Alexander Zeram - BEGEGNUNGEN

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*BLIND BLUES* Der letzte große Auftritt des blinden Bluessängers Joe Morgan. *BEGEGNUNG* Perspektivisches Verwirrspiel über Motivationslosigkeit und Lebensüberdruss. *DER FLUCH (D-Day)* Vor 666 Jahren prophezeit, droht einer ganzen Sippe der Untergang. Vampirgrusel mal ganz anders. *HENRY* Eine erfolgreiche Geschäftsreise … mündet in den Kampf um Vergehen, Überleben und Erleben. *HOCHZEITSREISE* Unvergessliche Flitterwochen fern der Heimat – ganz exklusiv? Aber ja! Nur … wie finanziert ein mittelloser Bräutigam solch eine Traumreise? *STAUB* Ein junger Forscher macht eine außergewöhnliche Entdeckung … und kommt nicht mehr davon los. *AUSSPRACHE* Zwei alte Freunde, eine kostbare Flasche Whisky und … eine Frau im Hintergrund! Gefühls-Theater für Zwei!

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Alexander Zeram

BEGEGNUNGEN

7 Kurzgeschichten und Erzählungen

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Inhaltsverzeichnis Titel Alexander Zeram BEGEGNUNGEN 7 Kurzgeschichten und - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Alexander Zeram BEGEGNUNGEN 7 Kurzgeschichten und Erzählungen Dieses ebook wurde erstellt bei

BLIND BLUES

Begegnung

Der Fluch (D.-Day)

HENRY

HOCHZEITSREISE

S T A U B

AUSSPRACHE

Der Autor

Impressum neobooks

BLIND BLUES

Kurzgeschichte (Studie)

When you lose your eyesight yo best friends gone sometimes yo own - фото 2

»When you lose your eye-sight,

yo’ best friend’s gone.

sometimes yo’ own dear people

don’t fool with you long.«

(›Sleepy‹ John Adam Estes)

Blind Joe Morgan rückte sich den wackeligen Stuhl zurecht, stimmte die tiefe E-Saite seiner Gitarre neu ein und schlug dann einen Akkord an, der die Aufmerksamkeit des Publikums ein klein wenig auf den Sänger lenkte. Es gab also wieder Musik, man würde wieder tanzen können – und sofort erhoben sich einige Paare und auch einzelne Gäste von den Schemeln, lösten sich von der Bar aus den dicht gedrängten Reihen und sammelten sich langsam auf der Tanzfläche.

Der Musiker setzte nach ein paar einleitenden Läufen mit dem markanten Rhythmus des Sleepy John Estes Liedes › I’d be well warned‹ ein und sang neben eigenen Versen auch den, der seine Blindheit als einen Zustand der Entrücktheit, der Hilflosigkeit und des Ausgeliefert-Seins darstellte.

Aus dem Publikum kamen sehr bald vereinzelte Rufe, die nach ›was Peppigerem‹ verlangten.

»Spiel’ uns ?nen Shimmy, Joe. Das traurige Gedudel kannste zu Hause Deinen Leuten vorjaulen!«, hörte er Big Artie lallen – einen Bullen von Mann, der sich gerne mit jenen prügelte, die ihm Widerworte gaben. Der hielt sich mehr schlecht als recht zwischen zwei ebenfalls ziemlich angetrunkenen Mädchen und fuchtelte dabei mit einer halb leeren Whisky-Flasche herum. Die zu seiner Linken, Roxy wurde sie genannt, musste sich in diesem Augenblick übergeben. Ein Schwall übel riechender Flüssigkeit spritzte fast bis vor den Sitzplatz des Sängers.

Es gab einen Aufruhr, weil der Wirt ›heute schon zum dritten Mal‹ seinen Barmann mit dem Putzeimer losschicken musste.

»Roxy, wenn de nix mehr bei Dir behältst, dann kriegste nix mehr!«, schrie er hinter seiner Theke hervor.

Der Gitarrist stimmte, kaum, dass man ihm einen kurzen Hinweis gegeben hatte, dass die Tanzfläche wieder zu betreten war, einen flotten Rhythmus an und sang einen seiner immer wieder von allen bejubelten Songs über eine alte, fette aber sehr wohlhabende Frau, die sich junge Liebhaber kaufte. ›Big Sally?s Wedding‹ war jetzt genau das Richtige für diese Situation, da sich Big Artie mit dem Barmann anzulegen drohte. Das Publikum konnte lachen, den Refrain mitsingen und über die derben Witze des obszönen Textes lachen.

Blind Joe Morgans raue Stimme hörte man gerne in dieser Kneipe, wo sich Huren und Zuhälter Stammkunden nannten und zusammen mit dem betrügerischen Wirt und dessen alter ›Mammy‹ die Gäste ausnahmen. Wer auch immer seinen Fuß über die Schwelle setzte, gehörte nicht mehr der so genannten heilen Welt an – hier unterstand ein jeder anderen Gesetzen.

