Begegnungen
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Neun Gedankenspiele
T. F. Carter
Impressum
Copyright: © 2014 T. F. Carter
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-1464-4
Vorwort
Kurzgeschichtensammlungen widmen sich häufig einem bestimmten Thema. So gibt es Zusammenstellungen von Liebesgeschichten, Horrorstories, dramatischen Ereignissen, historischen Anekdoten, Fabeln und vieles mehr. Es gibt Veröffentlichungen von ernsten und heiteren, besinnlichen und nachdenklichen Werken – wohlgemerkt, meistens thematisch zusammengehörig.
Was wäre nun aber, wenn eine Sammlung alle diese Aspekte vereinigte? Wenn in einer Sammlung jeweils eine Geschichte zu einem eigenen Thema aufgenommen wäre?
Diese Veröffentlichung enthält neun Geschichten mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen. Ernst oder heiter, zum Schmunzeln oder zum Nachdenken. Es finden sich starke Frauen und politisch vollkommen unkorrekte Männer, listige Tiere und Helden, die gar keine Helden sein möchten. Es wird gelebt und geliebt, gestorben und gemordet und so manch historischer Ablauf vollkommen neu erzählt. Und wer weiß, vielleicht findet sich ja sogar eine neue Methodik darunter, heutige Lehrbücher für die Schule zeitgemäßer zu gestalten.
Ob Horror oder dramatische Liebesgeschichte, historisches Kriegserlebnis oder mythische Satire, Nachdenkliches oder Reiseabenteuer – für jeden ist etwas dabei. So wünsche ich viel Spaß beim Lesen.
T. F. Carter
Inhaltsverzeichnis
Gräben, die verbinden Gräben, die verbinden
Traumurlaub Traumurlaub
Der schwere Weg zurück Der schwere Weg zurück
Die Bank im Wald
Der Trojanische Krieg - Management Summary
Troja - Dichtung und Wahrheit
Sonnenuntergang
Ungebetene Hilfe
Lasst Blumen sprechen
Gräben, die verbinden
Der junge Soldat schaute in den Himmel. Graue Wolken zogen dort vorbei, getrieben von einem unfreundlichen, böigen Wind, ganz anders als gestern, als die Sonne mit der Kraft des frühen Sommers geschienen hatte. Sonne… Wind… Der junge Soldat seufzte auf. Eigentlich mochte er dieses Wetter, nicht zu kühl, nicht zu warm, und insbesondere in der Montur, mit vollem Marschgepäck, wäre ein sonniger, heißer Tag überaus erschöpfend gewesen, zudem motorisierte Kräfte ihnen derzeit nicht zur Verfügung standen und sie zusätzliches Gerät mit sich tragen mussten. Waren sie nicht ein Panzergrenadierregiment? Er musste lachen. Wo waren die Panzer?
Der heutige Marsch diente der Aufklärung. Der Feind hatte sich, von Norden kommend, der Stadt genähert, und es war gelungen, ihn unter Aufbietung aller zur Verfügung stehender Mittel zurückzuschlagen. Nun war sicherzustellen, wo genau die Truppen des Feindes waren. Die eigene Luftaufklärung war nur bedingt aussagefähig, da die andere Seite längst die Lufthoheit besaß.
Vor einem Monat noch hatte Ruhe geherrscht, eine trügerische Ruhe. Der Feind schien weit entfernt, jenseits des Wassers, und so hatte der junge Soldat, bevor er zu seinem Regiment kam, noch einige wundervolle Tage des ausgehenden Frühlings genießen können. Während die Heimat nach und nach in Schutt und Asche versank, während die Armeen des Heimatlandes an zwei anderen Fronten auf einem ständigen Rückzug waren, war hier noch, wie ihnen gesagt worden war, alles unter Kontrolle. Die schweren Geschütze der Küste wären unüberwindbar, niemand hätte eine Chance, hier zu landen, und würde er es doch wagen, würde er in seinem eigenen Blut ertrinken.
Der junge Soldat hatte sich freiwillig gemeldet, nicht in der Begeisterung anderer junger Männer, die der Propaganda Glauben schenkten, dass ihr Opfer das retten würde, was zu zerbrechen drohte. Nein, er hatte sich freiwillig gemeldet, um zu verhindern, dass ihn sein Vater in eine Organisation zwang, der er niemals angehören wollte. Er war noch nicht einmal 18 Jahre alt, aber heute wurde jeder genommen, der einigermaßen geradeaus laufen konnte, wie heimlich und sehr vorsichtig hinter vorgehaltener Hand gespottet wurde. Das Land, aus dem er kam, hatte nicht mehr viele Möglichkeiten.
Sein Vater war außer sich gewesen, als er hörte, dass sein Sohn in die reguläre Armee eingetreten war. „Du bist die Elite!“ hatte er gebrüllt. „Was versteckst du dich in der Zweitklassigkeit? Du musst dort stehen, wo das wirklich Entscheidende geschieht!“
„Und das wirklich Entscheidende geschieht dort, wo du bist?“ hatte der junge Soldat geantwortet.
