„Ach, Roger, ich wollte Euch noch etwas zeigen, was Euch sicher interessieren wird“, murmelte er hastig. „Folgt mir.“
Fast schon gewaltsam zerrte er mich an meinem Gürtel ins Gedränge. Silvia, die von dem plötzlichen Aufbruch ebenso überrascht wurde wie ich, kam uns kopfschüttelnd nach. Der Mönch zog mich einmal quer über den Marktplatz, wobei ich immer wieder nach Silvia schaute, die uns nur mit einiger Mühe folgen konnte. Vor dem Stand eines Bogenbauers blieb der Mönch endlich stehen.
„Ich dachte, dieser Mann müsse interessant für Euch sein, Roger“, murmelte Reinald.
Auf einem Holzklotz saß ein Mann, der ähnlich gekleidet war wie ich. Zu einer bequemen Tunika aus grünem Wollstoff trug er eine Hose aus hellem Leinen. Seine schulterlangen braunen Haare hatte er mit einem Stirnband gebändigt. Neben ihm brannte ein kleines Feuer, über welchem er in einem winzigen Kessel Pech erhitzte. Er war gerade damit beschäftigt, eine Jagdspitze an einem Pfeilschaft zu befestigen. Der Mann sah kurz auf, um uns zu mustern, dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Erst als er damit fertig war, stand er auf.
„Was kann ich für Euch tun?“
„Nun, so Ihr Hagen, der Bogenmacher, seid, bräuchte ich von Euch zwei Dutzend Pfeile“, erwiderte ich. „Wenn Ihr mir auch gleich die Spitzen befestigen könntet, wäre ich Euch dankbar.“
„Lasst sehen.“
Ich kramte die Spitzen hervor und reichte sie ihm.
„Ah, von Alberich, daher kennt Ihr meinen Namen, und ich weiß, wer Euch geschickt hat“, grinste er und fügte erklärend hinzu: „Ich habe hier nämlich nur selten fremde Kundschaft. – Was Eure Pfeile angeht ... Wenn Ihr auf dem Markte noch etwas zu besorgen habt, so tut das. Aber lasst Euch ruhig Zeit. Es wird eine Weile dauern, bis die Arbeit getan ist.“
Wir verabschiedeten uns und bummelten weiter über den Markt. Als mir zum wiederholten Mal der Duft von Pasteten in die Nase stieg, begann mein Magen vernehmlich zu knurren.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, etwas für meinen Magen zu tun“, entschuldigte ich mich. „Sagt, Reinald, wo kann man hier seinen Hunger und Durst stillen? Verweist mich jetzt aber nicht an einen Pastetenbäcker.“
Der Mönch überlegt kurz.
„Wenn ihr gut essen wollt, so müsst ihr in den Gasthof hier um die Ecke gehen. Die Speisen sollen vorzüglich sein, wie ich hörte. Selbst die Herren des hohen Rates pflegen dort einzukehren. – Es dürfte aber nicht ganz billig sein, denke ich.“
„Wenn es gut genug für den Rat ist, dann auch für uns. Wir kehren dort ein.“ Silvia betonte das ‚wir‘ und ergriff Reinald am Ärmel. „Und Ihr seid herzlich eingeladen.“
Schon nach wenigen Schritten standen wir vor dem Gasthof. Der Wirt hatte draußen drei lange Tische und Bänke aufgestellt, die gut besetzt waren, doch für uns fanden sich noch drei freie Plätze. Wir legten das Gepäck ab und setzten uns.
Mir war sehr recht, dass wir am Ende des Tisches saßen, ich sogar am Kopfende, und nicht zwischen den anderen Gästen. Obschon es sich bei den Speisenden um Leute aus der Oberschicht handeln musste und trotz des Abstandes zu unseren nächsten Nachbarn war deren ‚mittelalterlicher’ Duft nicht zu ‚überriechen’. Allein der Gedanke an ihre mit Sicherheit vorhandenen Untermieter ließ mich die Distanz schätzen. All zu hautnah wollte ich diese Zeit denn doch nicht erleben.
Wir mussten nicht lange warten, da erschien eine junge Frau und erkundigte sich nach unseren Wünschen. Eingedenk der Vorliebe des Mönches fragte ich zunächst:
„Habt Ihr Wein?“
„Aber ja! Wir haben einen gut gewürzten Roten.“
Gut gewürzter Wein?? Die Antwort irritierte mich ein wenig, doch ich schaffte es, mir nichts anmerken zu lassen.
