Sie lächelte mir noch einmal zu, bevor sie in der Gaststube verschwand.
„Da habt Ihr eine neue Freundin gefunden“, schmunzelte Reinald.
„Untersteh dich!“ Silvia knuffte mich in die Seite.
„Ist ja gut.“ Ich nahm ihre Hand und streichelte sie. „Das Abenteuer mit dir ist für mich völlig ausreichend.“
Wir plauderten noch eine Weile, leerten unsere Krüge und wollten endlich aufbrechen. Als ich meinen Köcher über die Schulter warf, sah ich, dass vom Pelsterhaus der Geistliche, dem wir schon vorher begegnet waren, in Begleitung von weiteren Personen auf uns zu kam. Auch Reinald hatte die kleine Gruppe bemerkt. Hastig zog er sich die Kapuze über den Kopf, nahm seinen Korb und drängte ungeduldig zum Aufbruch.
„Kommt, kommt. Wir müssen noch zu dem Bogenbauer.“
Mit diesen Worten eilte er davon, ohne sich darum zu kümmern, ob wir ihm folgten.
Die plötzliche Eile nicht begreifend, schlenderten wir hinter ihm her über den inzwischen leerer gewordenen Markt. Als ich mich noch einmal umsah, nahmen der Geistliche und seine Begleiter gerade an dem Tisch Platz, den wir soeben verlassen hatten. Reinald holten wir erst am Stand des Bogenbauers ein.
„Da seid Ihr ja“, empfing mich Hagen. „Ich hätte Euch noch gerne etwas zu den Pfeilen gesagt und fürchtete schon, ich müsste einem Mann der Kirche kriegerische Dinge erklären. – Da Ihr mir keine Anweisungen gabt, nahm ich für die Kampfspitzen schwere und für die Jagdspitzen leichte Schäfte, welche die Schussweite erhöhen, wie Ihr ja wisst. Bei der Befiederung ...“
Hagen erklärte mir genau seine Arbeit, während ich mich bemühte, einen möglichst versierten Eindruck zu machen. Auch Silvia lauschte interessiert den Erklärungen Hagens, nur der Mönch schien unruhig zu sein. Zappelig trat er von einem Bein auf das andere und zupfte schließlich nervös an meinem Ärmel.
„Beeilt Euch, Roger! Wir müssen weiter.“
Er stand mit gesenktem Kopf neben mir, wobei er – wie mir schien – ängstliche Blicke in Richtung des Gasthofes warf.
„Wie Ihr seht, Hagen, ist unser Freund in Eile“, sagte ich bedauernd. „Was bekommt Ihr für Eure Arbeit?“
„Zwei kleine Silberlinge sollten angemessen sein, denk‘ ich.“
Da ich keine Ahnung hatte, welchen Betrag er damit meinte, reichte ich ihm meinen Geldbeutel mit den Worten:
„Nehmt Euch heraus, was Euch zusteht. – Ich verstaue schon mal die Pfeile.“
Verdutzt ergriff er den Beutel und sah mich erstaunt an.
„Euer Vertrauen ehrt mich – doch Ihr sollt‘s nicht bereuen.“
Er entnahm dem Beutel zwei Münzen und gab ihn mir zurück.
„Besucht mich einmal, wenn Ihr in meiner Gegend seid. Mein Heim ist in Huxoll, welches bei Cappel liegt. – Der Mönch wird‘s Euch erklären können“, bemerkte er noch.
„Ja, ja, mach‘ ich! Doch jetzt genug geplaudert. Kommt. Lasst uns gehen“, drängte Reinald fast schon unhöflich.
Statt einer Wegbeschreibung nach Huxoll hätte ich lieber eine Erklärung für die plötzliche Eile des Mönches gehabt, doch er gab mir keine Gelegenheit, ihn danach zu fragen. Es war keine Rede mehr von einer Stadtbesichtigung. Statt dessen zog uns Reinald von Hagens Stand fort und eilte uns so schnell voraus, dass wir Mühe hatten, ihm zu folgen. Für den Rückweg wählte er völlig andere Gassen als die, auf denen wir gekommen waren. Dass es ihm dabei darum ging, uns doch noch etwas von der Stadt zu zeigen, bezweifelte ich, da er ein Tempo vorlegte, welches eine Besichtigung ausschloss. Weit stärker fiel mir auf, dass er Gassen wählte, die einen großen Bogen um das Wirtshaus machten.
Die Straßen waren zumeist leer und so erreichten wir trotz des Umweges sehr rasch das Langenbrücker Tor. Hier hielten immer noch etliche Soldaten Wache, aber es gab nicht mehr viel für sie zu tun. Die Leute, welche die Stadt verließen, wurden nicht kontrolliert. Die, die hinein wollten, waren zumeist Bauern, die in der Stadt wohnten und die man seit Jahren kannte. Volkwin sah ich nicht. Dann hatte ich mich vermutlich doch nicht getäuscht, als ich glaubte, ihn am Pelsterhaus in der Gruppe um den Kirchenfürsten gesehen zu haben. Ungehindert passierten wir die Stadtbefestigung und machten uns auf den Rückweg zu Reinalds Klause auf dem Biesterberg.
