Später, nach langer Fahrt, die Sonne stand schon tief im Westen, da saß ich an einem merkwürdigen Wasserlauf und las. Der Wasserlauf war künstlich angelegt und hatte, von oben gesehen, die Form einer Sichel. Am Beginn der Sichel standen senkrecht und dicht beieinander drei dicke glänzende Rohre. Aus ihren Pumpenhälsen strömt das Wasser. Bald beruhigt es sich und fließt still durch den breiten Kanal, bis es an einer Stufe anlangt, über die Kante fließt und aufschäumen in die nächste Ebene stürzt, immer weiter, um sich am Ende der Sichel in ein großes dreieckiges Becken zu ergießen. An der Längsseite des Dreiecks waren lange Stufen auf Beton, auf denen eine Schar von Menschen Platz hätte, um sich von der Arbeit in den gläsernen Palästen zu erholen.
Diese beiden Büropaläste jedoch stehen allein auf weiter Flur und sind leer. Da sind nur zwei Männer, die einen dicken Schäferhund im Kanal baden lassen. Eine Weile jagen sie ihn ins Wasser, dann kommen sie die Sichel entlang auf mich zu. Da habe ich nur die eine Sorge, dass sich der Hund just vor mir das Wasser aus dem Zottelfell schütteln könnte. Denn inzwischen ist es schon recht kühl.
Als der nasse Hund gerade auf meiner Höhe ist und aufhört, im Kies des Weges zu schnüffeln, den Kopf hebt, mich ansieht und sich gewiss gleich schütteln wird, schob der Bewohner der Dachstube sein Fenster auf. Meine Hemden bauschten sich hübsch im Wind, und ich hatte geträumt, mein rechter Zeigefinger sei festgehakt am K.
Sie können mich mal beim Rasieren beobachten!
Es gibt Situationen, in denen man kaum dagegen ankommt, blöd auszusehen, so als stünde man plötzlich in Unterhosen da und alle könnten einen angaffen. Dieser Satz sollte die Einleitung zu einem lustigen Text sein. Aber was muss ich zu meinem Schrecken sehen? Der Satz ist schon mal gar nicht lustig, sondern eher peinlich. Es liegt wohl daran, dass ich selbst gerade gar nicht lustig bin, obwohl draußen ganz prächtig die Morgensonne scheint und ich in wenigen Stunden nach Aachen reisen werde, wo mich mein guter Freund Jeremias Coster, Professor für Pataphysik und Leiter des Instituts für Nachrichtengeräte an der RWTH Aachen, vom Bahnhof abholen wird.
Ich bin also eher still vergnügt, so in der Stimmung still vergnügter Vorfreude. Würde ich jetzt sagen: „Liebe Leser, gleich gibt es zwar keinen lustigen, sondern einen sonntäglichen, eher stillvergnügten Text. Den lasse ich gerade nebenher vom mentalen Liegestuhl aus aufs Papier regnen“, dann wären zwar die erwartungsvollen Schenkelklopfer schon mal abgeschreckt, aber die anderen würden fragen: „Ja, wann geht’s denn endlich los mit dem Stillvergnügtsein?“ „Moment!“, würde ich dann sagen. „Mir fällt gerade nichts Stillvergnügtes ein. Könnten Sie vielleicht später noch mal reinschauen?“ Ich muss nämlich mal dringend ins Bad. Und da, liebe Leser, stünde ich nackt oder in Schlafanzughose und würde mich rasieren.
Jeremias Costers legendärer Lieblingstisch 43 steht in Aachen vor dem historischen Lokal Postwagen am Markt. An sonnigen Tagen kann man Coster hier treffen, wie er in sein Moleskinbüchlein schreibt und ein gepflegtes Kölsch hebt.
Wenn du mit Coster ein Lokal oder Café besuchst, kannst du erleben, wie er sich die Aufmerksamkeit der Bedienung sichert. Die Kellnerin tritt zum ersten Mal an den Tisch, um eure Bestellung aufzunehmen, da fragt Coster, wie sie heißt. Sofort nennt er sie bei ihrem Vornamen, hängt freundliche Worte hinten an, und wenn die Kellnerin zurückkommt, um zu servieren, bist du schon ein bisschen unsichtbar. Man könnte es auch weniger unangenehm für dich sagen: Coster beginnt in den Augen der Kellnerin zu leuchten, denn er fährt fort, sie mit der größten Liebenswürdigkeit zu behandeln. Man muss sagen, dass Coster aber zu teilen versteht. Sein Glanz überstrahlt bald den ganzen Tisch, und so wirst auch du bevorzugt bedient.
