Mein Volk schien dagegen meine Gräueltaten vergessen zu haben. Dies war auch kein Wunder, da sie unter den Spaniern sehr zu leiden hatten, deren Gräueltaten fast noch schlimmer waren, als die meinen. Außerdem hatte außer den Gräueltaten auch diese Pocken Krankheit, die die Bleichgesichter mitgebracht hatten, mein Volk fast komplett ausgelöscht.
Dann traf ich einen alten Kriegskameraden, der mir zwei Dinge berichtete. Erstens hatten die Spanier, Cuauhtémoc, den letzten Huey Tlatoani, hinrichten lassen. Es gab das mächtige Volk der Mexica also nicht mehr. Sie waren nur noch die Sklaven der Bleichgesichter. Auf jeden Fall diejenigen, die die Kriege und die Pocken überlebt hatte, was offensichtlich nicht sehr viele waren. Das zweite was ich erfuhr und das brachte mich noch viel mehr in Rage, war die Tatsache, dass der Winzling, der mich besiegt und getötet hatte, meine heiß geliebte Tochter nicht nur entführt hatte, sondern sie auch offensichtlich nach Spanien verschleppt hatte.
Dies war dann der Funke, der mich aus meiner Lethargie riss. Ich beschloss, ich würde ihn finden und meine Tochter zurückholen. Dann würde ich ihn töten. Diesmal würde ich mich nicht von ihm überraschen lassen. Das Leben in der Natur hatte mich eher noch stärker gemacht, nicht zu vergessen der Kraft, die mir meine zweite Natur gab.
Nachdem ich meinen ehemaligen Kriegskameraden getötet hatte, nahm ich seine Stelle ein. Er hatte den Auftrag zu der Stadt der schwimmenden Häuser, die die Spanier Veracruz nannten, zu gehen. Das machte dann ich an seiner Stelle. Der Auftrag, den er zu erledigen hatte, war dann auch sehr schnell erledigt, und so ließ ich mich als Sklave auf eines ihrer schwimmenden Häuser, die sie Schiffe nannten, bringen, das bald in ihre Heimat zurückkehren sollte.
Die lange Reise auf diesem Schiff machte es natürlich für mich sehr schwierig, fast sogar unmöglich, meine zweite Natur zu kontrollieren. Zum Glück waren die Spanier von dem Gold und den Frauen meines Volkes so berauscht, dass es ihnen gar nicht auffiel, dass jede dritte Nacht einer ihrer Sklaven fehlte. An den Spaniern selbst vergriff ich mich niemals. Da war das Risiko einfach zu hoch.
Endlich kamen wir dann in Spanien an. Mein Problem war jedoch, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht sehr viel Spanisch sprach und es mir deshalb unmöglich war, die Verfolgung des Winzlings sofort aufzunehmen. Ich wusste durch Unterhaltungen auf dem Schiff, dass in Spanien entlaufene Sklaven gnadenlos gejagt wurden. Ich beschloss daher zuerst weiter in der Sklaverei zu verbleiben, bis ich dieser Sprache mächtig sein würde. Ich hatte dabei Glück. Durch meine Größe und meine Kraft wurde ich in der Landwirtschaft eingesetzt. Dadurch war ich praktisch immer in der freien Natur, wodurch meine zweite Natur nicht auffiel. Trotzdem beeilte ich mich, die spanische Sprache zu lernen. Mein Fleiß fiel auch dem Plantagenbesitzer auf, der dies als eine Art Anpassung an die überlegene Kultur der Spanier sah und mich aufgrund dessen zum Vorarbeiter ernannte. Dies brachte mir einige für mich sehr wichtige Privilegien ein. So konnte ich mich innerhalb der Plantage fast komplett frei bewegen. Auch in der Nacht. So lief ich nicht in die Gefahr, dass meine zweite Natur entdeckt wurde. Vor meiner Ernennung zum Vorarbeiter war es oft sehr knapp gewesen, sodass es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis ich entdeckt geworden wäre. Einmal hatte ich sogar einen Spanischen Aufseher, der mich entdeckt hatte, töten müssen. Zum Glück war seine Leiche niemals gefunden worden.
In weniger als einem Jahr war ich in der Spanischen Sprache fast perfekt, sodass ich mich meinem Ziel wieder zuwenden konnte, meine Tochter aus den Klauen des Winzlings zu befreien.
