„Aber das kann doch gar nicht stimmen, was du da erzählst, Alex.“ –
„Wieso nicht?“ –
„Wenn das Kinderkriegen tatsächlich so lebensgefährlich wäre, dann würden die Frauen doch gar keine Kinder haben wollen. Ich jedenfalls würde erst gar nicht heiraten.“ –
„Du tickst eben anders als die Frauen in der Welt Jesu. Im Übrigen werden die Mädchen gar nicht gefragt, ob sie heiraten wollen. Sie würden aber auch über eine solche Frage nur den Kopf schütteln.“ –
„Bist du dir da so sicher?“
Nein, bin ich nicht. Schauen wir uns doch einmal an, wie so ein Mädchen in die Ehe schlittert.
Heiraten
(ma87, j62, tö, sd 185, st 216, s74 529)
Eine Hochzeit ist ein freudiges Ereignis, aber auch ein tiefer Einschnitt. Wir wollen der dreizehnjährigen Braut deshalb nicht übel nehmen, dass sie dabei ein mulmiges Gefühl beschleicht.
So lange sie minderjährig war, stand sie unter der Verfügungsgewalt ihres Vaters. Der hätte sie bei einer Notlage sogar in die Sklaverei verkaufen dürfen – allerdings nur an einen Juden, der das Mädchen anständig behandeln und bei Erreichen der Volljährigkeit, also mit zwölf Jahren, wieder freilassen muss. Oft heiratet ein solches Mädchen schließlich seinen Herrn oder dessen Sohn.
Aber all das soll für unsere Braut kein Thema sein: Nehmen wir an, ihr Vater hätte sie ohnehin niemals verkauft.
Das zurückliegende Verlobungsjahr hat das Mädchen noch im Elternhaus zugebracht. Mit der Hochzeit geht sie nun in die Verfügungsgewalt ihres Bräutigams über. Meistens ist er ein Verwandter, möglicherweise ihr Onkel oder ihr Vetter.
Bei ihrem Vater wusste sie, woran sie war. Bei ihrem Bräutigam weiß sie es noch nicht.
Die Hochzeitsfeier nimmt ihren Lauf, es wird ausgelassen gesungen und getanzt, gegessen und getrunken. Die Braut selbst jedoch quält vor allem ein Gedanke: Hoffentlich blutet es heute Nacht, wenn er zum ersten Mal mit mir schlafen wird. Denn wenn es aus irgendeinem Grund nicht blutet, riskiert sie, gesteinigt zu werden.
Meistens zieht das frisch gebackene Ehepaar erstmal zur Familie des Mannes. Die erwartet nun, dass sich der Brautpreis bezahlt macht. Also heißt es für die Braut: ranklotzen. Was sie können muss, hat sie von ihrer Mutter gelernt: Sie hat bereits Getreide gemahlen, Brot gebacken, genäht, Kinder gehütet und allerlei andere Frauenarbeiten erledigt.
Vor allem aber wird von ihr erwartet, Jungen zu gebären. Keine Kinder zu bekommen, wäre ein großes Unglück für die ganze Familie und eine ständige Demütigung für die Frau.
Jede Geburt hat etwas von einem Lotteriespiel. Ist es ein Junge, so hat die Frau das große Los gezogen. Im ganzen Haus herrscht Jubel. Die Frau hat ihrem Mann das größte Glück geschenkt, das ein Mensch einem anderen überhaupt schenken kann. Die Geburt eines Mädchens dagegen ist eine große Enttäuschung. Besonders in den Häusern, die die Auffassung teilen, dass Frauen weder eine Seele noch ein ewiges Leben haben (st 334).
Immerhin wird ein jüdischer Vater seiner Frau nicht befehlen, ein neugeborenes Mädchen auszusetzen, damit es verhungert und verdurstet. Unter Römern und Griechen ist das gang und gäbe.
Abtreibung und Empfängnisverhütung
(Abtreibung: pr 478.488, abd; Empfängnisverhütung: pr 530)
„Was ist, wenn sie keine Kinder will, Alex?“ –
„Abtreibung kommt nicht in Frage. Sobald die Glieder des Embryos ausgeformt sind, ist Abtreibung Mord, verboten ist sie auch schon davor. Einzige Ausnahme: Wenn das Leben der Frau nicht anders gerettet werden kann. Ansonsten gilt: Sobald die Glieder des Embryos ausgeformt sind, ist Abtreibung Mord. Verboten ist Abtreibung aber auch schon davor.“ –
„Und Empfängnisverhütung?“ –
„Wird nicht gern gesehen, kommt aber immerhin vor. Nur: Selbst wenn eine Frau sich ein Mittel verschaffen könnte – ich glaube nicht, dass es mehr bewirkt als Übelkeit. Oder meinst du, dass es viel hilft, wenn die Frau einen Cocktail aus Safrangewürz, schwefelsaurem Alaunsalz und zerriebenem alexandrinischem Gummi herunterwürgt?“
Glück gehabt?