Es war im Sommer, ein sonniger Tag in Aachen, anfänglich. Später sollten sich über unseren Köpfen tiefgraue Wolken ballen, am Tisch 43 vor dem Aachener Postwagen ein heftiger Wind gehen und Regen herabklatschen, so dass wir ins Lokal flüchten mussten. Damals nächtigte ich drei Tage bei Coster. Wie immer hatte er Termine, so auch die Verabredung mit zwei Freunden am Postwagen. Sie arbeiten bei der Zeitung, und einer ist der Chef des anderen. Im aufkommenden Gewitter sollte der Chef noch rasch von einer Wespe gestochen werden, und das geschah, nachdem er versucht hatte, Costers Bann zu brechen. Das hätte er besser gelassen, denn er rief die versammelten Kräfte der Pataphysik gegen sich auf.
Die beiden Zeitungsleute sind kurz nach uns eingetroffen, ein launiges Gespräch geht hin und her über den Tisch, da entschuldigt sich Coster und geht ins Lokal. Der Chef wartet, bis Coster außer Sicht ist, zieht ein gefaltetes DIN-A4-Blatt aus dem Jackett, klappt es siegesgewiss auf und zeigt es mir. Er hatte sich im Internet kundig gemacht, auf der Seite des Lokals alle Kellnerinnen mit Namen und Foto aufgeführt gefunden und die Liste ausgedruckt. In die Hand gab er mir den Farbdruck nicht, zeigte ihn auch nur flüchtig. Er wollte sich seines Machtmittels nicht berauben lassen.
Bald kam Coster zurück in die Runde, die Kellnerin trat an den Tisch, und alles ging seinen gewohnten Lauf, ohne dass der Chef auch nur gezuckt hätte. Just diese Kellnerin hatte er nämlich nicht auf seiner Liste. Bald schlug er sich ans Gesicht, da hatte ihn die verirrte Wespe gestochen. Sein Handy gab Laut, er wurde abberufen und war fort. Dann das Gewitter.
Des Kellners Irrtum – Fehler im galaktischen Betriebssystem
“Wenn du gelegentlich unerklärliche Dinge erlebst, liegt das fast immer an einem Fehler im galaktischen Betriebssystem“, sagte Jeremias Coster übern Tisch des Cafés in der hannoverschen Altstadt hinweg.
„Das glaubst du doch selbst nicht“, sagte ich, weil ich gerade wieder an allem zweifeln wollte. Schließlich hat schon Lichtenberg gesagt: Zweifle an allem wenigstens einmal und wäre es auch der Satz zweimal zwei ist vier.
Coster rührte in seinem Kaffee, blieb aber selbst ungerührt. „Ein Beispiel“, sagte er. „Gestern Morgen habe ich zufällig aus dem Fenster geschaut. Unter mir auf dem Weg war ein junges Paar gerade im Begriff, einen Kinderwagen über die drei Stufen hochzuheben, die das Gefälle des Wegs ausgleichen. Am Nachmittag bin ich wieder ans Fenster getreten, ganz ohne konkreten Anlass. Auf dem Weg unten war das junge Paar gerade im Begriff, den Kinderwagen die drei Stufen hinab zu heben.
Jetzt sag, wenn ich beide Mal durch keine äußeren Umstände veranlasst wurde, aus dem Fenster zu schauen, wie zum Teufel kann denn sein, dass ich die beiden jeweils mit dem Kinderwagen auf der dreistufigen Treppe sehe, beim zweiten Mal quasi spiegelverkehrt. Das ist doch ein völlig unwahrscheinliches Zusammentreffen und kann folglich nur ein schwerer Ausnahmefehler im galaktischen Betriebssystem sein. Du selbst, Trithemius, hast mal einen solchen Fall beschrieben.“
“O ja, den hatte ich beinah vergessen. Das war noch in Aachen. Da bin ich zweimal mit dem Rad am Hauptgebäude der Technischen Hochschule vorbeigefahren, am Mittag gegen zwölf Uhr und am Abend um sechs. Mittags war ich bei der Post gewesen, um einen Brief abzusenden. Der Briefmarkenautomat war außer Betrieb gewesen, und aus dem Schalterraum hatten die Leute bis auf den Vorplatz gestanden. Da hatte ich von meinem Vorhaben abgelassen, denn wegen einer Briefmarke eine halbe Stunde mit genervten Postkunden Schlange zu stehen, war mir ein wenig zu extravagant.
Auf dem Bürgersteig war mir eine große Gruppe gleichkleiner Chinesen in dunklen Anzügen entgegengekommen. Sie strebten in Marschordnung dem Hauptgebäude der Technischen Hochschule zu. Etwa in der fünften Reihe ragte eine Frau hervor. Sie trug ein ockerfarbenes Jackett und wirkte zwischen den dunklen Chinesen wie ein mitgeführtes Banner. Ich passierte sie genau an der Ecke des Reiffmuseums und dachte noch: Was habt ihr es so eilig? Wollt ihr wieder wissenschaftliche Geheimnisse ausspähen?
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