Er war charmant gewesen.
Gut, immerhin noch neun.
Die eine würde mit Sicherheit dran glauben müssen. Eine stinkreiche Witwe mit langen braunen Haaren, die ihr fast bis zu ihrem wohlgeformten Po reichten. Hinter ihren Ohren, ganz klein, aber für mich sehr gut erkennbar, waren kleine Narben zu sehen gewesen. Kein Wunder also, dass sie aussah wie 17, obwohl sie sicher schon doppelt so alt war. Allerdings bei weitem noch nicht so alt wie ihr verstorbener Gemahl. Allein der Gedanke mit einem verwelkten Opi ins Bett zu gehen, selbst wenn der Millionen auf der hohen Kante hatte, brachte mich zum Würgen. Doch nicht deswegen stand sie auf meiner Liste: Sie war eine derjenigen gewesen, die mir nicht nur giftige Blicke, sondern auch ebensolche Worte zugeworfen hatte.
Nach einigem Nachdenken überrollte mich doch der Schlaf. Ich träumte von Alan, der, in einen blauen Sari gewickelt, zwischen diversen Frauen lag und von einer Operndiva ein Ständchen geträllert bekam.
Draußen regnete es. Obwohl ich schon eine Weile munter und es schon sehr später Vormittag war, hatte ich es noch nicht geschafft, mich aus meinem warmen, kuscheligen Bett zu quälen. Gähnend stutzte ich, als ich Schritte im Haus hörte. Sofort setzte ich mich alarmiert auf. Eindeutig Schritte.
Das leise Klimpern von Geschirr und Besteck aus der Küche ließ mich beruhigt aufatmen. Laura war da. Mit der musste ich dringend ein paar Takte reden.
Hastig stand ich auf, kramte mir einen Pullover aus meinem Schrank, sah mich währenddessen nach meiner Jeans um, die noch genau da lag, wo ich sie gestern hingeworfen hatte, und zog mich an. Auf einem Bein hüpfend schlüpfte ich in die Socken. Noch während ich den Reißverschluss der Hosen schloss, stürmte ich aus meinem Zimmer direkt in die Küche. Laura sah mich verdattert an. „Oh, du bist da? Ich dachte, du bist bei dem Model!“ Aha, waren die News also schon bis zu ihren Ohren vorgedrungen.
Sie deutete auf einen Stuhl, angelte umständlich nach einer Tasse und goss mir Kaffee ein. „Erzähl, wie ist er?“ Ich rollte mit den Augen. „Ein Snob. Ein dämlicher, arroganter, widerlicher Snob.“ Laura riss überrascht ihre Augen auf. „Wieso gehst du dann mit ihm aus?“ Ups, hatte Alan mich nicht gewarnt, es für mich zu behalten? Aber Laura war meine Freundin… verdammt! Außerdem tat ich es ja irgendwie auch für sie.
Andererseits, wenn sie es ihrem Freund erzählte und der wiederum ... Nein, das wäre übel. Also log ich. „Laura, das war ein Scherz. Er ist umwerfend. Charmant, aufregend. Ach, ich weiß gar nicht, wie ich ihn beschreiben soll.“ Ich seufzte theatralisch, während ich verträumt an meinem Kaffee nippte.
Ich wusste wirklich nicht, wie man diesen Kerl beschreiben sollte. Außer arrogant und gut aussehend fiel mir keine Charakteristik ein, die ihm gerecht wurde. Toll! Ich hatte es verbockt. Ich log meine Freundin an. Ich hoffte nur, sie würde sich irgendwann erkenntlich zeigen, sobald ich diese Farce mit Alan beendet hatte. Im Moment jedoch freute sie sich für mich. Wenigstens eine, die sich freute.
Doch ich fand es irritierend, dass sie gar nichts anderes sagte. Zum Beispiel, dass er nicht in ihr Männerbild passte – immerhin wäre Alan ihr Date gewesen. Aber ich schob es darauf, dass sie frisch verliebt war. Da dachte man nicht mehr klar und handelte gleich recht nicht logisch. Es war also kein Wunder, dass sie es als Selbstverständlichkeit und sogar als entzückend betrachtete, dass ich mit diesem Widerling ausging. Obwohl sie weder Gestaltwandler noch Vampire mochte.
Dass er so war wie er war, konnte sie freilich nicht wissen.
Ich zog mich geschickt aus der Affäre und fragte sie, wie ihre Woche verlaufen war. Statt wie üblich von ihrer Arbeit zu schwärmen, erzählte sie mir von einem geplanten Urlaub mit ihrem angehenden Freund. Auf meine Frage, wann ich den ominösen Fremden denn endlich kennenlernte, wich sie aus. Naja, sie kannte mich eben und wollte sicher nur vermeiden, dass ich ihn mir selbst vorknöpfte um Klarheit für Laura zu schaffen. Sie feixte. „Also mal ehrlich, er ist schon unglaublich sexy.“ Diese Worte aus ihrem Mund, wow!