An diesem ehrwürdigen Ort herrschten Geld und Sucht – hier regierte das Verderben eines jeden Einzelnen. Wer sich dem Alkohol verschrieben hatte, war angesehen und der Spieler genoss –wenn er gut war und oft gewann– Dank seines Geldes die Achtung aller leichten Mädchen. Freundlichkeit hieß hier Heuchelei und wer Witze riss, meinte damit nicht die Welt zu verspotten. Meist fand Humor hier nur Anerkennung, wenn er beim Spiel zu Betrug und bei einer Unterhaltung zu obszönen Einwürfen verwendet wurde. Die angesehenste Person war schließlich der Wirt – nach dem sich jeder zu richten hatte und der in seiner Kneipe wie in einem kleinen Königreich herrschte. Alleine an ihm lag es, ob man reinen Wein eingeschenkt bekam – was heißen sollte: billigsten Fusel oder Markenalkohol, den der Wirt nicht versetzt hatte. All dies berührte den alten Bluessänger auf dem wackeligen Stuhl jedoch wenig. Er war in diesem Milieu zwar aufgewachsen, aber seit einigen Jahren sah er der mächtigen Konkurrenz junger Musiker zu, die sich in allen Spelunken breitmachte, mit verstärkten Gitarren, Schlagzeug und allmöglichem Backing arbeiteten sie und legten Wert darauf, von den Tänzern nicht nur gehört zu werden, sondern diese und alle anderen Gäste zu übertönen. So schien ihnen darauf anzukommen, lauter als alles zu sein und dadurch im Mittelpunkt zu stehen.

Blind Joe Morgan wusste, dass die Zeiten vorbeigegangen waren, da man alleine oder zusammen mit einem Partner ein gutes Engagement länger halten konnte. Nicht alleine diese Einsicht schlug sich auf seine Musik nieder – es war auch die Erfahrung langer Jahre voller Entbehrungen darin.

Mit heiserer Stimme sang er seinen Blues und manchmal vermochte er die jungen Leute hier dennoch anzusprechen. Dann schüttelten sie sich zu seinen traditionellen Rhythmen und verlangten noch nicht einmal, dass er lauter spielte. Ohnehin hatte ihm der fette Wirt ein Mikrofon aufgebaut und die Lautsprecher verstärkten seinen anklagenden, traurigen Song.

Es wunderte ihn oft, dass man ihn überhaupt noch singen ließ, da die Musik seiner Generation doch längst nicht mehr gefragt schien. Zudem fühlte er sich zuweilen derart niedergeschlagen und zermürbt, dass er nicht die Kraft fand, einen lustigen Party-Song zu produzieren – und was wollte er denn mit seinen selbstanalytischen Texten in diesem Milieu. Früher hatten Seinesgleichen draußen auf den Straßen gesungen und Geschäfte mit dem Mitleid der Passanten gemacht. Er aber war in den Kneipen hängen geblieben – vielleicht ließ man ihn auch hier nur aus Mitleid spielen. Er zweifelte daran, dass der Wirt eines solchen Gefühls fähig war – aber anders konnte er sich diesen Umstand kaum noch erklären.

Er durfte also spielen … und singen. Singen von Unzufriedenheit, Liebeskummer, Ungerechtigkeit und dem kleinen Rest Hoffnung, den er noch in sich trug – aus welchem Grund immer.

Und manchmal hatte er die Kraft, sich selbst zu überwinden und dann riss er Witze, spielte die herrlichsten Boogies, sodass die Jungen nur vor Genugtuung und Begeisterung jauchzten. Dann hieß es allgemein ›Der alte Joe soll was auf meine Rechnung trinken!‹ Und wenn der Wirt ihm dann tatsächlich einen Gin eingoss, von dem man nicht unbedingt krank zu werden brauchte, dann wohl auch nur deshalb, weil er vermeiden wollte, den umgekippten Sänger am Ende noch von einem Krankenwagen abgeholt und im Hospital untersucht zu haben … auf eigene Rechnung, denn Blind Joe Morgan war bei keiner Krankenversicherung bekannt und der Wirt wollte bei keinem der Prüfer im Gesundheitsamt bekannt werden.

Zu Hause schliefen seine Leute um diese Zeit, denn die Arbeit des Tages war anstrengend genug und wenigstens am Samstag gönnten sie sich den Schlaf nach Mitternacht. Andere Familien feierten die Nacht vom Samstag auf den Sonntag in Kneipen wie dieser und verprassten das Geld, welches sie in einer Woche durch harte Arbeit verdient hatten. Diese waren gewissenlos und kannten kein Verantwortungsbewusstsein. Blind Joe Morgans Leute jedoch hatten den Ruf, fleißige Arbeiter zu sein, und wenn sie nicht immer bequem waren, hatte man zumindest in den Kneipen noch nie Arger mit ihnen gehabt.

Von ihm – dem vor ungezählten Jahren erblindeten Musiker – hatte diese Eigenschaft sicherlich keiner, weder der Sohn noch die beiden Enkel.

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