Wie auch immer. Fakt war, dass mich nicht zuletzt Marions spannende Erzählung dazu bewogen hatte, hierher zu fahren, um ein paar alte Zossen zu versorgen, die sich keinen Deut um Geschichte, Esoterik oder gar nebulösen Spuk scherten, sondern lediglich darauf warteten, verpflegt zu werden.
Leise auf mich und meine Neugier fluchend, drückte ich die Zigarette im Ascher aus und stieg aus. Sofort schlug mir ein böiger Wind eiskalten Regen um die Ohren. Den Kragen meiner Jacke dichter um den Hals ziehend lief ich zur Längsseite des Gebäudes, wo sich die Eingangstür befand. Halb gehend, halb rutschend erreichte ich die Stalltür, deren Rahmen ebenfalls aus behauenem Sandstein gefertigt war. Über dem Sturz war ein in Stein gehauenes, ziemlich verwittertes Wappen eingelassen. Darunter glaubte ich schwach die Jahreszahl 1356 zu erkennen. Wenn diese Zahl das Baujahr des Hauses angab, hatte Marion ja nicht ganz Unrecht gehabt. Gut, tiefstes Mittelalter war’s nicht, aber ausgehendes bestimmt. Natürlich konnte
der Türsturz auch aus einem anderen Gebäude stammen und irgendwann später hier erneut verwendet worden sein; Recycling war schließlich keine neue Idee. Eine eiskalte Böe, die mir einen gehörigen Schwall ebenso kalten Regens in den Kragen peitschte, bereitete meinen Architekturstudien ein jähes Ende. Inbrünstig über die unwillkommene Dusche fluchend öffnete ich eilig die Tür und betrat das Gebäude.
Warmer Stallgeruch umfing mich und ich stand zunächst einmal im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkel. Mich an Marions Beschreibung erinnernd, fand ich jedoch selbst in dieser Finsternis rechts neben der Tür auf Anhieb den Lichtschalter.
Zwei nackte fünfundzwanzig Watt Glühbirnen erhellten den Stall. Vor mir lag ein Gang, an dessen linker Seite sich die Pferdeboxen befanden. Rechts verlief eine lediglich von einer Tür unterbrochene Fachwerkwand durch den ganzen Bau. Die drei alten Pferde, welche von Marion ihr Gnadenbrot erhielten, standen friedlich in ihren Boxen. Sie schnaubten erfreut, als das Licht an ging, und streckten zur Begrüßung die Köpfe über die Futtertröge.
„Na, Jungs, habt ihr schon gewartet?“
Ich bedachte jedes der Tiere mit ein paar Streicheleinheiten und sprach ein wenig mit ihnen. In einer Ecke entdeckte ich einen Korb mit Äpfeln, von denen ich einen Teil gerecht unter den Tieren verteilte. Eine Geste, für die sie sich mit begeistertem Schnauben und liebevollen Stupsern bedankten.
Was folgte, war Arbeit – Boxen säubern, die Tiere füttern und tränken. Nach gut einer Stunde war ich fertig. Mit mir und der Welt zufrieden hockte ich mich auf eine Futterkiste und steckte mir eine Zigarette an. Die Atmosphäre weckte Kindheitserinnerungen. Ich hatte mich damals, noch bevor ich eingeschult wurde, liebend gern auf den Bauernhöfen in der Nachbarschaft herumgetrieben. Zu der Zeit waren Maschinen in der Landwirtschaft eher selten und Pferde nicht eben eine Rarität. Ich empfand den Stall jedenfalls als äußerst anheimelnd. Das ruhige, mahlende Kauen der Tiere, die Wärme, dazu die schummrige Beleuchtung – einfach urgemütlich.
Die Behaglichkeit fand ein jähes Ende, als es plötzlich direkt über mir auf dem Heuboden laut und vernehmlich raschelte. Prompt fielen mir Marions Spukgeschichten ein und ein leichter Schauder lief mir
über den Rücken, als ich – nun doch etwas besorgt - zur niedrigen Decke blickte. Von den ungehobelten, roh zugeschnittenen Eichenbohlen hingen Stroh, Spinnweben und Heu herunter. Ich glaubte leise Schritte zu hören, war aber nicht sicher. Was ich mir jedoch bestimmt nicht einbildete, war das, was ich sah. In regelmäßigen Abständen rieselte Staub durch die Ritzen zwischen den Bohlen. Augenscheinlich schlich dort oben jemand herum! Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufrichteten.
