Endlich steuerte das Schiff wieder auf den richtigen Kurs zu.
Lange noch standen die Passagiere an Deck und genossen den Ausblick auf einen sternenklaren Himmel, bis einer nach dem anderen todmüde und erschöpft in seinen Kabinen verschwand und in Tiefschlaf fiel.
Als die Kinder am nächsten Morgen erwachten, stellten sie ganz erstaunt fest, dass auf Deck bereits ein großer Menschenauflauf stattgefunden hatte.
Es war ein schöner, sonniger, warmer Tag und das Meer plätscherte ruhig in kleinen Wellen dahin. In der Ferne zeichneten sich bereits Landstriche ab und von Eisschollen war weit und breit keine Spur mehr zu entdecken.
Sie liefen auf ihre Eltern zu, die gemütlich an der Reling lehnten und den Ausblick genossen.
» Was ist denn los, dass gar so viele Leute da stehen? «, wollte Franzl wissen.
» Wir legen bald an und jeder möchte zusehen, wie wir einfahren ”, antwortete sein Vater froh gelaunt.
» Was? «, wunderte sich der Junge. » Wir sind schon fast da? Aber das kann doch gar nicht sein, dass wir in nur einer Nacht vom Nordpol bis hierher gefahren sind!«
»Was redest Du denn da? «, lächelte der Vater. » So ein Unsinn. Natürlich kann man in einer Nacht nicht vom Nordpol bis hierher fahren. « Er schüttelte belustigt den Kopf. » Ich befürchte fast, dass Du auf See dein Zeitgefühl und Deinen Orientierungssinn verloren hast. Darum möchte ich Dich gleich mal aufklären! Wir sind schon drei Tage unterwegs und einen Umweg über den Nordpol haben wir sicher nicht gemacht! Das müssten wir doch wissen, oder nicht? Aber erklär` mir mal, wie Du darauf kommst? «
» Aber Papa! «, schaltete sich Susi ein. » Wir waren doch am Nordpol in der Weihnachtsstadt. Und mit dem Weihnachtsmann haben wir die Geschenke am Heiligen Abend ausgefahren. Und Rudi, das Rentier haben wir dort auch kennen gelernt! «
» Ja stimmt! «, pflichtete ihr Franzl bei. » Nachdem unser Schiff vom Sturm total kaputt war und halb versunken im Eis festgesteckt ist, haben uns der Weihnachtsmann und seine Helfer doch gerettet! Und dafür haben wir dann Weihnachten gerettet! «
Die Eltern mussten laut auflachen. »Was habt ihr euch denn da wieder für eine Geschichte ausgedacht? «, kicherte die Mutter. » Wir sind doch niemals in einen Sturm gekommen und gekentert. Keine Angst, das Schiff ist absolut in Ordnung! «
Sie zwinkerte den Kindern zu. » Außerdem könnt ihr gar nicht mit dem Weihnachtsmann die Geschenke ausgefahren haben. Heute ist erst der 23. Dezember und der Weihnachtsmann kommt somit erst morgen!«
» Und Du glaubst doch eh nicht mehr an den Weihnachtsmann «, zog der Vater den Jungen auf. » Du sagst doch immer, er wäre nur ein Märchen. «
Völlig irritiert schauten sich die Kinder an. Hatten sie alles nur geträumt?
Aber das zwei Menschen den gleichen Traum in der gleichen Nacht hatten war doch unmöglich.
Sie wendeten sich von ihren Eltern ab und machten sich daran, andere Passagiere nach den Ereignissen der letzten Tage zu befragen.
Zu ihrem großen Erstaunen, konnte sich niemand an irgendeinen Sturm, einen Schaden oder eine Weihnachtsstadt erinnern.
»Du Franzl, ich hab da eine Idee!« , fiel es Susi ein. »Wir haben doch vom Weihnachtsmann ein Geschenk bekommen und es unter unser Kopfkissen gelegt. Wenn es noch da ist, wissen wir wenigstens, dass wir nicht phantasieren!«
»Natürlich!«, stimmte ihr Franzl bei. »Da schauen wir doch gleich mal nach!«
Sofort stürmten die beiden auf ihre Kabine zu, rissen die Türe auf und schauten unter ihr Kopfkissen. Voller Erleichterung stellten sie fest, dass das Geschenk wohlbehalten an seinem Platz lag.
Nun hatten sie die Gewissheit, dass es kein Traum war. Der Weihnachtsmann existierte also tatsächlich.
