1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 „Was denn?“ –
„Dass auch mal eine Frau ihren Mann loswerden will – das kannst du dir wohl nicht vorstellen.“ –
„Das kommt vor.“ –
„Na also. Wie wird sie ihn los?“ –
„Verstoßen kann sie ihn nicht. Sie kann auch nicht wie er heiraten, ohne sich vorher scheiden zu lassen. Die einzige Möglichkeit, die sie hat, ist eine reguläre Scheidung. Sie darf erst eine neue Beziehung eingehen, wenn ihr Mann ihr eine Scheidungsurkunde ausgestellt hat.“ –
„Und das macht er wohl nicht?“ –
„Wenn sie im Recht ist, wird ihm kaum etwas anderes übrig bleiben.“
Eine Frau hat durchaus das Recht, von ihrem Mann die Scheidungsurkunde zu fordern. Es genügt freilich nicht, dass sie keine Lust mehr hat für ihn zu kochen oder dass ihr ein anderer Mann besser gefällt. Ein anerkannter Scheidungsgrund muss schon sein. Aber davon gibt es doch immerhin eine ganze Reihe. Hier sind sie:
- Der Mann verweigert den Geschlechtsverkehr, oder er ist impotent.
- Der Mann erweist sich als grausam.
- Der Mann will die Frau zu einem unzumutbaren Gelübde zwingen.
- Der Mann hat eine abstoßende, unheilbare Krankheit, besonders eine, die zu ekelhaftem Hautausschlag führt, beispielsweise Lepra.
- Der Mann ist Kotsammler, Gerber oder Abdecker. Den Gestank dieser Leute kann man keiner Frau zumuten – selbst dann nicht, wenn sie sich bei der Eheschließung noch zugetraut hat, ihn zu ertragen.
- Der Mann beabsichtigt, die Lebensbedingungen grundsätzlich zu verändern, auf die sich die Frau bei der Eheschließung eingelassen hat. Das ist der Fall, wenn er vom Land in die Stadt zieht oder von der Stadt auf das Land. Oder auch, wenn er einen anderen Beruf annimmt.
- Die Besiedlung des Verheißenen Landes hat Vorrang vor der Ehe: Wenn die Familie im Ausland lebt und die Frau nach Palästina ziehen will, er aber nicht, dann muss er sie mit Scheidungsbrief ziehen lassen. Leben beide bereits in Palästina, muss sie ihm nicht ins Ausland folgen.
Freilich: Selbst wenn einer dieser Gründe vorliegt – in den meisten Fällen wird die scheidungswillige Frau vor den Konsequenzen zurückschrecken. Wovon soll sie als alleinstehende Frau leben? „Gleiche Arbeit, gleicher Lohn“ gilt nicht: Eine Frau erhält für dieselbe Arbeit weniger als die Hälfte dessen, was einem Mann zustehen würde. So wird sie nach ihrer Scheidung wohl oder übel zu ihrer Herkunftsfamilie zurückkehren müssen – und die dürfte in der Regel wenig begeistert sein. Oft bleibt der Frau schließlich kein anderer Ausweg als die Prostitution.
Witwen
(j62 150, ma87 83)
„Wird eine Frau denn wenigstens unterstützt, wenn ihr Mann stirbt?“ –
„Eine Witwe darf in der Regel im Haus ihres Mannes wohnen bleiben und von seinem Vermögen leben – sofern er eines hatte.“ –
„Wäre es da für die Frau nicht praktischer, ihrem Mann diskret ein wenig Gift in den Wein zu träufeln, als sich von ihm scheiden zu lassen?“ –
„Wo denkst du hin! Sie fürchtet das Strafgericht Gottes. Kein Haar wird sie ihm krümmen, egal wie sehr sie ihn hasst. Erst recht nicht, wenn sie ihm noch keinen Sohn geboren hat. Dann muss sie nämlich nach seinem Tod seinen Bruder heiraten.“ –
„Wie bitte? Sie muss den Bruder ihres Mannes heiraten?“ –
„Ja.“ –
„Und der Bruder – muss er sie heiraten, auch wenn er sie nicht will?“ –
„Nein. Er hat die Wahl, sie nicht. Sie darf nur dann einen anderen Mann heiraten, wenn ihr Schwager ausdrücklich auf sie verzichtet.“
Diese Regelung gilt sogar bereits vor der Ehe. Schließlich ist die Frau schon im Verlobungsjahr ihrem künftigen Mann fest versprochen. Als Josef erfuhr, dass seine Verlobte Maria schwanger war, hätte er sie des Ehebruchs bezichtigen können, obwohl die beiden noch gar nicht verheiratet waren.