So groß der Einfluss von Gesetzen und Konventionen auf das Leben einer Frau auch ist: Vielleicht noch mehr hängt davon ab, was die Menschen in ihrer Umgebung daraus machen. Zwar hat der Vater das Recht, seine Tochter an einen Jungen zu verheiraten, den sie nicht ausstehen kann. Aber vielleicht bringt er es nicht übers Herz. Manche Brüder machen dem Ehemann ihrer Schwester schon mal klar, was er sich gegenüber gegenüber seiner Frau erlauben darf und was nicht. Andere Frauen haben keinen derartigen Rückhalt. Der eine Mann steckt jede Münze ein, die seine Frau auf dem Weg zum Dorfbrunnen findet. Das Recht hat er. Ein anderer Mann wird sich dafür überhaupt nicht interessieren. Der eine Mann zwingt seine Frau, ein religiöses Gelübde abzulegen oder aufzulösen. Für den anderen ist dieses Recht nur eine theoretische Möglichkeit. Reist ein Ehepaar übers Meer und erleidet Schiffbruch, so überlassen die Matrosen vielleicht den einzigen freien Platz im Rettungsboot dem Mann, wie es ihre Pflicht ist, und lassen sie ertrinken. Vielleicht verzichtet der Mann aber auch, weil er seine Frau liebt, und die Matrosen retten sie.
Alle Abweichungen von der Regel ändern jedoch nichts an der Regel selbst: Die erste Pflicht der Frau ist der Gehorsam gegenüber ihrem Mann. Damit sie ganz für ihn und die Kinder da sein kann, wird sie von allen anderen religiösen Verpflichtungen weitgehend freigestellt. Die Faustregel lautet: Alle religiösen Gebote, die an eine bestimmte Zeit gebunden sind, gelten nur für Männer (sm 81).
„Was ist mit Scheidung, Alex?“ –
Scheidung
(j62 343f.406ff, tö 293; ma87 48, po 336, pr 530, 636, dr 136, bü 73
Recht der Frau, die Scheidung zu fordern: ma87 79f, st 78f, j62 343f)
Scheidung kommt in der Welt Jesu viel seltener vor als heute. Die Familienbande sind eben in der Welt Jesu stärker. Aber möglich ist die Scheidung ohne Weiteres – jedenfalls für den Mann.
Rechtlich gesehen, kann ein Mann sich jederzeit scheiden lassen. Dieses Recht verwirkt er nur in zwei Fällen: Wenn er zur Heirat eines Mädchens gezwungen wurde, weil er sie vergewaltigt hat, oder wenn er seine Frau zu Unrecht beschuldigt hat, bei der Heirat nicht mehr jungfräulich gewesen zu sein. Ansonsten kann er sich bereits scheiden lassen, wenn ihm ihr Essen nicht schmeckt oder wenn ihm eine andere Frau besser gefällt.
Eine reguläre Scheidung hat allerdings für den Mann einen Haken: Er muss seiner Frau die Morgengabe auszahlen, die seine Schwiegereltern ihrer Tochter in die Ehe mitgegeben haben. Diese Morgengabe ist eine Art Existenzsicherung für die Frau. Wenn die Brauteltern gut betucht sind, kann das durchaus ein stattliches Vermögen sein.
Was kann ein Mann also tun, wenn er seine Frau loswerden will, ohne die Morgengabe herauszurücken? Vielleicht zieht er sich ohne offizielle Scheidung von seiner Frau zurück und pflegt mit seiner Sklavin ein Verhältnis. Oder er verheiratet sich neu, ohne sich zuvor scheiden zu lassen.
Die uninteressant gewordene Frau tut gut daran, die neue Frau neben sich zu dulden. Denn wenn sie es auf einen Konflikt ankommen lässt, kann es passieren, dass ihr Mann einen Vorwand findet, um sie zu verstoßen. In diesem Fall braucht er die Morgengabe nicht auszuzahlen.
Wann kann ein Mann seine Frau verstoßen? Im Idealfall wird sie von mehreren Zeugen in den Armen eines anderen Mannes ertappt. Es genügen aber auch weit geringfügigere Vorfälle: In Jerusalem reicht es schon, wenn die Frau unverhüllt auf den Markt geht, wenn sie mit fremden Männern redet oder wenn sie sich mit ihrem Webstuhl auf die Straße setzt, weil ihr zu Hause die Decke auf den Kopf fällt.
„Mann Alex, alter Frauenversteher, die Hauptsache hast du natürlich wieder vergessen.“ –
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