Sie kräuselte ihre Nase, so wie ich es an ihr mochte und stupste mir verstohlen mit dem Ellenbogen in die Rippen, bis ich begriff, dass sie von Alan sprach. „Ja, das ist er. Schlechten Geschmack kannst du mir nicht vorhalten.“, flunkerte ich, streckte ihr die Zunge heraus und nippte weiter an meinem Kaffee. „Ach, bevor ich’s vergesse. Du hast Post.“ Oh, ich war wichtig?
Cool.
Bestimmt eine Rechnung.
Vielleicht auch eine Mahnung. Ich war manchmal eben ein bisschen vergesslich.
Schulterzuckend nahm ich den Brief entgegen und wusste schon auf den ersten Blick, dass es nichts dergleichen war. Meine zuverlässige Quelle kontaktierte mich? Normalerweise war es andersherum. Und ich hatte noch gar keine Zeit gefunden mich bei ihm bemerkbar zu machen. Also, wenn das kein Wink des Schicksals war ...
Ich riss den Brief auf, überflog den Einzeiler, sah an die Uhr, dann entschuldigend zu Laura und beeilte mich so schnell wie möglich in die Spur zu kommen. Mit etwas Glück hätte ich keine Verspätung. Falls kein Stau war. Und nirgends eine Baustelle. Oder eine Demo.
Argh!
Ich hätte den Teufel nicht an die Wand malen sollen. Es gab eine Baustelle auf der Strecke. Und eine Demo.
Ich war nicht paranoid. Also hielt ich es ganz einfach für Zufälle; nicht für eine Verschwörung. Augenrollend stellte ich mein Motorrad auf ein Privatgrundstück, drückte dem skeptisch dreinschauenden älterem Herrn einen Hunderter in die Hand und versprach ihm, nicht länger als zwei Stunden in seiner Auffahrt zu parken. „Mit der Kohle kannst du von mir aus auch 12 Stunden parken. Ich pass gut auf das Schätzchen auf!“ Ich nickte dankbar und machte mich zu Fuß auf den Weg.
Ich joggte durch die Demonstranten, die es nicht störte, dass ich den ein oder anderen anrempelte, schlängelte mich durch die Bauabsperrung, was mir einige Drohungen, aber auch den ein oder anderen anerkennenden Pfiff einbrachte und war innerhalb einer viertel Stunde in der Stadt. Die letzten hundert Meter lief ich in normalem Tempo, stellte mich an die vereinbarte Ecke, stopfte meine Hände in die Lederjacke, winkelte ein Bein an und lehnte mich an die Wand. Wiesel würde bald auftauchen.
Nicht, dass er tatsächlich ein Wiesel war.
Nein, er war ein Mensch. Ein ganz normaler. Ohne Zusatz.
Aber er sah aus wie ein Wiesel mit seinen eng nebeneinanderstehenden, kleinen, schwarzen Augen, der spitzen Nase und dem spitzen Kinn. Sogar seine Haarfarbe würde passen, würde er sich nicht kahl rasieren. Seine Ohren waren mit dutzenden Ringen gespickt, wobei ich mich manchmal fragte, ob das getarnte Abhörvorrichtungen waren. In Wirklichkeit war Wiesel aber eine miese Ratte – sinnbildlich ausgedrückt – die nichts umsonst tat. Er lebte davon Informationen zu sammeln und diese zu verkaufen. Wie er das anstellte, war mir egal. Ich wusste nur, dass er gut war in dem, was er tat. Bis jetzt hatte er mich kein einziges Mal falsch informiert oder gar übers Ohr gehauen.
Wieso also um alles in der Welt kontaktierte er mich ? So lief das normalerweise nicht. Es musste wirklich wichtig sein.
Erneut schaute ich auf die Uhr. Als ich wieder aufblickte, stand er vor mir. Ich war mit meinen knapp 1,65 wahrlich nicht die Größte, aber er war sogar noch kleiner als ich. Mit seiner braunen Jacke und den wenigen Stoppeln in seinem Gesicht sah er aus wie ein jugendlicher Herumtreiber, der in einer dunklen Ecke seine Designerdrogen vertickte.
Yeah. Und ich wie sein Dealer.
„Lass uns was essen gehen. Ich brauche was im Magen.“, knurrte er. Ausgeglichen wie immer der Gute. Ich nickte und folgte ihm, die Hände weiter in meinen Jackentaschen vergraben. Man, war das kalt! Ich war froh, als er in einen Imbiss schlenderte, statt wie üblich vor einem etwas zu bestellen. „Zum hier essen oder mitnehmen?“, fragte die blecherne Stimme des Computers, in dem Wiesel seine Bestellung eingetippt hatte. In seiner gewohnt mürrischen Art drückte er auf die entsprechende Taste und teilte mir mit, dass ich die Rechnung zahlte. Arschloch . Noch ehe ich etwas erwidern konnte, drückte er die Taste für eine zweite Bestellung, so dass ich um das Zahlen gar nicht mehr drum herum kam. Ich bestellte also ebenfalls, denn von Kaffee allein konnte ich mich sowieso nicht ernähren; und daheim würde nichts Warmes auf mich warten.
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