Ich musste aber erst wieder frei sein und zwar so, dass ich möglichst nicht gejagt werden würde. Da hatte ich eine Idee. Es gab in der Plantage einen weiteren Sklaven, der ähnlich groß war, wie ich. Er war jedoch aus Afrika und durch das war seine Hautfarbe wesentlich dunkler, als die meine. Seine Kleidung bestand nur aus Lumpen, während ich als Vorarbeiter wenigstens ein Hemd und eine Hose, sowie Schuhe besaß. Eines Abends bat ich deshalb diesen Sklaven zu mir. Er hieß Kudda, wobei ich aber nicht weiß, ob dies wirklich sein Name war. Er war des Spanischen überhaupt nicht mächtig und „Kudda“ war das einzige Wort, was man bei ihm verstehen konnte, weshalb wir ihn einfachheitshalber so nannten. Er kam also zu mir und versank vor Ehrfurcht fast in den Boden. Als ich ihm dann auch meine komplette Kleidung schenkte, war er ganz außer sich vor Freude. Er zog sie auch gleich an. Sie passte ihm, wie angegossen. Ich wartete, bis er wieder gegangen war, dann leitete ich die Verwandlung in meine zweite Natur ein. Kaum war ich damit fertig, nahm ich die Verfolgung von Kudda auf, den ich auch kurz später direkt vor mir gehen sah. Ich sprang ihn an und mit einem gezielten Biss trennte ich seinem Kopf von seinem Körper. Ich vergrub den Kopf tief in der Erde, wo man ihn wahrscheinlich nie mehr wieder finden würde. Dann begann ich Kudda in wilder Raserei zu zerfleischen, sodass er am Ende fast nicht mehr als menschliches Wesen zu erkennen war. Dabei achtete ich jedoch darauf, dass trotz aller Raserei meine Kleidung noch erkennbar blieb. Man sollte ihn ja für mich halten. Ich wäre dann tot. Tot und frei und Kudda würde als mein Mörder gejagt und niemals gefunden werden.
*
Nur mit einem Lendenschurz gekleidet, floh ich aus der Plantage. Ich rannte die ganze Nacht und brachte dadurch viele Kilometer zwischen die Plantage und mir. Dann am frühen Morgen sah ich ein Lager, an dem zwei Mönche schliefen. Keiner von beiden war auch nur annähernd so groß, wie ich, aber es war besser, als gar nichts, also überfiel ich die beiden und tötete auch sie. Dann nahm ich dem größeren der beiden die Kutte ab, mit der ich mich mühsam bekleidete. Zum Glück hatten diese Kutten einen weiten Schnitt, sonst hätte ich wohl unmöglich hineingepasst. Ich vergrub die beiden Leichen tief in der Erde, dann machte ich mich wieder auf den Weg.
Ich hatte durch meinen Kriegskameraden erfahren, dass der Winzling in einer Stadt namens Salamanca lebte. Ich wusste, dass diese Stadt irgendwo westlich von meiner momentanen Position liegen musste, also beschloss ich nach Westen zu gehen. Trotz dass mir die Kutte des getöteten Mönchs natürlich viel zu klein war, brachte man mir auf dem Weg sehr viel Erfurcht entgegen. Niemand schien etwas zu spüren. Es schien ihnen auch nicht seltsam zu erscheinen, dass ein riesiger Mönch mit deutlich dunklerer Hautfarbe in einer viel zu kleinen Kutte durch das Land wanderte und nach dem Weg nach Salamanca fragte. Es schien öfters vorzukommen, dass Mönche in Kutten herumliefen, die ihnen so gar nicht passten. Die Verkleidung war also perfekt.
Nach drei Tagen wusste ich genau, wo Salamanca lag, und kam dem Ziel mit jedem weiteren Tag deutlich näher, bis ich endlich in dieser Stadt ankam. Meiner Meinung nach war Salamanca nicht so schön, wie Tenochtitlán, hatte aber doch seinen Reiz. Ich war beeindruckt, dass die Spanier so etwas fertig gebracht hatten.
Das Eindrucksvollste in Salamanca waren jedoch die Menschen selbst. Ich hatte noch niemals solch eine Vielfalt von verschiedenen Menschenrassen gesehen, nicht einmal in Tenochtitlán.
Ich machte mich auch gleich auf die Suche nach dem Winzling. Ich wusste lediglich, dass er ein Adliger war und hier in Salamanca lebte. Die Suche würde also wohl etwas länger brauchen. Ich musste also irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen, um hier überleben zu können. Also ging ich in Richtung des Zentrums von Salamanca und stand plötzlich vor der größten Baustelle, die ich jemals gesehen hatte. Nicht einmal diejenige der großen Pyramide von Tenochtitlán war ähnlich groß gewesen. Es wurde an dieser Baustelle eine große Kirche gebaut. Wie es sich später herausstellte, war es das Kloster San Esteban, dass dort gebaut wurde. Hier würde ich sicher Arbeit finden. Ich musste dazu aber erst einmal die Kutte loswerden, denn einem Mönch würde wohl keine körperliche Arbeit zugetraut werden.
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