„So bringt einen Krug Wein für den Mönch und je einen Krug Bier für mein Weib und mich“, orderte ich souverän. „Wie steht‘s mit Speisen?“
„Wir servieren heute Karbonade vom Schwein. Dazu reichen wir Kraut, einen Brei von gelben Erbsen und Brot. Wünscht Ihr, dass ich Euch drei Portionen bringe?“
Ich nickte gönnerhaft und war einigermaßen stolz auf meine Leistung. Immerhin war dies meine erste Bestellung in dieser mir völlig fremden Welt.
Schon nach kurzer Zeit erschien die Serviererin wieder, in den Händen die Krüge mit den bestellten Getränke. Becher oder gar Gläser gab’s nicht. Getrunken wurde gleich aus den Krügen. Rainald erhielt seinen Wein, Silvia und ich bekamen unser Bier. Vorsichtig kostete ich einen ersten Schluck – und trank dann in langen, durstigen Zügen. Das Gebräu war nicht übel, nur ein wenig dünn. – Sehr dünn!
„Ach, welch lang entbehrter Genuss! Der Tropfen ist wahrlich nicht schlecht. – Ich danke Euch, Roger.“ Reinald hatte seinen Wein probiert und verdrehte genießerisch die Augen.
„Lasst Ihr mich einmal kosten?“ fragte ich.
„Selbstverständlich! – Trinkt, soviel Ihr mögt.“
Der Mönch hielt mir seinen Krug entgegen. Ich roch misstrauisch daran, nippte vorsichtig – und hätte beinahe das Gesicht verzogen. Das Zeug schmeckte wie kalter, zu stark gewürzter Glühwein und war erbärmlich sauer. Jeder ‚vin de table’ aus der untersten Etage eines Supermarktregals war mit Sicherheit besser.
„Es freut mich, dass er Euch mundet“, sagte ich gequält, wobei ich Reinald den Krug zurückgab. „Ich glaube, ich bleibe dennoch beim Bier.“
„Mögt Ihr etwa keinen Wein?“ fragte der Mönch erstaunt.
„Er ist das Gute nicht gewohnt“, warf Silvia ein. „In Rogers Heimat
kennt man ihn kaum. Dort trinkt man zumeist Bier.“
Zum Glück wurde jetzt unser Essen gebracht, sodass Reinald keine Gelegenheit erhielt, sich Gedanken darüber zu machen, warum ich mich nach Jahren in Frankreich immer noch nicht an Wein gewöhnt hatte. Die Kellnerin stellte vor jedem eine Schüssel mit Fleischscheiben, Kraut und einem gelben Püree ab und zwischen uns einen Korb mit Brot. Das Besteck beschränkte sich auch hier auf Holzlöffel.
Wir wünschten uns einen guten Appetit und begannen zu essen. Das Fleisch war knusprig gegrillt und scharf, aber gut gewürzt. Auch Kraut und Erbsenpüree mundeten ausgezeichnet.
„Ich habe schon lange nicht mehr so gut gegessen.“ Reinald schmatzte zufrieden. „Dazu noch dieser köstliche Wein. Seid nochmals recht herzlich bedankt für Eure Einladung, Silvia. – Der Herr meinte es wirklich gut mit mir, als er Euch heute Morgen zu mir führte.“
„Es war wohl eher eine Katze“, murmelte ich halblaut und sah Silvia von der Seite an. Obwohl nicht für ihn gedacht, hatte der Mönch meine Worte verstanden. Wenigstens zum Teil.
„Katze meint Ihr?“ bemerkte er mit einem schiefen Blick auf das Fleisch auf seinem Teller. „Nein, bei diesem Wirt braucht Ihr keine Bedenken zu hegen, Roger. Wenn der sagt, es sei Schwein, dann ist es das auch.“
Reinald sah nachdenklich von seinem Teller auf und legte die Stirn in Falten.
„Bei den Pastetenbäckern ist allerdings wirklich Vorsicht geboten. Was bei denen alles in den Backwerken verschwindet ...“
Er schüttelte in aufrichtiger Entrüstung den Kopf.
Ich sah den Mönch erstaunt an und brauchte ein paar Sekunden, ehe ich verstanden hatte, was er meinte, während Silvia vor Lachen einen Hustenanfall bekam.
Als wir unser Mahl beendet hatten, bestellte ich weitere Getränke. Der Wirt war clever. Seine scharf gewürzten Speisen sorgten für einen gehörigen Durst. Ich zahlte, als das Mädchen die frisch gefüllten Krüge gebracht hatte, und gab ihr auch noch ein paar Pfennige Trinkgeld. Die Münzen geschickt in einer der Taschen ihrer Schürze verschwinden lassend, knickste sie und sagte artig:
„Ich dank‘ Euch, Herr. So darf ich wohl annehmen, dass es Euch
gemundet hat? Ich würde mich freuen, Euch einmal wieder hier zu sehen.“
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