„Und was hat ein Sklave davon, wenn er zum Judentum übertritt?“
Ein Sklave hat scheinbar auch nicht viel davon. Denn was wir oben über die heidnischen Sklaven gesagt haben (Klasse Drei), können wir fast Eins zu Eins auch auf die übergetretenen Sklaven beziehen (Klasse Zwei). Auch sie sind Sklaven auf Lebenszeit, auch ihre Kinder sind von Geburt an Sklaven. Immerhin sind sie am Sabbat von der Arbeit befreit. Und es mag sein, dass übergetretene Sklavinnen etwas besser vor sexuellem Missbrauch geschützt sind.
Der wichtigste Grund, warum viele heidnische Sklaven in jüdischen Diensten freiwillig zum Judentum übertreten, ist jedoch ein anderer: Als „Neujuden“ dürfen sie nicht mehr an heidnische Sklavenhalter weiterverkauft werden. Einen solchen Verkauf zu riskieren, wäre für einen Sklaven so gefährlich wie Russisch Roulette. Zwar gibt es durchaus auch in römischen und griechischen Haushalten Sklaven, die ein menschenwürdiges Leben führen. Aber das ist völlig von der Gnade und Ungnade ihres Herrn abhängig. Wenn ein Römer will, darf er seinen Sklaven töten oder verstümmeln, ohne bestraft zu werden. Bei jüdischen Sklavenhaltern ist das anders. Wenn ein Jude dabei erwischt wird, wie er seinem Sklaven einen Zahn ausschlägt, muss er dem Sklaven die Freiheit geben. Und wenn er seinen Sklaven umbringt, kann er wegen Mord angeklagt werden.
Wie wird man Sklave?
Die meisten Sklaven wurden bereits so geboren. Zum Beispiel als Nachfahren der nabatäischen Araber, gegen die einst Herodes der Große Krieg geführt hat, rund sechzig Jahre bevor Jesus gestorben ist. Dann gibt es verzweifelte Juden, die sich zu römischen oder griechischen Konditionen versklaven lassen, indem sie sich selbst und ihre ganze Familie an heidnische Sklavenhalter verkaufen. Das ist zwar verboten, kann einen verschuldeten Kleinbauern aber vom Regen in die Traufe retten.“ –
„Kommt auch Menschenraub vor?“ –
„Eher selten. Dafür ist die Strafe auf Menschenraub zu drastisch: Tod durch Erdrosseln (bh Menschendiebstahl).“ –
„Und hat ein Heide oder ein Proselyt eine Chance, aus jüdischer Sklaverei wieder freizukommen?“ –
„Nur, wenn er von Angehörigen freigekauft oder von seinem Besitzer freigelassen wird.“
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Bei den Juden ist die Sklaverei längst nicht so häufig wie bei den Römern und Griechen. In deren Städten arbeiten Sklaven in fast allen Berufen und stellen mindestens ein Drittel der Bevölkerung. Das ist in den den jüdisch dominierten Städten Palästinas anders. Ohnehin können sich nur die wenigsten einen Sklaven leisten. Für die meisten gilt: „Alles muss man selbst machen!“
* * *
Und heute? Wie behandeln wir die Menschen, die unsere Kleider nähen, unsere Teppiche knüpfen und unseren Kaffee ernten? Wir behandeln sie überhaupt nicht, also auch nicht schlecht. Wir bekommen unsere Sklaven nicht einmal mehr zu Gesicht. Das ist unsere Humanität. Jesus muss etwas anderes gemeint haben, als er sagte: „Was ihr für einen dieser Geringsten getan habt, das habt ihr für mich getan.“
IV. Sauls Schwiegermutter mag keine Fanatiker
(Essen und Trinken: bö, bü 37f.50ff.26ff,
tö 99.101.110f.113.115ff.187f.224.226.232.236.248.300.306ff, j62 51.107f.115f.118, Berger (1993), va 60f, as I.2 613f, ow 246, abd Meal Customs, pr 513ff.652ff.618.651.679f.684)
Johanna erwacht von dem Krähen des Hahns auf der Mistgrube vor dem Haus.
Sie richtet sich auf. Wie jeden Morgen, gilt ihr erster Blick der Enkelin im Futtertrog bei den Ziegen.
Sie sieht das Baby gleichmäßig atmen und wendet sich den sieben Schlafenden zu, die sich neben ihr dicht an dicht auf Strohmatten, Webteppichen und Mänteln gelagert haben: Links ihr Mann Eleasar, dahinter der Schwiegervater und der achtjährige Thaddaios. Rechts ihr älterer Sohn mit seiner Frau, dahinter zwei ihrer Töchter. Die dritte, Naomi, ist schon vor elf Jahren zu ihrem Mann nach Gath Hepher gezogen.
So eng es in der kleinen Wohnhöhle auch zugeht: Johanna vermisst Naomi immer noch.