„Du bist ein Ignorant. Es geht darum, Einfluss zu nehmen. Sich an den richtigen Platz zu stellen. Was wirst du nun? Du bist ein Offiziersanwärter in Feldgrau.“ Der Vater schnaubte geringschätzig.
„Meine Wertigkeit erhöht sich also, wenn ich eine schwarze Uniform trage? Allein durch die Farbe?“
„Wenn du ein kleines Licht bleiben möchtest, dann stelle dich nicht ins Fenster. Diese Politik verfolgst du offenbar.“
„Ich verfolge die Politik, mich selbst im Spiegel betrachten zu können!“
Der Vater hatte vor Empörung Luft geholt, als die Mutter zwischen sie trat und den jungen Soldaten streng musterte: „In welchem Ton wagst du es, mit deinem Vater zu sprechen?“
„Ich spreche mit ihm in genau dem Ton, der der Situation angemessen ist, Mutter!“ Der junge Soldat verneigte sich leicht vor ihr.
Seine Eltern waren Respektspersonen, uralter Adel, elitär und sich ihres Standes bewusst. Sie waren einst verheiratet worden, weil ihre Eltern dies wünschten, und beide hatten sich der Entscheidung gefügt, auch wenn der junge Soldat wusste, dass die Ehe trotz einer beachtlichen Kinderschar keineswegs glücklich war. Er war nicht blind und taub, hatte durchaus die Streitigkeiten zwischen den beiden mitbekommen, ohne dass er wusste, was genau die Gründe der Differenzen waren, und er hatte auch zwei, drei Mal erlebt, wie sein Vater seine Mutter schlug.
Der junge Soldat hatte mit beiden Eltern seine Probleme. Sein Vater war in seinen Augen ein widerlicher Opportunist, jemand, der ausschließlich seinen Vorteil suchte, ohne dass er das, was er vorgab zu sein, auch wirklich war. Seine Mutter war eine strenge Frau, auf Etikette und gutes Benehmen bedacht, die wenig Raum für Herzlichkeit bot. Sie hatte ein fest geprägtes Bild von der Welt, ein Bild von feudalistischen Ordnungen, von Oben und Unten, und dort, wo sie zu sein pflegte, da war Oben. Seine Mutter war ein Anachronismus, mindestens 100 Jahre zu spät geboren, unfähig, neue Gesellschaftsordnungen zu akzeptieren. Trotz allem hätte er sie gerne geachtet, insbesondere wenn sie einmal, ja, nur ein einziges Mal eine klare Position gegen seinen Vater bezogen hätte.
Doch dies blieb aus. Ihm gegenüber, seinen jüngeren Geschwistern gegenüber, der Welt gegenüber trat seine Mutter als die treue Ehefrau auf, die ihren Ehemann in allem, was er tat, bestmöglich unterstützte. Ihn ekelte dieses Verhalten an, und er hatte kaum jemanden, mit dem er darüber sprechen konnte. Es waren gefährliche Zeiten, und man musste einer Person schon überaus vertrauen, wenn man es wagte, bestimmte Gedanken offen zu äußern.
Sein Cousin war jemand, den er hoch schätzte, ein wenig jünger als er selbst, ein freundlicher, offener junger Mann, aber über familiäre Dinge hatten sie eigentlich, obwohl sie zusammen aufgewachsen waren, selten gesprochen. Es gab andere Themen: Spiele, Filme, Sport, später Mädchen… Die Familie war in einer seltsamen Art und Weise thematisch sakrosankt.
Seine Brüder waren zu jung, und es blieb noch seine Schwester, ein jugendliches Mädchen, die sich gerne von Zeit zu Zeit rebellisch und aufmüpfig gab. Der junge Soldat war sich sicher, dass sie eine gute Verbündete sein könnte, denn trotz ihrer übersprühenden Energie war sie ein sehr ernsthafter und freundlicher Mensch. Auch sie zeigte eine deutliche Abneigung ihrem Vater gegenüber, auch sie hatte das eine oder andere Mal Bemerkungen fallen gelassen, dass sie mit der politischen Situation nicht unbedingt übereinstimmte und hatte sich dafür stets schwere Verweise der Eltern anhören müssen. Aber seit einiger Zeit hatte sich eine für den jungen Soldaten schwer zu verstehende Vertrautheit zwischen seiner Schwester und der Mutter herausgebildet. Die beiden Frauen waren eigentlich vollkommen gegensätzlich, und es hatte oftmals viel Streit gegeben, doch nun, seit einigen Monaten, war dies weniger geworden. Seine Schwester stand am Übergang von der Heranwachsenden zur Frau, fand so offenbar andere Themen mit ihrer Mutter. Und so, hatte der junge Soldat beschlossen, fiel nun auch seine Schwester als Gesprächspartnerin aus.
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