Angespannt beobachtete ich die von den Bohlen herabsinkenden Staubwölkchen, die sich zu einer dunklen Ecke des Stalles bewegten. Im Halbdunkel konnte ich dort eine Leiter erkennen, deren oberes Ende in einer Öffnung des Dachbodens verschwand. Ohne dass ich hätte sagen können, wen oder was ich eigentlich zu sehen erwartete, starrte ich gespannt in die Dunkelheit. Ich fühlte, wie sich meine Kopfhaut unangenehm zusammenzog.
Plötzlich raschelte es vernehmlich und am Fuße der Leiter ertönte ein dumpfer Plumps, dem gleich darauf ein ‚Miau‘ folgte. Noch ehe ich aufstehen konnte, um nachzusehen was geschehen war, kam aus der Dunkelheit eine schwarze Katze auf mich zugelaufen. Zutraulich strich sie einige Male um meine Beine und sprang mir schließlich in den Schoß, wo sie sich zusammenrollte und behaglich zu schnurren begann.
„Mann, hast du mich erschreckt!“
Einigermaßen erleichtert streichelte ich das Tier, welches es sich so unerwartet auf meinem Schoß bequem gemacht hatte. Die lebendige Wärme des kleinen Körpers ließ meine Ängste schwinden und ich war ehrlich gestanden froh, dass außer dieser Katze niemand meine Furcht bemerkt haben konnte. Angst vor Spukgestalten haben! – Einfach lächerlich! – Entspannt lehnte ich mich zurück, um sowohl meine Erleichterung als auch den Frieden des Augenblicks zu genießen.
Nun hatte ich also auch mein unheimliches Erlebnis in diesem Stall gehabt und dabei ganz nebenbei den vermeintlichen Spuk als ein harmloses, aber sehr reales Kätzchen entlarvt. Vom Erfolg ermutigt, beschloss ich dem von Marion erwähnten merkwürdigen Erlebnis mit dem Nebel ebenfalls auf den Grund zu gehen. Was hatte sie noch gesagt? Ganz zu Anfang, als sie eine Unterkunft für ihre Tiere gesucht hatte und dabei auf diesen Hof gestoßen war, hatte sie ursprünglich
den anderen Teil des Gebäudes mieten wollen, weil der mehr Platz bot. Ein Wunsch, den ihr der Besitzer jedoch verweigerte. Der Mann habe herumgedruckst und nach allen erdenklichen Ausflüchten gesucht, wusste sie zu berichten. Letztendlich habe er behauptet, dieser Teil des Hauses sei baufällig und daher nicht zu vermieten. Später, als sie ihre Tiere bereits in dem Stall untergebracht hatte, habe sie bemerkt, dass die Tiere vor dem baufälligen Teil zurückgescheut seien.
Alles etwas seltsam. Mit einer Mischung aus Neugier, gespannter Erwartung sowie einem angenehm kribbelnden Schauder blickte ich zu der dunklen Türöffnung, hinter welcher sich Marions nebulöses Erlebnis abgespielt haben sollte. Als ich aufstehen wollte, um einen Blick durch die Tür zu werfen, begann die Katze, empört über die Störung, laut zu maunzen.
„Ist ja gut, Mädel. Sei nicht gleich beleidigt.“
Ich nahm das Tier auf den Arm, ging zur Tür und warf einen vorsichtigen Blick hindurch. Das, was ich erblickte, war jedenfalls weder sonderlich beeindruckend, noch in irgendeiner Weise unheimlich. Es war nichts als ein in tiefer Dunkelheit liegender alter Stall.
Obschon ich nicht von mir behaupten möchte abergläubisch zu sein, muss ich zugeben, dass ich den Raum nur zögernd und mit einem ausgesprochen merkwürdigen Gefühl in der Magengegend betrat. Wenn Marions Esoterikphantasien nicht mal wieder mit ihr durchgegangen waren und sich ihre Tiere tatsächlich geweigert hatten, diesen Stall zu betreten, so traf das auf meine Katze jedenfalls nicht zu. Die blieb friedlich schnurrend in meinem Arm liegen, ohne eine weitere Reaktion zu zeigen.
Einen Unterschied zum eben verlassenen Stall gab es definitiv. Sogar einen beträchtlichen. Dieser Teil des Gebäudes war spürbar kälter und erheblich feuchter. Etwas, das auf eine größere Baufälligkeit als nebenan hingedeutet hätte, konnte ich allerdings nicht entdecken. Zu einer genaueren Inspektion fehlte mir indes das nötige Licht, da der Besitzer es nicht für nötig gehalten hatte, auch hier eine elektrische Beleuchtung zu installieren. Erst als sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, konnte ich an der gegenüberliegenden Seite des Raumes vier Sprossenfenster erkennen, durch die bläuliches Nachtlicht schimmerte.
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