1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Dann musste er sich auch schon beeilen, nicht auch zu spät in der Ritterschaft zu erscheinen und es ging für ihn bis zum Abend hinaus zu Reitübungen im Felde, so dass er weder mittags seinen Vater noch zwischendurch Meister Wilhelm zu Gesicht bekam.
Zum Abendessen erschien der Vater als letzter und verliess den Tisch auch nach kurzem, noch bevor er seinen Teller vollständig leer gegessen hätte, in Eile und so in Gedanken versunken, dass er vielleicht noch nicht einmal seine Umwelt mitbekommen hatte. So blieb Leonhard nichts anderes übrig, als direkt Meister Wilhelm aufzusuchen.
Doch das Gespräch, das sie führten war für ihn ernüchternd. Mehr als den Wortlaut der Legende wusste auch der Rittermeister nicht.
Natürlich hatten alle Ritter alles gemeldet, was irgendwie von Belang sein könnte. Doch all die Jahre war nie etwas dabei gewesen, was im Zusammenhang mit der Legende hätte stehen können. Er erstattete auch dem König regelmässig Bericht. Am Anfang, als die Ritterschaft am Schloss in der jetzigen Form aufgebaut worden war, noch wöchentlich, mit der Zeit immer weniger und inzwischen nur noch einmal im Jahr, denn zu berichten gab es immer noch nichts.
Auch hatten die Gedanken des Meisters Wilhelm ihn nie auf eine brauchbare Fährte geführt, das Schwarze Herz erklären oder gar finden zu können.
So war auch er all die Jahre dazu verdammt gewesen, ratlos aufmerksam sein zu müssen, ahnungslos, worauf genau er zu achten hatte.
Er konnte den übermüdeten Prinzen daher mehr als gut verstehen, war es ihm doch nicht anders ergangen, doch auf die brennenden Fragen hatte er ihm keine Antwort geben können.
Er griff auch einem Gedanken von Leonhard vorweg und ein Strohhalm, an den er sich die Nacht geklammert hatte, war damit auch weg. Denn natürlich hatte Meister Wilhelm auch mit Meister Mondschein lange und oft beratschlagt und gegrübelt, doch auch gemeinsam waren sie keinen einzigen Schritt weiter gekommen.
Mit Meister Mondschein hatte er dennoch ein paar Tage später noch einmal gesprochen. Doch der war genauso verzweifelt wie Leonhard selbst über seine Ratlosigkeit.
Oft hatte Meister Mondschein natürlich auch mit dem König zusammen gesessen und darüber gesprochen, der König von ihm Antworten verlangt, die er ihm damals genauso wenig geben konnte wie dem Prinzen jetzt, da er sie nicht hatte.
Gewälzt hatte er alle alten Bücher, die Sterne befragt, doch war auch ihm nicht der geringste zielführende Ansatz gekommen.
Nachdem sie beide, Meister Mondschein wie auch der König nach einem viertel Jahr immer noch keine Spur hatten und keine Ahnung, gegen wen oder was sie sich zur Wehr setzen müssten, um dieses Unheil von ihrem Land abzuwenden, da hatte der König angeordnet, die Ritterschaft am Schloss in der jetzigen Form zum Schutz des Landes gegen das Schwarze Herz zu gründen und auch den Befehl erlassen, das Geheimnis um die Legende zu wahren, um Panik oder Unruhen in der Bevölkerung zu vermeiden. Es sollte niemand als die Ritter, die ihren Eid geschworen hatten, davon erfahren dürfen.
Danach hatten sie nur noch selten über die Legende gesprochen und der König in den letzten Jahren auch immer nur noch fragend geblickt, wenn sie sich unter vier Augen hier getroffen hatten, worauf er, Meister Mondschein, nur traurig den Kopf schütteln konnte. Weitere Worte waren dem König nicht mehr nötig gewesen.
So hatte Leonhard die letzten Tage in innerer Unruhe verbracht, seinen Gedanken nachgehangen und den Vater nicht darauf angesprochen. Was hätte er ihm auch sagen oder ihn fragen sollen, wenn er doch inzwischen von Meister Wilhelm und Meister Mondschein erfahren hatte, dass auch der König nicht mehr wusste. Und auch da es immer schwieriger wurde, mit dem Vater überhaupt zu sprechen, hatte er sich bisher nicht überwinden können.
Der Blick des Vaters wurde in letzter Zeit zudem immer verbissener und düsterer. Bei allen alltäglichen Gesprächen war er extrem knapp angebunden und nicht gewillt, mehr als das Nötigste zu sagen oder zu erfahren.
