Zugegeben, der ganze Mann war ein Festschmaus für das Auge. Aber hey, ich fand auch Fliegenpilze schön. Trotzdem käme ich nie auf die Idee, von ihnen zu kosten. Alan war auch nur ein Fliegenpilz.
Auf zwei Beinen und in Jeans.
Oben angekommen lief er den Flur bis ans Ende, öffnete linkerhand eine Tür, hinter der bereits Licht brannte, ließ mich eintreten und wies mit der Hand auf einen Stuhl vor einem Schreibtisch.
Einem sauber aufgeräumten Schreibtisch.
Kein Laptop oder Rolltop. Auch kein Telefon. Nur Papiere und zwei Füllfederhalter. „Setz dich.“ Dafür, dass Gestaltwandler die reinsten Technikfreaks waren, war dieses Zimmer eindeutig zu wenig modern. Ich zog meine Jacke aus, hängte sie über den Stuhl, setzte mich und schaute mich verstohlen um.
Überall Holz: an den Wänden, der Decke, dem Fußboden. Der Tisch war aus Holz, ebenso der Stuhl und die Tür. Schweres Holz. Ich tippte auf Eiche, wobei ich mich natürlich auch irren konnte. Auf dem Boden lag ein dicker rostroter Teppich. An den Fenstern waren Außenjalousien angebracht, aber keine Gardinen. Selbst die Deckenbeleuchtung passte perfekt in das rustikale Ambiente: schwer und klobig.
Alan legte ein Formular vor mich, das mehrere Seiten umfasste. „Unterschreib das!“ Ich mochte seinen Befehlston nicht. Schon allein deswegen nahm ich mir die Blätter, lehnte mich auf dem Stuhl mit den breiten Armlehnen zurück, schlug die Beine übereinander und begann zu lesen. Hauptsächlich, weil ich nicht einfach irgendwas unterschrieb. „Ähm, was soll ich damit?“ Ich schluckte unsicher. In der Hand hielt ich Regeln für das Rudel. Hallo? Ich gehörte nicht dazu! „Unterschreiben.“, antwortete er mit einem blasierten Grinsen. „Und das hier auch.“ Er reichte mir ein weiteres Formular, das ziemlich alt aussah, aber in gutem Zustand war. Kacke! War das sein Ernst? „Ich denke nicht daran! Ich will nicht in ein Rudel.“ Ganz besonders nicht in eins, in dem du bist! Ich hoffte, meine Stimme wirkte fester, als ich es befürchtete; denn ich zitterte leicht. Alan stand von seinem Stuhl auf, ging um den Tisch herum und stellte sich neben mich.
Super, dadurch fühlte ich mich noch kleiner.
„Du wirst das unterschreiben. Wenn wir offiziell als Paar gelten, muss ich dich ins Rudel aufnehmen.“ Er beugte sich dicht zu mir herab, so dass ich unweigerlich meinen Körper ein wenig zur anderen Seite neigte. „Glaub mir, es passt mir ebenso wenig wie dir. Unterschreib es oder ich lass euch bei Bingham auffliegen.“, fauchte er. „Sehe ich so blöd aus? Aus dem Zeug komm ich nie wieder raus. Ich weiß, dass man eine Rudelzugehörigkeit nicht aufheben kann.“ Er lächelte eisig. „Du meinst, das gilt auch für Menschen?“ Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. „Ich wäre dadurch an ein Rudel gebunden, oder? Ich müsste deren Gesetze und Regeln anerkennen? Warum sollte ich das tun?“
„Einer der Gründe ist Bingham. Er wird das überprüfen. Er weiß, dass man in ein Rudel aufgenommen wird, wenn man gewisse… Bindungen eingeht.“
Na toll. Einfach fantastisch!
Nach einem ausgiebigen, stummen Streitgespräch mit mir selbst unterschrieb ich seufzend. Was tat man nicht alles für seine beste Freundin?
Sein triumphierendes Lächeln gefiel mir freilich nicht. Mir wurde leicht übel, aber für Reue war es zu spät. „Jetzt, da du zum Rudel gehörst, unterstehst du auch unseren Regeln und Gesetzen. Also, beantworte mir ein paar Fragen.“
„Ich bin dir gegenüber keine Rechenschaft schuldig.“
Mürrisch verschränkte ich meine Arme. So wie er das sagte, zählte ich jetzt nicht mehr als Mensch, zumindest vor keinem Gericht. Das hatte man damals bei der Festlegung der Regierung nach den zwei verheerenden Revolutionen vor gut 60 Jahren leider nicht bedacht. Rudelpolitik wurde grundsätzlich intern geregelt. Alles, was innerhalb des Rudels passierte, blieb auch im Rudel. Und da ich nun wohl oder übel dazugehörte, würde ich mich dem fügen müssen.
Oh man, alles in mir rebellierte dagegen!
Die meisten der Regeln würde ich mir die nächsten drei Monate garantiert öfter ansehen müssen. Aber wenn ich eines wusste, dann, dass ich nur dem Alpha gegenüber rechenschaftspflichtig war. Sollte der mich je etwas fragen. Konnte mich Alan überhaupt einfach so ins Rudel aufnehmen, ohne seinen Boss, den mächtigen Alpha dabei zu haben?
