„Ach ja, ein Bote aus London war hier und hat Sir Edward gesucht. Er ist nach Leicester weitergeritten“, fügte der ältere Ritter noch hinzu.
„Ja, der war im Heerlager und hatte es sehr wichtig mit einem Schreiben von König Henry. Aber so weltbewegend, wie er tat, war es wohl nicht.“ Robert zuckte die Achseln und wies dann auf seine Begleiter. „Ich habe einen Teil unserer Bauern mit zurückgebracht, schließlich muss sich ja irgendwer um die Ernte kümmern. Diese hier müssen noch ein Stück weiter, aber für die letzte Wegstrecke ist es heute schon zu spät. Sorgt bitte dafür, dass sie ein Nachtlager und Essen bekommen.“
Müde und froh, endlich wieder zu Hause zu sein, ritt er durch den engen Zwinger weiter in den inneren Ring der Festung. Die Ritter seiner Eskorte und sein Diener folgten ihm zum Haupthaus und ließen sich vor der großen Freitreppe von den Pferden rutschen. Um die staubbedeckten, erschöpften Tiere brauchten sie sich nicht selbst kümmern, das übernahmen mehrere Stallknechte, die schon von den großen Ställen herüber rannten. Auf die Knechte kam an diesem Abend noch eine Menge Arbeit zu, denn die Pferde mussten abgerieben werden und brauchten Heu und Wasser. Bevor nicht jedes einzelne der wertvollen Tiere gut versorgt war, ließ der Stallmeister keinen seiner Leute schlafen gehen.
Robert war kaum von seinem Braunen gestiegen, da sprang ein dunkler Schatten die Treppe hinunter, drängte sich durch die Reiter und stieß ihn schwanzwedelnd mit seiner feuchten Nase an.
„Hallo, alter Freund. Hast du mich vermisst?“ Lachend beugte er sich hinunter und klopfte Achilles, dem großen Jagdhund seines Vaters, den Rücken, dann stieg er mit dem Hund an seiner Seite die Stufen zur großen Eingangspforte hinauf.
Bei diesem schönen Sommerwetter stand die Tür ebenso wie alle Fenster weit offen, um möglichst viel Wärme in die Räume zu lassen. Später, in der Kühle der Nacht würden die Hausdiener die Öffnungen wieder schließen, aber jetzt herrschten noch angenehm warme Temperaturen. Oben angekommen hieß der Haushofmeister den Sohn des Burgherrn höflich willkommen und fragte nach Anweisungen. Robert blieb kurz stehen, während die Ritter schon die Halle betraten und ihren, in einem Seitenflügel gelegenen Unterkünften zustrebten, um sich für das Mahl zu waschen und frische Kleidung anzulegen.
„Wir sprechen morgen, Cecil. Heute möchte ich nur einen ruhigen Abend verbringen. Ist das Mahl vorbereitet? Ich bin sehr hungrig.“
„Natürlich, Mylord.“
Der Haushofmeister wies mit einer angedeuteten Verbeugung auf die bereitstehenden Tische im Hintergrund, die schon mit Geschirr gedeckt waren. Nur die Speisen fehlten, aber die Küchenmägde standen sicher schon auf Abruf. Der Anblick alleine brachte Roberts Magen zum Knurren. Da sein Kommen bekannt war, hatten die Burgbewohner mit dem Essen auf den Hausherrn gewartet und waren sicher ebenso hungrig wie die Ankömmlinge. Er wollte die Ritter und ihre Damen nicht unnötig warten lassen, also eilte er die Treppe hinauf in seine persönlichen Gemächer und machte sich für das Mahl bereit.
Am nächsten Morgen schickte er als erste Handlung, noch vor dem Morgenmahl, einen Reiter mit einer Nachricht nach Sleaford und bat Lady Ann darum, ihre Tochter Joan besuchen zu dürfen. Er hatte seine Verlobte einige Wochen nicht gesehen und wäre am liebsten einfach auf sein Pferd gestiegen und losgeritten. Aber das ging natürlich nicht. Solange Robert und Joan nicht verheiratet waren, musste er brav um Erlaubnis ersuchen, wenn er seine Zukünftige sehen wollte. In Abwesenheit von Sir Brian war dessen Mutter Lady Ann die Herrin der Grafschaft und musste erst ihre Einwilligung geben. An Tagen wie heute verfluchte Robert die lästige Etikette, besonders da die Heiratsverträge längst unterzeichnet waren und seine Anfrage eine bloße Formsache war. Doch wenn er Joans guten Ruf nicht gefährden wollte, hatte er keine andere Wahl.
