1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Jetzt erhob sich Sidonie, schritt zu dem toten Reiher, zog ihm drei seiner langen, glänzend weißen Rückenfedern aus und sagte: »Gib mir einmal deinen Hut, Ernst!« Er gab ihn ihr, und sie befestigte den stolzen Federschmuck daran. »So! da hast du auch ein Andenken an mich! Richilde hat den Reiher zwar geschossen, aber ich habe ihn doch aus dem Baume heruntergeholt, und nachher hast du mich wieder heruntergeholt; das sei dir unvergessen!«
Auch ihr dankte er für die prunkende Zier an seinem Hute. »Aber nun ist es hohe Zeit, daß ich Urlaub nehme,« sprach er dann; »ich muß noch zu deinem Vater, Sidonie. Soll ich deine Frau Großmutter von dir grüßen? – Sidonie, wenn die dich vorhin in der Buche gesehen hätte!«
»Entsetzlicher Gedanke!« lachte sie. »Spare den Gruß lieber und sage ihr nichts von unserer Begegnung.«
»Wollt Ihr zu Fuß nach Zwingenberg?« frug Richilde.
»Nein, Fräulein,« erwiderte er. »Nicht weit von hier band ich mein Rößlein an einen Baum, als ich eure Stimmen hörte und mich überzeugen wollte, was hier in unserem – in Eurem,« verbesserte er sich lächelnd – »Walde spukte.«
»Mußtet Ihr denn dazu vom Pferde steigen?« bemerkte sie schelmisch.
»Ich wollte die munteren, jauchzenden Wesen in ihren versteckten Freuden beschleichen und beobachten,« erwiderte er, »denn ich dachte, es wären Waldnymphen, die sich heimlich hier – tummelten!«
»Die Waldnymphen werden dich jetzt zu deinem Rosse geleiten; kommt!« rief Hiltrud.
Sie machten sich, von ihm geführt, auf den Weg und gingen fröhlich plaudernd im Walde dahin. Hiltrud bückte sich öfter nach einer Blume, band ein Sträußchen und steckte es dem Jugendfreunde eigenhändig vorn an das Wams. »Damit du auch von mir nicht leer ausgehst!« sagte sie; »wenn sie verwelkt sind, wirf sie weg!«
»Werde mich hüten! – da steht ja mein Brauner!« rief er, als er seines Pferdes ansichtig wurde.
Sie schritten darauf zu, und während er den Zügel vom Baume löste, umstanden es die Mädchen, betrachteten es wie mit Kenneraugen und lobten und streichelten das mutige Tier. Richilde klopfte ihm zärtlich den Hals und wandte fortan den Blick nicht mehr von Ernst, als er sich aufgeschwungen hatte und mit ritterlichem Anstand im Sattel saß. Er reichte mit freundlichen Abschiedsworten jeder die Hand, zuletzt Richilden, die er dafür desto länger festhielt. Dann ritt er grüßend ab und war bald hinter Busch und Baum den Blicken der Nachschauenden entschwunden.
Die Mädchen begaben sich zu der Buche zurück, und sich die Armbrust am Riemen über den Rücken hängend sagte Richilde: »Laßt uns nach Hause gehen, daß wir die Mittagszeit nicht versäumen.«
Hiltrud nahm den Reiher, und so gingen sie in der Richtung, wo die Minneburg lag.
Richilde war unterwegs wortkarg und in sich gekehrt, aber schwerlich fühlte sie Reue über den verübten Jagdfrevel, denn sie lächelte zuweilen still und verstohlen.
Auch Ernst kam während seines einsamen Rittes das ergötzliche Abenteuer mit den drei schönen Burgfräulein nicht aus dem Sinn, und er pries den Einfall, Frau Julianens verpfändeten Wald zu besuchen, als einen sehr glücklichen. Auch er gedachte noch einmal der lustigen Einzelheiten bei seinem Rettungswerke in der großen Buche, das mit der schlank gewachsenen, aber voll und kräftig gebauten Sidonie wahrlich kein leichtes Stück gewesen war. Am lebendigsten aber stand ihm Richildens holdselige Erscheinung vor Augen; wiederholt rief er sich die wenigen Worte, die sie zu ihm gesprochen, in das Gedächtnis zurück und beklagte das Zerwürfnis ihrer Mutter mit seiner Familie, das allen Verkehr unter ihnen abgeschnitten hatte, und dem er, wenn er könnte, gern ein versöhnendes Ende machte.
Kurz vor Mittag traf er auf Burg Zwingenberg ein und richtete seine Botschaft an Herrn Engelhard von Hirschhorn aus, konnte ihm aber über den Zweck der gemeinsamen Beratung keine Auskunft geben.
»Ja, was geht denn bei euch vor?« frug Herr Engelhard, »sollen wir in Wehr und Waffen kommen, gerüstet und schlagfertig?«
»Weiß ich auch nicht!« gab Ernst, verdrossen über seinen unverschuldeten Mangel an Kenntnis der Sachlage, dem Ritter zur Antwort.