Gut, Alex. Eine Jüdin in der Welt Jesu ist also ein armes, unterdrücktes Wesen. Und heute geht es den Frauen ganz prächtig. Das willst du doch sagen, oder nicht?“ –
„Aber ich sagte doch, völlig unterdrückt sind die Frauen in der Welt Jesu keineswegs. Die Männer müssen schon auf ihre Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Eine Frau hat Anspruch auf Nahrung, Medizin, Kleidung und Unterkunft. Ihr Mann muss ihr ein Taschengeld geben. Und wenn sie stirbt, muss er für ein anständiges Begräbnis sorgen. Ist das vielleicht nichts?“
Es gibt in der Welt Jesu bestimmt Frauen, die glücklich sind. Aber alles in allem wissen die Weisen sehr wohl, wovon sie sprechen, wenn sie sagen: „Gepriesen sei Gott, dass er mich nicht als Frau erschaffen hat.“
* * *
Jesus sagt: „Wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.“ Wir sollen doch solche biblischen Sätze aus dem Kontext der Zeitumstände heraus verstehen, nicht wahr? Nun, im Kontext der Umwelt Jesu kann dieser Satz bedeuten: Wenn ein fünfzehnjähriges zwangsverheiratetes Mädchen von ihrem Mann weggejagt wird, weil sie nach zwei Jahren Ehe immer noch nicht schwanger ist, dann darf sie nicht mit einem neuen Partner neu beginnen. Jesus verlangt, dass sie für den Rest ihres Lebens allein bleibt.
Jetzt haben Sie den Kontext. Verstehen Sie es deshalb besser?
III. Saul beantwortet ein paar neugierige Fragen
Der schmale Streif des Mondes spendet kaum Licht, Saul kann kaum die Hand vor den eigenen Augen wahrnehmen. Aquila hält sich dicht hinter ihm.
„Gestatte eine Frage, Saul: Wer ist denn dieser Hausfreund, von dem deine Frau sprach, dieser ‘Löwe von Juda’?“
Saul bleibt so abrupt stehen, dass Aquila beinahe über ihn stolpert, fährt herum und packt ihn am Gewand: „Wie kannst du es wagen. Noch ein Wort, und ich erschlage dich auf der Stelle.“ –
„Nichts für ungut, einen kleinen Scherz wirst du mir nicht übel nehmen. Natürlich gibt es keinen Hausfreund. Wie sollte es, bei so aufmerksamen Nachbarn.“ –
„Mich von ihnen verspottet zu sehen – das war ein Schauspiel nach deinem Geschmack, nicht wahr? Ist das nicht der Stoff, mit dem man in deinem heidnischen Alexandria Theater füllt?“ –
„Ich bin kein Freund von Bauernpossen.“
Langsam löst sich der Griff des kleinen Saul. –
„Sollen sie mich ruhig verspotten. Sie haben allen Grund dazu.“ –
„Wie das?“ –
„Dass ich ihnen ausgerechnet eine Nazarenerin vor die Nase setzen muss! Dabei war die Heirat mit meiner Cousine bereits ausgehandelt. Ihre Eltern wohnen gleich neben meinen. Heute reden die Familien kein Wort mehr miteinander. Das Mädchen hat dann einen anderen Mann aus dem Dorf geheiratet und ihm drei Jungen geboren. Hätte ich damals nur auf meine Eltern gehört! Dann hätte ich heute drei Jungen und eine sanftmütige Frau statt zwei nutzlose Töchter und dieses lose Maulwerk aus Nazareth!“
„In der Tat, Sanftmut ist nun nicht gerade die hervorstechendste Eigenschaft deiner Frau. Aber warum soll es deine Nachbarn ärgern, dass sie aus Nazareth stammt?“ –
„Die Nazarener sind nirgendwo in Galiläa gern gesehen.“
„Das mag wohl so sein“, erwidert Aquila, „Wie sagt man doch hierzulande“, und, spöttisch den galiläischen Dialekt nachäffend: „‘Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen?’ Was haben sie denn angestellt, diese Nazarener?“ –
„Was sollen sie schon angestellt haben. Ihr winziges Höhlennest ist doch nicht mal 150 Jahre alt.“ –
„Ach daher weht der Wind! Heimatlose Zuzügler! Ja, da werden sie sich freilich noch ein paar Generationen gedulden müssen, bis ihr sie als euresgleichen anerkennt.“
„Einstweilen sind sie es, die uns nicht gelten lassen wollen. ‘Wenn der Messias aus Galiläa kommt’, so reiben sie es jedem unter die Nase, ‘dann aus Nazareth.’“ –
„Und wie kommen sie darauf?“ –
„Sie bilden sich ein, von König David abzustammen.“ –
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