R. R. Alval - Homo sapiens movere ~ gebunden

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"Das Leben kann ein Miststück sein: Es schnallt dir Rollerblades an, verbindet dir die Augen, schubst dich einen Abhang hinunter und sieht grinsend dabei zu, wie du auf den einzigen Baum weit und breit zurast." ~Samantha Bricks, Diebin, movere~
Eine Geschichte, die aus Samanthas plötzlich auf den Kopf gestellten Leben erzählt. Es könnte gerade eben, in der nächsten Stadt passieren – sofern es eine zweite, evolutionsbedingt weiterentwickelte Menschenrasse gäbe und Vampire, Gestaltwandler sowie diverse andere Wesen sich geoutet hätten.
Sam gehört zu dem Teil der Menschen, die movere genannt werden. Dank ihrer Fähigkeiten ist sie eine herausragende Diebin. Doch mit dem Diebstahl einer Statue, die ihr ebenfalls abhandenkommt, werden Dinge ins Rollen gebracht, die Sam nicht aufhalten kann. Mit Alan – einem unmöglichen, arroganten Gestaltwandler – zusammenzuarbeiten, passt ihr kein bisschen. Aber allein kann sie den Wettlauf gegen die Zeit nicht gewinnen. Also dann… Augen zu und durch!

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Die nächste halbe Stunde verbrachte Carol damit, mein Gesicht zu reinigen, zu pudern, zu betupfen, zu bepinseln und schließlich zu formatieren .

Nein, Quatsch! Das war was anderes.

Anschließend kämmte sie meine Haare, verwuschelte sie wieder, strich sich Gel auf die Finger und zupfte alles in Form. Das Finish bestand aus einem glitzernden Spray, das meine Haare wie einen Diamanten funkeln ließ.

Wow! Noch ein paar Klunker und ein bisschen Beleuchtung, und ich wäre das perfekte Weihnachtsambiente.

Gott sei Dank verzichtete Carol darauf, mich zu Schmuck zu überreden. Aber als ich das Endergebnis im Spiegel betrachtete, war ich selbst verblüfft. Beinah kam es mir so vor, als hätte Carol meinen Geist aus meinem alten Körper heraus- und in einen völlig neuen, mit passendem Gesicht, wieder hineingestopft. Wenn ich nicht wüsste , dass ich vor dem Spiegel stand, würde ich die Frau, die mich aus diesem heraus ansah, schlichtweg beneiden. Ich murmelte ein leises Dankeschön und drückte Carol sanft an mich. Um ehrlich zu sein, ich war sprachlos. Das kleine Wort Danke übertraf nahezu meine derzeitigen Fähigkeiten. „Du siehst einfach umwerfend aus! Dabei habe ich gar nichts gemacht.“ Carol umarmte mich, wobei sie sich für ihr jetzt eiliges Aufbrechen entschuldigte. „Alan hat gedacht, ich brauche länger. Aber du hast es gar nicht nötig, dich hinter Make-up zu verstecken. Nur ein bisschen was hier, ein bisschen was da und voilà http://browse.dict.cc/franzoesisch-deutsch/VoilÃ%A0.html… fertig. Trotzdem muss ich mich beeilen. Es hat mich gefreut, dich kennen zu lernen. Wir sehen uns bestimmt.“ Sie winkte mir zu, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

Tief einatmend ging ich zurück zu meinen Sachen, die Carol sorgfältig gefaltet und auf einen Stuhl gelegt hatte. Meine Handtasche hing über der Lehne. Zeit für ein wenig ... frische Luft. Belustigt ließ ich meine Augenbrauen hüpfen, als ich ein paar Tupfer hinter meinen Ohrläppchen, eins auf das Dekolleté, einige auf den Handgelenken und ein paar unter den Achseln verteilte. Ich wollte gut riechen – ja.

Aber nicht für Alan.

Ich verstand nicht, was er an diesem frischen, herb-süßen Duft auszusetzen hatte. Es roch kaum anders als das, was er von mir verlangt hatte zu kaufen. Nur ein wenig mehr nach Zitrone. Aber hey, was wusste ich schon, wie empfindliche Gestaltwandlernasen funktionierten?

Kaum dass ich das Parfum aufgetragen hatte, klopfte es an der Tür. Es war nicht Alan. „Hallo, Sie sind sicher Samantha. Alan kann sich wirklich glücklich schätzen, Sie an seiner Seite zu haben. Sie sehen umwerfend aus! Ich bin übrigens Sven. Kommen Sie. Sie haben doch sicher Hunger.“

Zwei Stunden lang hatte ich mir reichlich ausgemalt, wie es wohl wäre, meinen Kopf gegen eine Wand zu schlagen. Darum war ich auch das erste Mal erfreut Alan zu sehen. Ich hatte nicht gewusst, dass ein Mann Ende 30, zumindest schätzte ich Sven so ein, dermaßen schnell, ununterbrochen und viel schwatzen konnte. Nachdem er mich bereits während des Abendessens pausenlos mit kleinen Geschichten zugedeckt hatte, zeigte er mir jedes Zimmer im Haus, wobei er mir alles bis ins kleinste Detail erläuterte. Sogar Alans Schlafzimmer! Und das war weiß Gott das letzte Zimmer, was ich hatte sehen wollen. Bloß gut, dass Alan zu dem Zeitpunkt in seinem Bad gewesen war.

Laut Sven!

Nicht, dass wir nachgeschaut hätten.