» Ich werde nie mehr behaupten, dass der Weihnachtsmann nur ein Märchen ist! «, seufzte Franzl ganz erleichtert. » Ich werde immer an ihn glauben! «
» Ich auch! «, stimmte Susi bei. » Aber wie hat der das bloß gemacht, dass er die Zeit gleich um zwei Tage zurück gedreht hat und die Erwachsenen von nichts mehr wissen - wir aber schon? «
Sprachlos zuckte Franzl mit der Schulter.
Gleichzeitig - irgendwo hoch im Norden, in einer bunt geschmückten Stadt, wurden gerade in diesem Moment viele Geschenke von Wichteln, Elfen und Kobolden auf einen Schlitten gepackt und ein großer, gut gebauter, älterer Mann mit langem weißem Bart, einer Brille, schwarzen Stiefeln, rotem Gewand und roter Zipfelmütze lächelte vergnügt vor sich hin. »Das war doch ein Meisterstück von mir! «, dachte er sich. » Auch wenn ich jetzt die Geschenke noch einmal ausliefern muss, war es das auf alle Fälle wert. Hoffentlich denken die beiden Kinder noch lange an mich! «
Tief in Gedanken versunken kraulte er den Kopf eines kleinen neben ihn stehenden Rentieres mit einer roten Nase, welches dieses Jahr endlich seinem ersten großen Auftritt entgegen fieberte.
Langsam begann die Morgendämmerung die Dunkelheit aus der kleinen Vorstadt zu vertreiben und die ersten Lichtstrahlen spiegelten sich in den schneebedeckten Hausdächern. Schneeflocken tanzten leise vom Himmel hernieder und legten sich wie ein Teppich auf die Straßen. Die Schaufenster der Läden waren mit bunten Lichtern geschmückt und festliche Weihnachtsbäume wurden in den Häusern für das Fest vorbereitet und herausgeputzt.
Überall, wohin man auch sah, waren die Menschen emsig dabei, die letzten Weihnachtsvorbereitungen zu treffen und Weihnachtsgeschenke für die große Bescherung zu besorgen. Jeder grüßte sich freudig auf der Straße und rief seinem gegenüber »Frohe Weihnachten« zu.
Es war der 24. Dezember.
In einer Straße standen in zerlumpten Kleidern ein junges Mädchen und ihr kleiner Bruder mit weit aufgerissenen Augen vor einem großen Schaufenster und betrachteten voller Wehmut die Spielsachen unter dem bunten Weihnachtsbaum.
»Das ist aber schön, das möchte ich gerne einmal haben!« , rief der Kleine ganz aufgeregt und deutete mit dem Finger auf ein Auto hin.
»Ach Peterl!« , seufzte seine Schwester die Vreni schwermütig, »Du weißt doch, dass wir uns das wahrscheinlich nie leisten können! Wir haben doch gar kein Geld!«
»Das weiß ich doch. Aber davon träumen wird man doch wohl noch dürfen, oder?«
«Ach Peterl, hätte unser Vater damals, als Du geboren wurdest, keinen Unfall gehabt, dann wäre das heutzutage ganz anders! Dann müssten wir nicht nur davon träumen, sondern hätten ein festes Dach über dem Kopf, einen Weihnachtsbraten im Rohr und eine richtige Bescherung!« , sinnierte Vroni voller Tränen in den Augen.
»Und das Christkind würde uns dann auch nicht vergessen - es würde uns bestimmt lauter Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen und wir wüssten gar nicht, was wir als erstes auspacken sollten!« , erwiderte Peter.
»Das wäre schön! - Komm Peterl, das träumen nutzt uns leider nichts, gehen wir weiter.« Mit diesen Worten nahm sie Peter - der sich gar nicht von den vielen Spielsachen satt sehen konnte - an der Hand und zog ihn vom Schaufenster weg.
Als sie sich auf den Weg machen wollten, kam ganz eilig ein Mann mit vielen Paketen aus dem Geschäft, vor dessen Schaufenster sie gerade gestanden hatten, heraus und überquerte im Laufschritt die Straße. Dabei fiel ihm eine Schachtel herunter und landete direkt vor Peters Füßen.
Dieser bückte sich sofort und hob es auf.
Noch bevor er etwas sagen konnte, drehte sich der Mann, dem es aufgefallen war, dass ihm eine Schachtel fehlte, plötzlich um und sah den Jungen mit seinem Eigentum in der Hand am Straßenrand stehen.
Читать дальше