Voller Wut und mit hochrotem Kopf kam er angestürmt und riss dem Kleinen die Schachtel aus der Hand. »Ihr Diebesgesindel wolltet mir wohl meine Sachen stehlen? Habt ihr geglaubt ich merke es nicht? Na wartet, dass setzt einige Tracht Prügel. Ihr Landstreichergesindel ihr...« , fauchte er und holte zum Fußtritt aus.
Vreni, die vor lauter Schreck erst gar nicht wusste, was los war, reagierte sofort und zog Peter gerade noch rechtzeitig zurück, so dass ihn der Tritt des Mannes nicht treffen konnte. Voller Angst liefen die Kinder davon und bogen um eine Ecke. Dort sahen sie eine offen stehende Türe, stürmten durch diese in den dahinter liegenden Raum und zogen sie ganz schnell hinter sich zu. Mit klopfenden Herzen und völlig außer Puste sahen sich die beiden in die Augen und schreckten im nächsten Augenblick schon wieder hoch, als sie neben sich eine Stimme vernahmen.
»Na, was pressiert es Euch denn gar so? Ich habe meinen Laden schon noch ein paar Stunden offen - deswegen hättet ihr Euch doch nicht so abhetzen müssen! Was kann ich für Euch tun?« , schmunzelte eine ältere rundliche Frau in weißer Schürze und roten Pausbacken hinter einer Theke hervor.
Die Kinder sahen sich verwirrt um - sie waren in eine Bäckerei geflohen.
Zögernd begann Vreni zu erzählen. »Eigentlich sind wir auf der Flucht vor einem ganz bösen Mann, der uns schlagen wollte, weil er ein Päckchen verloren und mein Bruder es aufgehoben hatte und jetzt meint er, wir wollten es ihm klauen. Mit einem Fußtritt hat er nach uns geschlagen, gerade so, als wären wir irgendwelche Tiere, die auf der Straße nichts zum Suchen hätten - da sind wir dann davon gelaufen und hier gelandet!«
Die Frau musterte die beiden von oben bis unten, wobei ihr die Lumpenkleidung nicht entgangen war. »Und ich dachte, Euch pressiert es so, damit ihr noch ein paar warme Semmeln bekommt! Ihr wollt doch welche, oder nicht?« , lächelte sie.
»Wollen schon, aber...« , druckte sich Peter, dem das Thema offensichtlich peinlich war, da sie ja kein Geld besaßen. »...aber heute ist es gerade schlecht, weil wir unseren Geldbeutel zufällig zuhause vergessen haben!« , beendete Vreni ganz schnell den Satz, um der Verkäuferin ihre Armut nicht anmerken zu lassen.
Lächelnd nahm die Frau zwei Semmeln aus der Ablage und reichte sie den Kindern. »Ja wenn das so ist, dann muss ich halt heute auf die Bezahlung verzichten. Lasst es Euch schmecken!«
Mit strahlenden Augen nahmen die Kinder das Geschenk entgegen.
»Du Vroni« , platzte Peter freudig heraus, »ich glaube, das es besser ist, wenn wir uns eine Semmel teilen und die andere Mama und Papa mitbringen. Dann freuen die sich auch, dass sie etwas zum Essen bekommen!«
Vreni sagte nichts. Sie sah ihren Bruder nur streng in die Augen und wünschte sich, er hätte nicht voller Übermut ihre Armut vor der Verkäuferin hinaus posaunt.
Währenddessen packte die Frau ein paar Brote, Semmeln und Plätzchen in eine große Tüte hinein und drückte sie Vreni, die ganz ungläubig dreinschaute, in die Hand. »Ihr könnt ruhig beide Eure Semmel essen, da in der Tüte sind noch mehr drinnen. Und das« , grinste sie, als sie noch 2 Schokoladennikoläuse holte, »ist nur für Euch zwei!«
»Aber das können wir ja gar nicht bezahlen!« , jammerte Vreni. »Wir haben doch unseren Geldbeutel...« »Das passt schon.« , fiel ihr die Verkäuferin schnell ins Wort. »Warum soll das Christkind nicht schon in der Früh kommen? Ich wünsche Euch frohe Weihnachten!«
Die Kinder überschlugen sich förmlich mit Dankesworten und verließen die Bäckerei, nicht aber ohne sich vorher zu überzeugen, ob die Luft rein ist.