So waren die letzten Tage die ersten eines neuen Lebens für ihn gewesen, mit dem er sich erst einmal zu Recht finden musste.
Tatsächlich war ihm auch bewusst geworden, dass er sich darüber gerne mit seiner Schwester ausgetauscht hätte. Denn wo sie früher als kleine Kinder immer zusammengehalten hatten und gegenseitig beigestanden waren, wenn es vom Vater wieder einmal eine Standpauke wegen irgendeinem Unsinn, den sie verzapft hatten, gegeben hatte, so stellte er gerade jetzt fest, dass sie kaum noch miteinander sprachen. Isolda ging ihre Wege und er die seinen in der Ritterschaft. Zudem war ihm aber auch bewusst, dass seine Schwester von der Legende genauso wenig wusste wie er vor ein paar Tagen noch und dass er ihr davon nicht erzählen durfte.
Der einzige, der ihm dann noch blieb war Winfried, jedoch schwieg auch er, so wie er es musste und geschworen hatte und mit Blicken und Nicken hatten sie sich beide darauf verständigt, dass dies so bleiben würde.
Wie als hätte der Zufall genau nur darauf gewartet, hörte er bei diesem Gedanken Schritte hinter sich. Und nach dem dritten Schritt wusste er auch, wer sich ihm näherte, ohne dass er sich umdrehen musste. Winfrieds Schritte waren ihm in den letzten Jahren so vertraut geworden wie die seines Vaters oder seiner Schwester.
Einen Moment später trat der alte Ritter neben ihn und stützte sich auch auf der Brüstung ab. Aus dem Augenwinkel sah Leonhard, dass er genauso wie er in die Ferne blickte und ihn nicht ansah.
Leonhard drehte nun doch den Kopf, um ihn anzublicken und Winfried schaute dann auch ihn an. Ruhig und etwas traurig mit seinen alten Augen blickte er ihn an. Und wieder waren keine Worte nötig, um Leonhard mitzuteilen, dass er mit ihm mitfühlte und genau wusste, was in dem jungen Prinzen vor sich ging.
»Danke«, flüsterte Leonhard schliesslich kaum hörbar.
Genauso leise antwortete Winfried nach einem Moment, genauso ruhig wie der Blick seiner Augen war: »Ihr braucht mir nicht zu danken, es ist unser aller Pflicht.«
Ein wenig klang ein Unterton wie Müdigkeit mit und Leonhard nahm wahr wie alt Winfried doch schon war.
»Ich wünschte, ich könnte mehr für Euch tun, mein Prinz«, fuhr Winfried schliesslich leise fort.
»Ihr habt mir doch so viel beigebracht und mitgegeben, all die Jahre«, antwortete der Prinz, und wusste nicht, was er sonst hätte sagen sollen.
Winfried lächelte. »Euer ganzes Leben, seit Eurer Geburt, kenne ich Euch nun, mein Prinz. Und all die Zeit war ich immer da, Euch zu schützen und zu lehren, alles beizubringen, was ich wusste und Euch mitgeben konnte.«
Eine kurze Pause folgte und dann schwang ein melancholischer Ton mit in seiner Stimme: »Doch nun ist es in ein paar Tagen ganz alleine an Euch, Euren eigenen Weg selbst zu beschreiten.«
Die Worte überraschten Leonhard. Zum einen wurde ihm bewusst, welche Bedeutung er für Winfried hatte. Die letzten achtzehn Jahre war er Winfrieds Lebensinhalt und -aufgabe gewesen. Als Ritter musste Winfried jederzeit bereit sein, in den Kampf zu ziehen, sollte die Legende eintreten und es notwendig werden. Er war als Prinz eine der drei wichtigsten Personen, die Winfried zu schützen hatte und zugleich war er sein Lehrling gewesen. Wäre es nicht schon Last genug für den alten Ritter, sich tagein tagaus immer einsatzbereit zu halten, immer wachsam, immer trainiert zu sein, ohne sich wirklich Ruhe oder Müssiggang hingeben zu können. Eine Last, die sichtbar an seinen Kräften zehrte, was man seinem Gesicht und auch seiner Haltung inzwischen ansah. Und zudem war es seine Aufgabe gewesen, ihn als Knappen aufzunehmen und mit zum Ritter auszubilden.
Winfried sah wohl, dass es in ihm arbeitete und bevor Leonhard etwas sagen konnte, sprach er weiter.
»Nur keine Sorge, mein Prinz. Ich bleibe Euch selbstverständlich erhalten, doch kann auch ich nicht mehr leugnen, dass ich inzwischen alt geworden bin. Drum werde ich das Schwert niederlegen dürfen, sobald ihr Ritter geworden seid.«
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