Verflixt und zugenäht!
Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte mein auf Hochbetrieb arbeitendes Gehirn. Das durfte einfach nicht wahr sein! Alan war doch nicht etwa ein echter Alpha? Dass er sich wie einer aufführte, hieß doch nicht, dass er einer war, oder? Oder?
„Sag mir bitte, dass du nicht der Obermacker von dem Rudel bist.“ Er lachte leise, sein Blick blieb jedoch eisig. „Ich bin nicht der Obermacker von diesem Rudel…“, sagte er betont langsam, „… aber sag du mir, warum du diese Lüge hören willst.“ Hastig sprang ich auf, wobei der Stuhl bedrohlich wankte. „Du?“ Ich klang hysterisch, na und? „Ja, ich. Jetzt, nachdem das geklärt ist, beantworte mir eine Frage.“ Wie fand er denn neben seinem Job noch die Zeit, ein Rudel zu regieren? Da hatte ich mir aber eine verflixt beschissene Brühe eingebrockt. Und jetzt durfte ich die auslöffeln.
Das war so was von unter aller Kanone!
Ich unterstand ihm ! Das hieß, seinem Gesetz! Wenn er meiner überdrüssig wurde, könnte ich einfach verschwinden, ohne dass die menschlichen Behörden eingriffen. Ich hatte dieses Stück Papier unterschrieben; als seine Partnerin. Hieß das, ich war für die nächsten drei Monate sein Alphaweibchen? Jesses, war mir schlecht. Aber blieb mir überhaupt eine Wahl? „Dann frag.“ Verdammt! „Wo ist die Statue?“ Ach du heiliges Kanonenrohr! Hatte ich mich verhört? Jegliche Farbe lief mir aus dem Gesicht in die Füße.
Ganz ehrlich, ich fühlte es.
„Was?“ Ich piepste wie ein Mäuschen, was mir gar nicht ähnlich sah. „Die Statue. Ungefähr so groß…“, er zeigte mit Daumen und Zeigefinger einen mir sehr bekannten Abstand an, „… ein Rubin, eingewunden in Gold? Klingelt da was bei dir?“
„Nö.“ Spontan schüttelte ich den Kopf. „Lüg mich nicht an.“
„Tu ich nicht.“ Sollte er mir doch das Gegenteil beweisen. Ich hatte es noch gar nicht richtig ausgesprochen, da packte er mich am Arm, und ich flog mit einem lauten Krachen gegen die Tür. Uff, mein Rücken. Ächzend landete ich mit dem Bauch voran auf dem Fußboden. Sämtliche Luft entwich meinen Lungen. Für einen winzigen Moment sah ich Sternchen. Ich hatte alle Mühe, wieder Luft zu holen, während ich versuchte mich aufzurappeln. Doch dazu kam ich gar nicht. Schneller als erwartet saß er auf meiner Taille. Seine Füße hielten meine Knöchel am Boden, so dass ich meine Stiefel nicht in seinen Rücken rammen konnte. Seine Hände hielten meine Handgelenke umfasst. „Hältst du mich für blöd?“
Darf ich lügen?
Ich entschloss mich, nichts zu sagen. Das war auch einfacher, denn noch immer bekam ich kaum Luft. „Ich frage dich noch einmal, wo ist die Statue? Ich weiß, dass du sie hast.“ Nun, jetzt musste ich nicht lügen. „Ich habe sie nicht!“, quetschte ich mühsam zwischen meinen Zähnen hervor. „Gut. An wen hast du sie verkauft?“ Zischend holte ich Luft, aber es war zu wenig. Verdammt! Woher wusste er das überhaupt? „Ich kriege keine Luft!“, japste ich, heftig nach Sauerstoff schnappend. Er rutschte ein wenig nach hinten, so dass er nun auf meinem Hintern hockte. Mehr bewegen konnte ich mich dadurch auch nicht, aber zumindest konnte ich nun etwas Sauerstoff tanken. „Antworte mir. An wen hast du sie verkauft?“
„Hab ich nicht. Ich habe diese blöde Statue nicht!“ Das entsprach der Wahrheit. „Hmm…“ In dem Moment drehte er meinen linken Arm so, dass ich dachte, er würde ihn mir jeden Moment brechen. „Sicher?“, schnurrte er, „Vergiss nicht, was ich bin und was du bist. Ich könnte dir aus Versehen den Arm brechen. Ohne Mühe. Du gehörst zum Rudel, und ich bin dessen Gesetz.“ Die Spannung in meinem Ellenbogen wuchs und ich wusste, dass er das durchaus so meinte, wie er es sagte. „Ich habe sie wirklich nicht! Lass mich los und ich sage dir, was ich weiß.“ Alan knurrte, aber die Spannung in meinem Arm löste sich. Nur los ließ er ihn nicht. Stattdessen verschränkte er meine Handgelenke vor meinem Kopf, was dazu führte, dass er fast auf mir lag. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. Mir war auf einmal furchtbar warm. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn.
Читать дальше