Es sei denn, Laura würde plötzlich einen Anfall von Kochwut bekommen und immer noch anwesend sein, wenn ich heimkam. Zu schade, dass Laura überhaupt nicht kochen konnte. Sie würde es sogar schaffen, einen Topf mit Wasser anbrennen zu lassen. Zu ihrer Entschuldigung sei gesagt, dass ihr Ordnungsfimmel das wieder wettmachte.
Ich bezahlte, nahm das Tablett aus dem Automaten und balancierte es zum Tisch in der hintersten Ecke, in der Wiesel genüsslich einen Burger verspeiste, setzte es geräuschvoll ab und nahm Platz. „Lass es dir schmecken.“, murmelte ich bissig, was ihm wie erwartet am Hintern vorbeiging. „Hm.“, war seine kauende Antwort, gefolgt von dem Wedeln seiner Hand, das ich essen sollte. Innerhalb von nicht mal zehn Minuten verputzte er zehn Burger, wobei ich mich nicht das erste Mal fragte, wohin er die aß. Wiesel besaß die kleine, schlanke Statur eines Teenagers. Vor dem Wachstumsschub.
Aber immerhin stopfte auch ich fünf Burger in mich, bevor ich satt war. Zufrieden lehnte ich mich zurück und wartete, dass Wiesel mir den Grund unseres Treffens mitteilte. Doch ehe er anfing, tupfte er sich wie ein weltgewandter Bürger in einer sehr vornehmen Art den Mund mit der Serviette ab, zerknüllte sie und warf sie auf sein Tablett. „Du kannst dir sicher denken, warum du hier bist.“ Ähm, weil er Hunger hatte? Ungeduldig wedelte er mit der Hand, wobei er sich tief über den Tisch beugte, um meinem Gesicht näher zu sein. „Du bist jetzt das Liebchen von Garu, hm?“ Nur für die nächsten Wochen, aber das musste Wiesel nicht wissen. Sein nächster Satz enthüllte allerdings genau das. Mist!
Ich vergaß immer wieder, dass er von Geheimnissen lebte. Vermutlich wusste er sogar, dass ich nicht mehr im Besitz der Statue war.
Ich versuchte, ruhig zu bleiben, auch wenn ich innerlich sehr nervös geworden war. „Sagen wir mal, ich erwähne gegenüber niemandem, dass du und dein Loverboy Schindluder mit Bingham treiben. Was bist du bereit dafür zu tun?“ Oh, jetzt wusste ich ganz genau , warum wir nicht auf der Straße waren. Wiesel hoffte, dass ich in einem Geschäft kein Aufsehen erregen würde. Tja, da hatte er falsch gedacht. „Du miese, kleine Ratte!“, zischte ich, packte ihn am Kragen und zog ihn noch näher an mich heran. Dass dabei der Tisch wackelte, war mir vollkommen egal. „Willst du, dass ich das tue? Du musst es nur sagen. Komm schon, mir ist danach irgendwas kaputt zu machen.“, bettelte ich, aber Wiesel starrte mich nur mit seinen dunklen Knopfaugen an und lächelte grimmig. „Das willst du nicht tun, Sam. Bingham würde es sich einiges kosten lassen zu wissen, dass ihr ihn hintergeht.“ Da war was dran. Außerdem brauchte ich Wiesel noch. Es war nicht einfach, jemanden zu finden, der einem gelegentlich brauchbare Tipps gab.
Aber nicht einfach , hieß noch lange nicht unmöglich .
Wiesel wusste das.
Er musste also einen Grund haben, diese miese Tour bei mir abzuziehen. Ich hoffte nur, ich irrte mich nicht. „Tu was du willst. Ich für meinen Teil bin weg.“ Ohne Hast ließ ich ihn los, rückte seinen Kragen zurecht, strich das braune Oberteil über seiner schmalen Brust glatt, zupfte ein imaginäres Fussel ab, stand auf und ging. Das kleine Glöckchen über der Tür bimmelte leise, als die Tür hinter mir zufiel.
Draußen zog ich die Jacke zu, schaute in den Himmel, der sich zusehends mit dunkelgrauen Wolken einkleidete, stopfte die Hände in die Tasche und machte mich langsam auf dem Weg zu meinem Motorrad. Wiesel gab ich maximal zehn Minuten. Er musste etwas von mir wollen. Denn eigentlich war er nicht der Typ, der seine Leute mit Informationen erpresste. Oder ich war bisher nicht in den Genuss dieser miesen Masche gekommen.
Meine schweren Lederstiefel donnerten auf dem Gehweg, obwohl ich auch absolut geräuschlos laufen konnte.
Wenn ich wollte.
Und wenn ich nicht sauer war.
