Robert nickte. „Habe ich. Alle Opfer sagen übereinstimmend, dass es sich um eine recht große Gruppe Kerle handelt, die ihre Fäuste sehr locker sitzen haben und auch ihre Waffen ohne Skrupel einsetzen. Und sie können mit ihren Waffen gut umgehen. Zu gut für gewöhnliche Landstreicher, die ihr Geld ein wenig aufstocken wollen.“
„Für mich klingt das ganz nach Söldnern“, meinte Sir Charles. „Ich denke, die ganzen Gerüchte um eine Invasion des Kronprinzen locken viele zwielichtige Gestalten ins Land, die auf leichte Beute hoffen. Und die Invasion ist nicht alles, außerdem wird ja auch noch behauptet, ein Krieg mit Schottland stünde unmittelbar bevor. Nur, solange es nicht tatsächlich Kämpfe gibt, haben Söldner keine Arbeit. Also betätigen sich einige davon eben als Banditen und hoffen, wir hätten andere Sorgen, als uns um einige ausgeraubte Reisende zu kümmern.“
„Kann gut sein. Aber eigentlich spielt es keine große Rolle, wer da die Leute überfällt. Auf unseren Ländereien werden wir das nicht dulden. So brutal, wie die Bande vorgeht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es die ersten Toten gibt, und soweit darf es nicht kommen. Wenn die Kerle ungeschoren plündern und morden können, wie es ihnen gefällt, wird sich das in Windeseile herumsprechen und Nachahmer animieren. Es wäre nicht das erste Mal, dass marodierende Banden auf die Dauer mehr Schaden anrichten, als es ein feindliches Heer je könnte.“
„Also blasen wir zur Jagd?“ Sir Charles richtete sich gerade auf, schon voller Tatendrang. „Ich werde schnell ein paar Männer zusammentrommeln und dann zeigen wir den Kerlen, wie man sich bei uns zu benehmen hat! Wir nehmen genug Leute mit, durchkämmen die Gegend und scheuchen sie wie die Füchse aus ihrem Bau!“
„Ich fürchte, das würde nicht helfen. Sobald wir in die Nähe der Kerle kommen, verstecken die sich irgendwo in den unwegsamen Hügeln und spielen Verstecken mit uns. Der Wald ist dort stellenweise undurchdringlich.“
„Schon, aber sie können sich nicht ewig verkriechen. Irgendwann würden wir sie kriegen“, versicherte Sir Charles. „Wenn wir Fährtenhunde einsetzen, finden wir ihr Versteck auch im dichtesten Gestrüpp.“
„Dann verlegen sie ihr Lager eben woanders hin und wir fangen von vorne an. Das braucht viel zu viel Zeit. Außerdem, wenn die Kerle wirklich Fremde sind, können sie sich einfach absetzen und in einem anderen Distrikt weitermachen.“ Robert klopfte nachdenklich mit den Fingern auf die zernarbte Platte seines Schreibtisches. „Nein, wir sollten ihnen eine Falle stellen.“
„Ja! Das ist gut! Wir halten ihnen einen Köder vor die Nase, und wenn sie danach schnappen, greifen wir uns die Kerle!“
„Genau. Einer fetten Beute werden die Banditen hoffentlich nicht widerstehen können.“
„Hm, mal sehen. Am besten wäre wohl ein Händler, der ein bisschen nach etwas aussieht. Teure Kleidung, Schmuck, voll beladene Packpferde und so. Und ein Knecht, der sich um die Pferde und die Handelswaren kümmert.“ Sir Charles war sofort Feuer und Flamme.
„Vielleicht noch einen Wachmann, schließlich haben wir unsichere Zeiten und da reist ein Händler mit halbwegs wertvoller Ware nicht ohne Schutz. Wir dürfen aber nicht übertreiben, sonst werden sie misstrauisch“, fügte Robert hinzu.
