch eine Antwort bekam, wenn auch eine andere als er gedacht hätte.
»Drum lastet diese Legende auch so schwer auf den Schultern Eures Vaters, ohne dass er die Last teilen oder abgeben kann.
Sobald Ihr Eure Ritterweihe erhalten habt, könnt Ihr ihm eine Stütze sein, doch abnehmen kann ihm die Last niemand, solange er König ist und hoffentlich auch noch lange auf dem Thron sitzen wird.«
So hatte es Leonhard bisher noch nicht gesehen, doch hatte Meister Mondschein mit diesen Worten nur zu sehr Recht.
Er verstand seinen Vater nun auch deutlich besser, warum er so war, wie er war. Er konnte sich vorstellen, welche Gedanken hinter der Stirn des Vaters tobten und sich genauso im Kreis drehten wie bei ihm. Nur mit dem Unterschied, dass sie es bei ihm nicht einmal eine Woche taten, bei seinem Vater fast schon zwei Jahrzehnte.
»Ich danke Euch«, sprach Leonhard und stand auf.
»Und ich danke Euch und Meister Wilhelm auch, dass ihr mich vor der Ritterweihe bereits eingeweiht habt. So bleibt mir tatsächlich ein wenig Zeit, das alles zu verstehen und meine Aufgabe und Pflicht als Ritter dann direkt und richtig wahrnehmen zu können.«
Ein leichtes Lächeln zeigte sich auf den Zügen des Gelehrten. »Ihr werdet ein guter, verlässlicher und verantwortungsvoller Ritter und genauso einmal ein König werden. Ihr habt das Herz am rechten Flecken sitzen und einen wachen und richtigen Verstand. Das ist es, was dieses Land braucht, sobald das, was die Legende vorhersagt, eintritt.«
Den weiteren Tag verbrachte Leonhard in den Ställen der Ritterschaft, seiner Pflicht für den heutigen Tag nachkommend, und versorgte die Pferde. Das Bürsten und Striegeln ging ihm inzwischen von ganz alleine von der Hand und die Tätigkeit tat ihm gut, denn er hatte ausreichend Zeit, nebenbei zu verarbeiten, was er heute neues erfahren hatte und dennoch hielt es ihn davon ab, zu sehr den Gedanken nachzuhängen.
Auch waren die Pferde in dem Falle wunderbare Zeitgenossen, die von ihm Aufmerksamkeit verlangten und ihm auch Aufmerksamkeit schenkten, ohne dass er sich erklären musste oder gar Fragen gestellt bekam, warum er so nachdenklich war.
Ausserdem verrichtete er die Arbeit nun mit einer anderen besonderen Sorgfalt, die er bisher noch nicht kannte. Denn er wusste, dass nicht nur er sich auf sein Pferd zu jeder Zeit blind verlassen können musste, sondern auch auf die Pferde der anderen Ritter, dass diese sich auf ihre Pferde genauso verlassen konnten und er sich damit auf seine anderen Ritter. Denn wenn sie gebraucht werden würden, dann müssten sie alle zu einhundert Prozent verlässlich funktionieren.
Er erschrak jetzt sogar selbst ein wenig über diese Gedanken. Da stand seine Ritterweihe ihm selbst gerade noch bevor, da dachte er schon über seine Ritter nach als wäre er ihr Befehlshaber, der sie in die Schlacht führen wird. Aber irgendwie war er das ja auch bzw. würde es demnächst sein.
»Das Leben ist verrückt«, sprach er so vor sich hin und bekam prompt als Antwort einen leichten Stupser von der Nase des Pferdes vor ihm. Ja, als wollte es ihm sagen, dass er gefälligst mit seiner Arbeit weiter machen sollte und nicht in reine Nachdenkerei verfallen. Er lachte kurz leise, strich dem Pferd streichelnd über den Kopf, was es mit einem freudigen Schnauben beantwortete und machte weiter.
Bis zum Abendessen hatte er tatsächlich ein gutes Stück seiner inneren Ruhe wieder gefunden, die in den letzten sechs Tagen abhanden gekommen war.
Wie üblich hatte Isolda wieder Blumen aus dem Garten auf den Tisch stellen lassen, was er das erste Mal seit Tagen wieder bewusst wahrnehmen konnte. Das Essen verlief jedoch wie die letzten Tage in fast völligem Schweigen.
Ihr Vater blickte kaum zu ihnen und schwieg in sich hinein, seine Schwester blickte ihre Blumen an, das Essen und schaute aus dem Fenster. Nur ab und an blickte sie eher heimlich zum Vater und ihm rüber und es war ihm als musterte sie dabei sie beide genau.
Er fragte sich, was in ihrem Kopf wohl vor sich ginge. Doch mit ihr darüber zu sprechen wäre bei Tisch wohl keine gute Idee.
Schliesslich verliess Isolda den Tisch und den Speisesaal wieder als erste und liess Leonhard mit dem Vater alleine.
So recht wusste Leonhard immer noch nicht, ob er den Vater ansprechen sollte und als er zu ihm rüber blickte, hatte dieser die Augen fast komplett zugekniffen und den Kopf schwer in die Hand gestützt, so dass das Tischtuch um dem Ellenbogen, der die Last auf den Tisch stütze, in Falten warf.
Nein, was auch immer gerade im Kopf des Vaters vor sich ging, ansprechen konnte er ihn in dem Moment nicht, dafür war der Kloss, der sich gerade wieder in seinem Hals gebildet hatte, zu gross geworden.
Also stand er auf, um auch den Speisesaal zu verlassen. In dem Moment, als er seinen Stuhl zum Tisch zurück schob, blickte der Vater auf und ihn mit wachen Augen direkt an.
Leonhard erwiderte den Blick automatisch, blickte seinem Vater direkt in die Augen.
Vermutlich wusste sein Vater seinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten, denn nach einem Moment, der Leonhard wie eine Ewigkeit vorkam, in der er bewegungslos da stand, nickte sein Vater.
So war Leonhard klar, dass er mit seinem Vater über die Legende nicht sprechen musste und würde, denn sein Vater wusste, dass er unterrichtet worden war.
Bevor er sich bewegte nickte nun auch Leonhard. Und die Gesichtszüge des Vaters entspannten sich daraufhin sichtbar ein wenig.
Es war eine stumme Absprache zwischen den beiden. Und beide brauchten sich nicht mehr zu sagen, um sich einig zu sein.
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