Die beiden schlenderten gemütlich den Gehsteig entlang, als Peter eine leere Zigarettenschachtel am Boden auffiel. Voller Eifer versuchte er sich sogleich als Fußballspieler und kickte diese mit dem Fuß weg. Vreni kam dabei sofort eine Idee.
»Du Peterl, weißt du was? Wir nehmen die Schachtel mit und kleben ein Taschentuch um diese, dann haben wir für die Mama eine Nadelkissenschachtel zu Weihnachten! Was hältst du davon?«
»Au ja, das machen wir!« , rief der Junge begeistert, hob die Schachtel auf und steckte sie in seine Jackentasche.
Auf dem Weg nach Hause beratschlagten sie, wie das Geschenk aussehen sollte.
Als sie in Ihrer armseligen Behausung, welche aus ein paar aufgehängten Decken unter einer Brücke, einen Tisch, einer Kommode, ein paar Matratzen und schäbigen Stühlen bestand, ankamen, frohlockte Peter gleich ganz aufgeregt die Nachricht vom Geschenk der freundlichen Bäckerin. Er verschwieg dabei aber die beiden Schokoladennikoläuse, die sie bekommen hatten, da diese, so hatten die beiden es unterwegs vereinbart, eine Überraschung für den Abend sein sollten.
Mit großen Augen nahm die Mutter die Tüte aus der Bäckerei fassungslos und überglücklich entgegen und Peter erzählte ihr von ihren Erlebnissen.
Vreni kramte währenddessen wie zufällig ein Taschentuch und eine Tube Kleber aus der Kommode und gab Peter heimlich zu erkennen, ihr zu folgen.
Während die Mutter ein spärliches Essen aus den Broten und Semmeln und was sie sonst noch fand zauberte, dekorierte der Vater den Tisch mit einem Tannenzweig, auf dem er eine Kerze befestigte und mit etwas Silberpapier einwickelte. Er stibitzte sich ein Plätzchen, welche die Kinder mitgebracht hatten, legte die restlichen auf einen Teller und stellte sie in die Mitte des Tisches. Auch für ein gemütliches Feuer, das er bereits angezündet hatte, hatte er genug Holz zusammen gesammelt.
Trotz ihrer Armut, ließen sie es sich nicht nehmen, den Weihnachtsabend so angenehm und gemütlich, wie nur irgendwie möglich, zu feiern. Und ein gewisses Weihnachtsambiente stellte sich ja schließlich auch schon bei den schlichten Sachen ein. Auch wenn es keine Geschenke geben würde, so wollten sie den Heiligen Abend doch im angemessenen Rahmen feiern.
Es setzte bereits die Dämmerung ein, als die beiden Kinder endlich wieder heimkehrten. Unterwegs fanden sie noch ein altes Zeitungspapier zum Einwickeln ihres Geschenkes und einen noch durchaus akzeptablen Krug für Ihren Vater.
Langsam begann es zu schneien. Ein leichter Wind blies vom Westen her und schien die Temperatur noch unangenehmer und kälter erscheinen, als es tatsächlich der Fall war.
Der Vater schürte mehr Holz ins Feuer um die Kälte damit zu vertreiben.
Alle setzten sich an den bereits gedeckten Tisch und die Mutter begann mit dem Servieren des Essens während der Vater ein ergreifendes Tischgebet sprach.
Nach einer Weile - die Familie war mitten in ihrem spärlichen Mahl - hörten sie von außerhalb eine männliche Stimme rufen.
Der Vater stand auf und sah hinaus.
Draußen stand ein alter Mann mit einem langen weißen Bart und seine Kleidung war genauso, wie seine eigene, sehr zerlumpt.
»Kann ich Ihnen helfen?” , fragte er freundlich.
»Ach, das wäre nett, wenn ich mich bei Ihnen ein bisschen aufwärmen dürfte.« , sagte der Mann freudig. »Ich laufe jetzt schon seit Stunden in der Gegend umher und friere ziemlich!«
»Aber das ist doch kein Problem« , erwiderte der Vater, «kommen Sie nur herein zu uns, da ist schon noch ein Platz frei.«
Das lies sich der Alte nicht zweimal sagen und betrat voller Dankbarkeit die Unterkunft der Familie.
»Setzen Sie sich ruhig hin!« , forderte der Vater ihn auf. »Wir haben zwar nicht viel zum Essen, aber wenn ich Sie so ansehe, dann glaube ich schon, dass Sie etwas Warmes vertragen könnten!«
Sofort stand die Mutter auf und brachte dem Mann einen Teller Suppe.
Freudestrahlend setzte sich dieser.
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