1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Mit einem Mal konnten Rosi und Berthold beobachten, wie ein Passant einem anderen ein Päckchen mit einem weißpulvrigen Inhalt zuschob, und für die beiden war klar, dass dort gerade Rauschgift seinen Besitzer gewechselt hatte. Sie waren doch verblüfft, dass das so offen auf der Straße geschah. Zu ihrer Zeit, als sie noch in den Römer gegangen waren und dort zu Dave Brubecks Take Five Bier getrunken hatten, hat man so etwas nicht gesehen. Überhaupt hatte sich das Viertel mächtig verändert und Berthold fragte Rosi:
„Hast Du manchmal das Gefühl, dass wir woanders hinziehen sollten?“ Aber Rosi antwortete:
„Genauso wie sich das Viertel geändert hat, haben wir uns doch auch geändert, ich denke, wir müssen mit den Veränderungen zu leben versuchen, mit ihnen klarkommen, wir können nicht einfach vor den Verhältnissen kapitulieren und uns aufs Altenteil begeben!“ Berthold sah Rosi an und war erstaunt über ihre so klar vorgebrachten Worte, aber so kannte er sie, wenn sie ihre Meinung artikulierte, drückte sie sich unmissverständlich aus, und es gab an ihren Worten nichts zu erklären.
„Ich finde auch, dass wir in der Wielandstraße wohnen bleiben sollten, schon allein der Kinder wegen, die sich dort wohlfühlen und dort ihre Freunde haben“, entgegnete Berthold, „auch wenn sich quasi vor unserer Haustür schlimme Kriminalität abspielt, aber das gehört heute offensichtlich zum Erscheinungsbild der Gesellschaft, dass sich Rauschgiftdealer mehr oder weniger frei bewegen können.“
„Ich glaube, dass die Polizei die im Auge hat, und wir nur nicht wissen, wo sich die Zivilpolizisten gerade aufhalten“, erwiderte Rosi. Berthold zahlte und er unterhielt sich auf dem Weg nach Hause noch mit Rosi über den Film, der beiden überaus gut gefallen hatte, trotz seiner Überlänge. Der Protagonist war während der zwölf Jahre seines Heranwachsens gefilmt worden, und er spielte seine Rolle sehr authentisch, das machte ihn glaubwürdig und der Film war an keiner Stelle langweilig. Rosi und Berthold kamen zu Hause an, und Rosi schenkte jedem noch ein Glas Wein ein, obwohl es schon beinahe Mitternacht war. Aber ihr war danach, und sie setzte sich mit Berthold noch ins Wohnzimmer und redete mit ihm über ihre momentane Situation.
„Bist Du eigentlich glücklich mit Deinem Leben?“, fragte sie Berthold frei heraus. Berthold war wie vor den Kopf gestoßen, er antwortete aber:
„Wenn Glück bedeutet, dass man ein Höchstmaß an subjektiver Zufriedenheit empfindet, dann bin ich glücklich!“ Rosi ließ seine Worte eine Weile im Raum stehen, bevor sie entgegnete:
„Für mich gilt das Gleiche!“ und sie gab Berthold einen Kuss.
„Warum sollten wir uns also verändern?“ fragte sie im Anschluss und verstand ihre Frage als rhetorische Frage. Plötzlich erschienen Agnes und Bernd aus ihren Zimmern und Agnes fragte:
„Was sitzt Ihr denn mitten in der Nacht hier herum und unterhaltet Euch, das habe ich bei Euch ja noch nie erlebt?“
„Warum dürfen Euer Vater und ich uns denn nicht unterhalten, auch wenn es mitten in der Nacht ist?“, fragte Rosi bewusst provokativ und Agnes entgegnete:
„Worüber redet Ihr denn, dass es so wichtig ist, dass Ihr es jetzt tut?“
„Wir unterhalten uns über die Frage, ob wir glücklich sind“, antwortete Berhold und Bernd fragte:
„Und, seid Ihr glücklich?“ Rosi sah ihren Sohn an und sagte ihm:
„Ja, Euer Vater und ich sind glücklich und wir wollen, dass dieser Zustand so lange wie möglich andauert!“
„Aber ich denke, dass wir jetzt alle ins Bett gehen sollten, wenn Ihr wollt, können Rosi und ich Euch Morgen etwas über den Film erzählen, den wir heute Abend im Cinema gesehen haben!“, sagte Berthold. Als alle nach oben verschwunden waren, ging er schnell in sein Arbeitszimmer, wo er einen in die Wand eingelassenen Safe hatte, öffnete ihn und sah nach, ob das Päckchen, das er darin verwahrte, noch drin war. Anschließend schloss er den Safe wieder zu und ging schlafen. Am nächsten Morgen saßen sie alle vier um 6.30 h in der Küche beim Frühstück, als Rosi wie beiläufig den Vorschlag machte, in den nächsten Herbstferien doch gemeinsam mit Tommy und Jasmin in den Urlaub zu fahren, wohin, müsste man dann sehen. Agnes und Bernd sahen sich vieldeutig an und Agnes sagte:
„Ich finde Deine Idee toll, und ich werde mit Tommy darüber reden!“ und Bernd schloss sich an:
„Auch ich werde mit Jasmin sprechen, ich finde Deine Idee auch toll!“ Und so kam es, dass sie nachdem sie sich kurz miteinander ausgetauscht hatten, alle für zwei Wochen nach Mallorca fuhren, Rosi hatte die Reise gebucht und drei Doppelzimmer in Alcudia reservieren lassen. Es war noch schön warm auf Mallorca, während es zu Hause in Bremen draußen allmählich ungemütlich wurde, und man sich wünschte, noch einmal Wärme abzubekommen. In Alcudia hatten sie ein schönes Hotel mit Halbpension direkt an der ausladenden Bucht, und sie gingen alle sehr oft ins Wasser. Die Wassertemperatur betrug im Herbst noch 25° C, und das war sehr angenehm. Sie hielten sich den ganzen Tag am Strand auf und machten dort Ballspiele, wenn sie nicht schwammen oder in der Sonne dösten. Zweimal liehen sie sich einen Wagen und fuhren einmal über die Tramuntana nach Soller und nach Palma und einmal suchten sie die Orte im Süden der Insel auf und besuchten auch Märkte in den Städten im Innern. Wenn abends im Hotel das Buffet freigegeben wurde, aß jeder von ihnen wie ein Scheunendrescher, denn über Tag hatten sie alle Hunger bekommen und dagegen höchstens einmal ein Sandwich gegessen. Tommy war ein begnadeter Fotograf und er schoss eine Menge Fotos mit seiner Digicam, sowohl am Strand als auch auf ihren beiden Exkursionen.
Als sie nach den zwei Wochen wieder zu Hause waren, zog Tommy die 500 Fotos, die er hatte, auf seinen PC und schlug vor, doch einen Fotoabend zu veranstalten, er wollte sich dazu um einen Beamer kümmern. Rosi und Berthold sagten sofort, dass der Abend bei ihnen stattfinden sollte, sie würden etwas zu essen kochen, und anschließend könnte Tommy seine Fotos auf die Leinwand projizieren, die sie noch von alten Diashows im Keller stehen hatten. Als der Abend gekommen war, hatte Rosi Rumpsteaks gebraten und dazu Kartoffeln und Bohnen hingestellt. Die Steaks waren sehr zart und von ausgesuchter Qualität, zum Nachtisch gab es Tiramisu. Jasmin sagte:
„Das Essen ist so gut, dass ich mein Geschmacksempfinden kaum beschreiben kann, aber ich fand unser Essen in Alcudia auch in Ordnung!“ Sie räumten nach dem Essen schnell den Tisch ab und Tommy baute seine Utensilien auf, die er für die Fotovorführung brauchte – Leinwand, Beamer und Notebook. Beinahe wäre die Vorführung an einem fehlenden Kabel gescheitert, aber Tommy fand das Kabel noch in seiner Tasche und schloss es an. Als das erste Bild auf der Leinwand zu sehen war, bat Berthold darum, dass Tommy noch wartete, denn er wollte Getränke und Knabbereien holen. Er stellte Bier und Wein auf den Tisch und legte Nüsse dazu, dann konnte es endlich losgehen. Solche Fotovorführungen hatten immer etwas Kommunikatives, besonders, wenn die Betrachter selbst dabei gewesen waren und sich mit Leichtigkeit in die jeweils gezeigte Szene hineinversetzen konnten.
Es genügte immer nur ein Wort oder ein kleiner Satz, und jeder wusste sofort, worum es ging, wie es dort roch, welche Lautstärke dort geherrscht hatte, und wie warm es dort gewesen war. Bis Tommy seine 400 Fotos gezeigt hatte, 100 hatte er schon vorher aussortiert, weil sie teilweise doppelt und dreifach vorkamen, dauerte es an die drei Stunden und alle waren wie gerädert, als der Fotovortrag vorüber war. Sie fanden den Abend aber sehr schön und würden gern in dieser Runde noch einmal Fotos anschauen, vielleicht alte Dias von Rosi und Berthold.
Die beiden erklärten sich gleich bereit, unter ihren tausenden von Dias zu forschen und alte Schätzchen herauszusuchen, besonders solche, auf denen Agnes und Bernd als Kleinkinder zu sehen waren, und sie nahmen sich vor, im Laufe des kommenden Winters noch einmal einen solchen Fotoabend zu veranstalten.
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