Für die morgendlichen Verrichtungen bleibt nicht viel Zeit, und Johanna will dabei jedes Geräusch vermeiden. Denn wenn erst einmal die kleine Sapphira im Futtertrog zu schreien beginnt, ist es um die Ruhe geschehen, die sie morgens so liebt.
Johanna flüstert ihr Morgengebet, erhebt sich, greift sich die beiden Schüsseln und den Wasserkrug neben dem Eingang und begibt sich ins Freie.
Nachdem sie Gesicht und Hände gewaschen hat, lässt sie sich vor dem Haus neben den mit Teig und Mehl gefüllten Schüsseln nieder. Flink formt sie den Teig zu Klößen, umgibt diese mit Mehl, klopft sie auf einem Stein platt und wirft sie auf ihren entblößten Armen hin und her, bis sie einen Durchmesser von etwa anderthalb Spannen (42 cm) haben. Der kleine Backofen neben ihr ist bereits mit Strauchwerk und trockenem Gras gefüllt, das die Kinder am Vortag zusammengetragen haben.
Nun kommt ein heikler Moment: Johanna muss in die Wohnung zurück und über die Schlafenden hinwegsteigen, um die Öllampe aus der Küche zu holen. Wenn dabei die Kleine aufwacht, ist es um Johannas Ruhe geschehen.
Vorsichtig wirft sie einen Blick durch die Tür: Noch schlafen alle. Mit drei Schritten ist sie bei der Öllampe. Die hat mit gutem Grund die ganze Nacht auf Sparflamme gebrannt: Wer will schon den Morgen damit zubringen, einen Holzstab auf einem Holzstück zwischen den Handflächen hin- und herzureiben, damit das Holzstück irgendwann zu glimmen beginnt. Bei der Nachbarin um Feuer zu bitten, verbietet Johannas Stolz: Sie hat einen Ruf zu verlieren als Hüterin des Feuers.
„Shalaam, Johanna!“ So leise sie auch mit der Öllampe in der Hand über die Schlafenden hinweggehuscht ist – ihren Mann hat sie doch geweckt.
„Shalaam, Eleasar.“ Sie küssen sich. „Ich muss bald aufs Feld, Johanna.“ –
„Ich weiß.“
Eleasar eilt, in sein mit Schaufäden behangenes Obergewand gehüllt, aufs Flachdach, befestigt seine Gebetskapseln an der Stirn und am linken Arm und richtet den Blick Richtung Jerusalem, um sein Morgengebet zu sprechen. Da beginnt auch schon die kleine Sapphira zu schreien.
Nun erwachen die größeren Mädchen und Berenike, die Schwiegertochter. Sie eilt zu ihrem Töchterchen, löst ihm die langen, breiten Stoffstreifen, mit denen sie es fest umwickelt hat, sortiert darunter die durchnässten Lumpen aus, wäscht das Kind, reibt es ab und wickelt es wieder ein.
„Du musst es fester wickeln“, sagt Johanna und schnürt die Lumpen so fest zu, dass das Baby unbeweglich wird wie eine Mumie (bü). „Es ist doch schon fast drei Monate alt“, wendet Berenike ein, „da können wir doch wenigstens seine Ärmchen zappeln lassen.“ Aber Johanna bleibt unerbittlich: „Es ist noch nicht so weit. Wenn wir es nicht festschnüren, haben die Dämonen leichtes Spiel, und außerdem werden ihre Glieder krumm.“
Im Backofen hat sich das Feuer zu Gluten zurückgebildet: Zeit für Johanna, die Teigfladen an die Innenwände des Ofens zu klatschen, wo sie kleben bleiben und rasch gar werden. Salome, die ältere ihrer beiden Töchter, füttert und melkt derweil die Ziegen.
Inzwischen sind auch die beiden Söhne und der Schwiegervater aufgestanden. Die zehnjährige Amma kehrt mit dem Uringefäß ihres gebrechlichen Großvaters ins Haus zurück, rollt die Schlafmatten um die Kopfstützen und stapelt sie: Aus dem Schlafplatz wird eine Essnische.
Die Frauen legen Brote, Feigen, Oliven, Ziegenmilch, Butter und Honig bereit. Man kauert sich kreisförmig nieder. Der Vater spricht den Segen: „Gesegnet du, Herr unser Gott, König der Welt, der Brot aus der Erde hervorgehen lässt.“ –
„Amen“, sagen alle.
Dann bricht der Vater das Brot und verteilt es. Sie essen schnell, denn Eleasar will mit Judas rasch aufs Feld – nicht mit dem Großvater, sondern mit seinem gleichnamigen Ältesten –, Thaddaios muss zum Bibelunterrichtin die Synagoge, und die Frauen möchten möglichst rasch wieder abräumen: Sie haben noch viel Arbeit vor sich.
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