Wiesel brauchte nur vier Minuten. „Bleib doch mal stehen.“, schnaufte er, offenbar beleidigt, weil ich ihn hatte sitzen lassen. Stehen blieb ich nicht, aber ihm zuliebe lief ich ein wenig langsamer. Dabei verdiente er das gar nicht. „Was willst du noch?“, blaffte ich ihn an, „Wir sind fertig miteinander.“ Mit seinen kurzen Beinen hatte er Mühe mit mir mitzuhalten. „Sam, ich wollte doch nur einen kleinen Handel vorschlagen. Kein Grund gleich wütend zu sein.“, jammerte er vorwurfsvoll, was mich dazu brachte doch anzuhalten. Ich stemmte die Hände die Hüften. „Ach ja? Was springt für mich dabei raus?“ Wiesel fuhr sich tief Luft holend mit beiden Händen durch die nicht vorhandenen Haare. „Dein Geheimnis ist bei mir sicher.“ Also wollte er mich doch erpressen.
Ich ließ meine Hände wieder in die Jackentaschen verschwinden und setzte an zu gehen. „Sam, nein, warte. Du bekommst die nächsten zwei Infos gratis. Was meinst du?“ Das klang doch schon besser. „Die nächsten fünf.“ Ich konnte an seinem Gesicht sehen, wie angestrengt er nachdachte. „Drei.“ Ich überlegte, entschied mich aber, dass drei eine ganz gute Zahl sei. Also schlug ich ein. Auf der Straße galt ein Handschlag ebenso viel wie eine Unterschrift. Wenn man sich in der heutigen Zeit auf etwas verlassen konnte, dann auf die Gesetze der Straße. „Ok, was willst du?“
Wiesels Miene verzog sich in verschiedenen Erregungsstufen. Erst wirkte er bedrückt, dann verärgert und jetzt nur noch angepisst. „Devereaux ist dir ein Begriff, oder?“ Ja, war er. Schon ein komischer Zufall, dass mich die Witwe Devereaux - oder vielmehr deren geerbten Reichtümer - momentan ebenfalls interessierten.
„Gordon Devereaux, der vor kurzem verstorbene Multimillionär. Nur, dass wir auch vom selben sprechen.“, bestätigte Wiesel mein Kopfnicken. „Ja, ich weiß, wen du meinst. Er ist tot. Selbst ich kann ihn nicht mehr lebendig machen.“, zuckte ich mit den Schultern. Wiesel grinste bitter. „Eben. Aber er hat noch Schulden bei mir. Straßenschulden. Du weißt, es gibt nichts Schriftliches. Aber seine Witwe, diese Nicoletta, will davon nichts wissen. Sie hat mich einen Bettler und Hausierer genannt. Diese aufgeblasene, Schwanz lutschende Schlampe!“ Wütend spuckte er aus. „Vielleicht hättest du etwas anderes anziehen sollen?“, überlegte ich laut, was mir einen feindseligen Blick einbrachte. Angewidert schüttelte er den Kopf. „Meinst du, ich kenne die Etikette nicht? Hältst du mich für blöd? Nur weil ich auf der Straße nicht mit Anzug rumrenne, heißt das nicht, dass ich keinen besitze.“ Getroffen zuckte ich zusammen. Er hatte Recht, aber manchmal war mein Mund eben schneller. „Nichts für ungut.“, murmelte ich entschuldigend, was Wiesel mit einem weiteren Handwinken abtat. „Die Sache ist die Sam… ich will mein Geld. Ob mit oder ohne ihr Einverständnis. Wenn du zusagst, hast du morgen die Pläne. Es wäre nett, wenn du ...“ Ich lächelte zynisch. „Wenn ich ihr klarmache, dass die Gesetze der Straße für jeden gelten?“ Wiesels Augen blitzten auf, was für mich die gleiche Bedeutung hatte wie ein Nicken. „Wie viel schuldet er dir?“
„Zwei Sätze.“ Das hieß, zwei Informationen zum Normaltarif. Eine ordentliche Summe. „Geht klar.“ Erfreut zog er seine Augenbrauen nach oben und nickte bestätigend. „Besorg mir die Pläne, den Rest erledige ich. Bis dann.“ Er tippte sich zum Gruß die Finger an den Kopf. „Yo, later. Es war mir wie immer eine Freude mit dir Geschäfte zu machen, Sam.“
Wiesels Pläne wären ihr Geld wert, wenn ich welches hätte bezahlen müssen. Und da ich diesmal zwei Fliegen mit einer Klappe – mein eigenes Vorhaben und einen Job – kombinieren konnte, strich ich wiederholt ehrfürchtig über das Papier.
Devereaux’ Anwesen war eine Festung.
Allein die Einfahrt besaß sieben Bewegungsmelder, ein Tor, zehn Kameras und acht Wachen. Im Innenbereich liefen weitere Wachleute mit Hunden ihre Runden. Um das Anwesen herum waren ebenfalls Bewegungsmelder angebracht. Außerdem Infrarotkameras und Geräusch- und Vibrationsdetektoren auf den Außenmauern. Da hinein kam noch nicht mal eine Maus unbemerkt. Zu blöd: Ich musste da hinein!
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