Erst nachdem er den Boten auf dem Weg nach Sleaford wusste, wandte er sich den vielfältigen Aufgaben eines Burgherren zu. Wegelagerer gehörten in einem Herzogtum schon fast zu den üblichen Problemen, und streitende Bauern, Handwerker oder Stadtbürger waren sowieso Alltag. Irgendwer beschwerte sich immer, und meist über ziemlich unwichtige Kleinigkeiten. Glücklicherweise ließ sich für solche Fälle aber auch recht leicht eine Lösung finden.
Die meiste Zeit jedoch benötigten trockene, langweilige Verwaltungsangelegenheiten, die niemand gerne erledigte, und Robert bildete da keine Ausnahme. Aber als ältester Sohn des Herzogs und Erbe des Titels und der Ländereien konnte er sich nicht davor drücken. Sich um wirklich alles persönlich zu kümmern war allerdings kaum möglich, deshalb übernahm üblicherweise der Haushofmeister einige Aufgaben. Und Sir Edward hatte für den Schriftverkehr auch einen Schreiber angestellt.
Hilfe war auch nötig, besonders weil sowohl Sir Edward als auch Robert nicht immer vor Ort sein konnten. Wenn sie wieder einmal im Auftrag des Königs unterwegs waren, durfte natürlich nicht die ganze Verwaltung wochenlang unerledigt bleiben. Dann übernahm Haushofmeister Cecil, unterstützt von Hauptmann Sir Charles, die Vertretung des Hausherrn. Allerdings hatten beide natürlich nur bedingte Befehlsgewalt, und es blieb immer mehr als genug Arbeit liegen, die aufgearbeitet werden musste.
Also verdrängte Robert die Gedanken an Joan und machte sich an die Arbeit. Am frühen Nachmittag kam der ausgeschickte Reiter zurück und brachte die Antwort von Lady Ann. Natürlich bekam Robert seine Erlaubnis und eine herzliche Einladung für das nächste Wochenende.
Bis dahin waren es nur noch drei Tage und die verbrachte er damit, die dringendsten Angelegenheiten zu regeln. Besonders diesen dreisten Wegelagerern musste unbedingt das Handwerk gelegt werden, deshalb schickte Robert einen jungen Hausknecht hinaus, der den Hauptmann zu ihm rufen sollte. Kurz darauf kam der Junge zurück und hielt Sir Charles die Tür zum Arbeitszimmer auf, das Robert und sein Vater gemeinsam nutzten. Zwischen massiven Regalen, die sämtliche Wände bedeckten und sich unter unzähligen Papieren, Büchern und Schriftrollen bogen, blieb gerade noch Platz für die Schreibtische der beiden und ein paar einfache Stühle.
Achilles, der Robert nicht mehr von der Seite gewichen war und sich auf einem abgenutzten Hirschfell vor dem feuerlosen Kamin niedergelassen hatte, sah kurz auf und schnupperte in Richtung der Tür. Dann hatte er Sir Charles erkannt und ließ den breiten Kopf beruhigt wieder auf die Pfoten sinken. Eigentlich für die Jagd ausgebildet, war der Hund aber auch der beste Leibwächter, den sich ein Mann nur wünschen konnte, und er nahm seine Aufgabe sehr ernst. Kein Fremder würde ohne Erlaubnis auch nur in Roberts Nähe kommen, ohne einen Angriff zu riskieren.
Sir Charles war kein Fremder, also durfte er ungehindert eintreten. Selbst Aristokrat, aber als jüngerer Sohn ohne Anspruch auf die Ländereien seines Vaters, bestritt Sir Charles schon seit jungen Jahren seinen Lebensunterhalt als Ritter im Dienst verschiedener Herren. Er war ein erfahrener Krieger, hatte für König Henry in der Normandie und in Irland gekämpft und sich zum Truppenführer hochgearbeitet. Dann hatte Roberts Vater ihn nach Grantham geholt, weil er einen guten Mann für die Sicherheit seiner Familienfestung brauchte.
„Sir Robert, Ihr wolltet mich sprechen?“
„Setzt Euch, bitte.“ Robert wies auf einen Hocker neben dem weit geöffneten Fenster. „Wir müssen etwas gegen diese Banditen unternehmen, die sich in den Hügeln bei Sedgebrook eingenistet haben.“
„Ja, langsam häufen sich die Beschwerden.“ Der Hauptmann setzte sich auf einen Hocker an der Wand und lehnte sich entspannt gegen ein Regal neben dem Fenster, die krummen Reiterbeine ausgestreckt. „Alle paar Tage wird aufs Neue ein Überfall gemeldet. Die Kerle sind von einem anderen Schlag als die sonst üblichen Strauchdiebe, die ab und zu einem unvorsichtigen Reisenden ein paar Münzen abnehmen und bei Gegenwehr sofort das Weite suchen. Es hat schon mehrere Verletzte gegeben, und das, obwohl die Überfallenen nur wenig Widerstand geleistet haben. Ihr habt die Berichte sicher gelesen.“
Читать дальше