Ich wusste jetzt, wann und vom wem das Haus gebaut worden, in wessen Besitz es schon gewesen war, wann die Zimmer saniert und renoviert worden waren, bei welchem Ausstatter welcher Bodenbelag, welche Tapete, welche Gardine, Lampen, Möbel und sonstiges Inventar gekauft worden war und wie viel das alles gekostet hatte. Mir schwirrte der Kopf nicht nur von den Informationen, sondern hauptsächlich von Svens lauter, fast schriller Stimme. Wenigstens galt seine Aufmerksamkeit jetzt Alan. Was nicht hieß, dass meine Ohren weniger klingelten.

Dessen Miene zeigte keine Regung bei Svens Aufzählung von Dingen, die der für ihn erledigt hatte und noch bevor er am Ende angelangt war, schickte Alan ihn fort. Mich wunderte es nicht, dass er seine Untergebenen ebenso wenig mit Nettigkeiten überhäufte wie mich.

Lediglich, dass diese bei ihm blieben.

Entweder er bezahlte sie gut oder es hing mit dieser Rudelsache zusammen. Ich konnte nämlich nicht sagen, wer ein Gestaltwandler war und wer ein Mensch. Abgesehen von den Personen, die, wie Alan, in der Öffentlichkeit standen. Ich könnte dafür eine meiner Fähigkeiten einsetzen, aber so dringlich fand ich die Angelegenheit nicht.

Erst jetzt sah ich mir Alan genauer an: Seine Garderobe passte perfekt zu meiner. Carol musste ihm einen Tipp gegeben haben. Er trug schwarze Hosen und die männliche Variante meines Oberteils: einen knöchellangen, schwarzen Changshan mit roten, filigranen Mustern; passend zu meinem Aufzug. Nur die Farben waren vertauscht. Diese lange Seidenrobe war bis zu seiner Hüfte zugeknöpft, hatte zwei Taschen und zwei seitliche Schlitze. Falls er also vorhätte, jemandem mit einem Kick ins Gesicht zu treten, würde seine Bekleidung ihn nicht daran hintern. Alan war eindeutig Sex auf zwei Beinen… aber trotzdem ein Arsch.

Er musterte mich finster. „Dreh dich um.“. So ein Idiot! „Ich denke nicht daran. Du hast zwei Beine, benutze sie.“ Er tat es nicht. Stattdessen schüttelte er den Kopf, rümpfte die Nase, drehte sich zur Tür und wies mich an, ihm zu folgen.

Vor dem Eingang stand eine weiße Limousine mit schwarzen Fenstern, deren Motor leise schnurrte. Der Fahrer öffnete mir die hintere Tür und ich war froh, als ich endlich drinnen saß. Schon das kurze Stück hatte mich frösteln lassen. Denn im Gegensatz zu Alans war mein Oberteil kurzärmelig. Mit einem ironischen Grinsen bemerkte ich dessen verzogenen Mund und seinen Entschluss, der den Fahrer die Augen aufreißen ließ. Von mir aus. Sollte er ruhig vorn sitzen.

Mehr Platz für mich!

Während der viertelstündigen Fahrt inspizierte ich ausgiebig die Inneneinrichtung des Sitzbereiches. Ich fühlte mich unbeobachtet, obwohl ich wusste, dass mich eine kleine Kamera aufzeichnete. Die getönte Glasscheibe zum Fahrerbereich war geschlossen, so dass mir zumindest Alans Anblick erspart blieb. Sollte ich die Kamera lynchen? Ich entschied mich dagegen, winkte ihr fröhlich zu und führte meinen visuellen Streifzug fort.

Wirklich edel diese Luxuskarosse.

Weiches, weißes Leder. Unter den Füßen heller Plüsch. Gold und Mahagoniverkleidung. Eine Bar, die gut gefüllt war mit erlesenen Weinen und auch härteren Getränken. Ein Flachbildschirm, die neueste Version der X-Box, ein VBSC-Player – ein Gerät, was Video- und Bildspeicherchips las – und allerlei anderer technischer Schnickschnack. Wozu waren denn die vielen Knöpfe? Ui… der große Grüne ist toll. Mein Sitz vibrierte. Kichernd ließ ich mich dagegen sinken.

Die anderen würde ich später ausprobieren, sagte ich mir, als der Wagen auch schon stoppte. Der Fahrer öffnete mir wieder die Tür, wobei er mir galant die Hand reichte, damit ich wie eine Firstlady aussteigen konnte. Alan sah mich finster an, lockerte kurz seine Schultern, knickte seinen Kopf nach links und nach rechts, schloss die Augen, holte tief Luft und war… wie gewandelt. Allerdings nur für die Öffentlichkeit.

Ein Schauer jagte mir über den Rücken, aber er ließ mir keine Zeit, dieses Gefühl zu analysieren. Seinen Arm um meine Taille geschlungen, beugte er sich zu mir herunter und flüsterte mir mit honigsüßer Stimme ins Ohr, dass ich bloß nicht vergessen sollte mitzuspielen. Er lächelte mich sehr sinnlich an, als die Fotografen rings um uns herum ein Blitzlichtgewitter fabrizierten, das mich an ein Horrorfilmszenario erinnerte. Positiv denken! Was er konnte, konnte ich schon lange. Ich legte ebenfalls meinen Arm um seine Taille, wobei ich einen winzigen Moment lang bemerkte, wie er sich versteifte. „Übertreib es nicht, Frau.“, soufflierte er mir ins Ohr, während er keinen Augenblick das perfekte Image eines verliebten Mannes ablegte. Nur sein Griff um meine Taille wurde fast schmerzhaft. Ich schenkte ihm ein verführerisch schmollendes Lächeln, blinzelte unschuldig mit den Augen und strahlte ihn an, als wäre er ein Dessert.

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