Erst als die Stadt schon eine geraume Strecke hinter uns lag, schlug Reinald seine Kapuze zurück, in der er sich bis dahin versteckt hatte. Er schaute sich um und atmete tief durch.
„Sagt einmal, Bruder Reinald“, begann ich, „vorhin, beim Essen, habt Ihr Eurem Herrn gedankt, dass er uns zu Euch geschickt hat. Ich hatte allerdings vorhin auf dem Markt den Eindruck, dass Ihr Eurem irdischen Herrn für seine Gesandten erheblich weniger dankbar seid. – Habt Ihr die Leute zu fürchten?“
Reinald blieb stehen und sah mich lange an.
„Ich hatte inständig gehofft, Ihr würdet es nicht bemerken“, sagte er endlich.
„So wie Ihr Euch aufgeführt habt, konnte uns das gar nicht verborgen bleiben“, bemerkte Silvia.
„Nun ja, das ist eine lange, nicht sehr erbauliche Geschichte“, seufzte der Mönch. „Aber lasst uns weitergehen. Je weiter ich von der Stadt fort bin, desto besser. Das, was ich euch zu erzählen habe, kann ich auch im Gehen berichten.“
Wir setzten unseren Weg fort, wobei uns Reinald seine Geschichte erzählte.
„Ich habe euch heute Morgen nicht die ganze Wahrheit gesagt“, begann er, „weil ich fürchtete, ihr könntet Häscher des Bistum sein. Ihr müsst schon entschuldigen, aber ich kannte euch ja nicht. Es stimmt zwar, dass ich in der Abtei Montmajour als Scriptor gearbeitet habe, aber ich habe nicht nur Kopien erstellt, ich habe auch eigene Werke geschaffen. – Ich war ein Fälscher. Genauer gesagt, ein Urkundenfälscher.“
„Ihr seid was gewesen?“ fragte ich erstaunt.
„Ihr habt schon richtig gehört, Roger. - Ich war ein Fälscher. – Das ist nicht einmal so ungewöhnlich, wie Ihr wahrscheinlich glaubt. Schon seit Jahrhunderten existieren Urkunden, die in den Klöstern gefälscht wurden. Diese Dokumente wurden von Brüdern geschaffen, welche einerseits die dafür notwendigen Fähigkeiten besaßen, andererseits aber auch verschwiegen genug waren, nicht einmal ihre
Mitbrüdern ins Vertrauen zu ziehen. Es ist geradezu eine Zunft, die im Laufe der Jahrzehnte im Schutze der Klostermauern entstanden ist. - Nun ja, und eines Tages wurde auch ich Mitglied dieser Gilde.
Es begann damit, dass der Abt von Montmajour mich damit beauftragte, eine Urkunde aus der Zeit Dagoberts des Ersten neu zu schreiben. Das Original sei von Rattenfraß und Feuchtigkeit so schwer beschädigt, dass es völlig unleserlich geworden sei und er es mir daher nicht zum Kopieren vorlegen könne, erzählte er mir. Er wisse aber den Text auswendig und wolle ihn mir vorschreiben, was er auch tat.
Ich dachte mir nichts dabei und fertigte nach seinen Angaben eine Kopie der Urkunde, in der es um eine Landschenkung ging, die der Abtei zugesprochen wurde. Erst als ich auch die Unterschrift und das Siegel kopieren sollte, kamen mir Bedenken an der Rechtmäßigkeit meines Tuns.
Als ich dies meinem Abt gegenüber äusserte, lächelte er nur. Ich, Reinald, sagte er, hätte der Mutter Kirche mit meiner Arbeit einen großen Dienst erwiesen. Schließlich trüge sie dazu bei, den Besitzstand des Klosters und damit den der Kirche zu mehren. Er erzählte mir von weiteren Fälschungen, die es schon seit langer Zeit gebe, und begründete ihre Notwendigkeit damit, dass die Macht der weltlichen Herrscher nicht ins Uferlose wachsen dürfe. Die Tätigkeit der Fälscher, in deren Gilde er mich nun aufnehmen wolle, sei vom Papst als gottgefälliges Werk abgesegnet worden. Mehr noch. Die Gilde der Fälscher sei eine der Heerscharen, die der Heilige Stuhl gegen den zügellosen Machtanspruch der weltlichen Herrscher ausgesandt habe. Die Argumente des Abtes überzeugten mich. Ich verwarf meine Bedenken. Wie hätte ich auch anders handeln sollen, wenn selbst der Heilige Vater diesen Betrug befürwortete?
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