Bei dem Mittagsmahle der Familie an welchem Ernst auf die Einladung seiner Wirte teilnahm, kam das Gespräch auch auf Sidonie. Ihre Großmutter, Frau Margarete von Handschuchsheim, frug Herrn Engelhard mit spitzem Tone, wobei sich die Falten ihres bleichen, scharf geschnittenen Gesichts zwischen den Augenbrauen und an den Nasenflügeln merklich vertieften, wie lange er seine Tochter noch auf der Minneburg zu lassen gedächte.
»So lange es ihr dort gefällt,« gab Engelhard seiner Schwiegermutter kurz und bestimmt zur Antwort.
»Da werden wir sie wohl etwas verwildert wiederbekommen,« bemerkte die Dame mit herausfordernder Miene.
»Wieso, Frau Schwieger?«
»Nun, man weiß ja, wie es auf der Burg der Minne bei den lustigen Damen, die dort hausen, zugeht.«
»Was wißt Ihr davon?« frug Engelhard gereizt.
»Gesehen hab' ich's nicht, aber desto mehr davon gehört, mit welch übermütigen Ergötzungen sie sich die Zeit vertreiben,« erwiderte sie.
»Wollt Ihr denn niemals der Jugend ihr Recht gönnen?« fuhr er barsch heraus.
»Ihr Recht!« wiederholte sie mit einem stechenden Blick, »Ihr wißt wohl, Herr Sohn, daß unsere Meinungen über Recht und Unrecht weit auseinander gehen.«
»Gott sei gelobt, ja, das tun sie!« lachte der Ritter, »und meine Tochter ist nicht dazu angelegt, eine Nonne zu werden.«
»Aber Zucht und Sitte muß sie lernen,« eiferte Frau Margarete mit steigender Heftigkeit, »und die werde ich ihr beibringen, wenn es kein anderer tut und sie just nicht das beste Beispiel vor Augen hat.«
»Meint Ihr damit mich oder Julianen?« frug er mit behaglichem Spott.
»Nehmt's nach Belieben, Herr Sohn!« entgegnete sie wegwerfend.
»So will ich Euch sagen, Frau Schwieger,« brauste der Ritter auf, »daß ich meine Kinder auch nach meinem Belieben erziehe und nicht nach dem Euren. Und wenn die Mädchen auf der Minneburg den ganzen Tag von früh bis spät singen und springen, reiten, schießen und fechten und meinetwegen auf die Bäume klettern und sich die Kirschen selber pflücken, – mir soll's recht sein. Was sagst du, Ernst?« wandte er sich zu diesem, »möchtest du einmal eine Frau haben, die besser spinnen als reiten kann? Dazu rate ich dir nicht; lieber zu toll, als zu fromm!«
»Tugendhafte Grundsätze!« bemerkte Margarete mit einem höhnischen Zug um den Mund.
Ernst hätte fast laut aufgelacht, als der Ritter von ›auf die Bäume klettern‹ sprach; aber er faßte sich und erwiderte höflich: »Lieber Oheim, du bist mir in allen ritterlichen Dingen ein so treffliches Vorbild, daß ich mich stets bemühen werde, deinem guten Rate zu folgen.«
Ein böser Blick Margaretens strafte ihn für diese Kühnheit. Aber Engelhard klopfte ihn auf die Schulter und fügte: »Recht so, mein Flaumbart! dabei wirst du allezeit gut fahren!«
Frau Anna, des Ritters Gemahlin, der das Wortgefecht zwischen diesem und ihrer herrschsüchtigen Mutter in Ernsts Gegenwart außerordentlich peinlich gewesen war, benutzte den Abschluß desselben, die Unterhaltung auf einen anderen Gegenstand zu lenken, was ihr auch unschwer gelang. Bald darauf erhob man sich vom Tische, und nach einem kurzen Verweilen noch empfahl sich Ernst.
Er ritt nach der Burg Stolzeneck, traf aber hier Herrn Albrecht von Erlickheim nicht zu Hause und erfuhr, daß dieser auch morgen noch nicht zurück sein würde und daher an der Zusammenkunft auf der Mittelburg nicht teilnehmen könnte. Ernst machte sich ohne Verzug auf den Heimweg und war gegen Abend wieder auf der väterlichen Burg, sehr befriedigt von dem Verlauf dieses Tages.
Als er seinem Vater von dem, was er ausgerichtet hatte, Mitteilung machte, sah Frau Katharina die Reiherfedern am Hute des Sohnes und frug nach deren Herkunft. Da erzählte er seine Begegnung mit den drei Fräulein in Frau Julianens verpfändetem Walde; doch von seiner Befreiung Sidoniens aus der Buchenkrone sagte er natürlich kein Wort.
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