„Dann also drei Männer. Unter unserer Burgbesatzung sind einige Ritter von auswärts, die hier in der Gegend nicht bekannt sind und für so einen Einsatz infrage kommen. Wählt drei Männer aus, und die stecken wir dann in passende Verkleidung. Der Waliser, Sir Tristan, zum Beispiel“, überlegte Sir Charles. „Der würde mit seiner rundlichen Figur einen guten Händler abgeben. Und der grobschlächtige Bursche aus Yorkshire mit seinen schlechten Manieren könnte den Knecht mimen. Außer den Männern, die die Köder spielen, brauchen wir noch, sagen wir zwei Packpferde, ein paar Säcke und Kisten als Handelsware und ein paar Ritter, die im Hinterhalt warten.“
„Ich sehe schon, das ist eine Aufgabe für Euch“, lachte Robert. Der Enthusiasmus des Hauptmannes gefiel ihm. „Übernehmt Ihr das. Ich überlasse Euch die Einzelheiten. Passt aber auf, schließlich werden die Banditen mit Verfolgung rechnen und entsprechend die Gegend beobachten. Wenn die Kerle Verdacht schöpfen, sind sie über alle Berge.“
„Natürlich. Ich bleibe mit der Schutztruppe auf Schleichwegen und umgehe alle Siedlungen und Gehöfte. Wir werden so unsichtbar sein wie die Waldgeister.“ Sir Charles stand auf, zog sein Wams gerade und ging zur Tür. „Die Kerle haben wir ganz schnell, versprochen.“
Robert sah ihm einen Augenblick lächelnd nach, bevor er sich wieder dem Papierstapel auf dem Tisch widmete. Diese Angelegenheit war schon so gut wie erledigt. Der Hauptmann war wie ein Bullterrier: Einmal in die Sache verbissen, würde er nicht locker lassen, bis die Kerle gefangen waren.
Nach zwei weiteren arbeitsreichen Tagen, die auch einige Ritte in die umliegenden Ortschaften einschlossen, wo er verschiedene Streitigkeiten um irgendwelche Nichtigkeiten schlichten musste, kam endlich das Wochenende. Robert erwachte am Samstag wie immer schon früh, aufgeweckt von den durchdringenden Rufen der Mauersegler, die auf der Jagd nach Insekten um die Gebäude und Zinnen der Festung flitzten. Seine Privaträume gingen nach Osten und an einem sonnigen Tag wie heute leuchteten die warmen Strahlen schon kurz nach Sonnenaufgang durch das weit geöffnete Fenster in sein Schlafgemach.
Einen Augenblick ließ er die Gedanken schweifen und genoss die Ruhe, die noch nicht vom Lärm des Tagesgeschäftes gestört wurde. Dann schlug er die leichte Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Heute würde er Joan wiedersehen! Seinen Freund Duncan wollte er auch noch besuchen, aber das hatte Zeit bis nächste Woche. Er gähnte herzhaft und reckte die langen Glieder, dann trat er zu einem kleinen Tisch neben der Tür und griff nach dem kunstvoll bemalten Tonkrug. Vorsichtig goss er etwas frisches Brunnenwasser in die daneben stehende Schale und wusch sich schnell. Kühl und angenehm erfrischend vertrieb das Wasser schnell die letzte Müdigkeit. Die Reitkleidung war schnell angezogen, dann rief er seinen Kammerdiener herein, um sich mit den eng sitzenden Lederstiefeln helfen zu lassen.
Ein Schatten ließ ihn ans Fenster treten und einen Blick hinauf zum Himmel werfen. Während der Nacht waren einzelne Wolken aufgezogen und brachten etwas Weiß in den blassblauen Morgenhimmel. Sie wirkten wie freundliche Schönwetterwolken und hatten auch keinen großen Einfluss auf die sommerliche Wärme, die aus dem Innenhof zu ihm hinauf stieg. Aber das waren wohl die Vorboten für den Wetterumschwung, den ihm wetterkundige Bauern gestern schon angekündigt hatten.
Robert verzog missmutig das Gesicht. Schade, die ungewöhnlich lange Schönwetterperiode der letzten Zeit war schon sehr angenehm gewesen. Im Stillen hatte er gehofft, die Bauern würden sich ausnahmsweise einmal irren. Doch wie es aussah, würde er seinen Regenumhang mitnehmen müssen, der in seinem feuchten Heimatland meist sowieso zur Standardausrüstung gehörte. Die einheimischen Angelsachsen mit ihrer hellen Hautfarbe hatten den Regen schon wieder herbeigesehnt, doch Robert war eher ein Mensch, der Wärme vorzog.
Regen würde die Belagerung von Leicester nicht angenehmer machen, dachte er kurz mit einem Schaudern. Triefende Zelte, klamme Kleidung, die nie richtig trocken wurde, feuchtes Essen und ein aufgeweichter Boden, der durch die unzähligen Füße und Pferdehufe schnell zu knöcheltiefem Morast werden würde. Doch dann schob er den Gedanken wieder zur Seite. Damit würde er sich noch lange genug herumschlagen müssen. An diesem Wochenende würde er sich einzig und allein um seine sowieso schon viel zu kurz gekommenen Privatangelegenheiten kümmern.
Er stieß sich vom Fensterbrett ab, setzte sich auf einen dreibeinigen Hocker und ließ sich gründlich rasieren, schließlich wollte er seiner Verlobten ja nicht wie ein Landstreicher entgegentreten. Erst nachdem auch wirklich jede Bartstoppel dem Rasiermesser seines Kammerdieners zum Opfer gefallen war, ging er zum Frühstück hinunter.
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