Immerhin hatte sie Bernd dazu gebracht, zu reden, wenn auch nur über Golf, aber für den Anfang reichte das ja aus, man könnte den Kreis der Gesprächsthemen nach Belieben erweitern. Die beiden nutzten in der Folgezeit jede freie Stunde, um auf den Platz zu gehen und Golf zu spielen. Nach und nach schlossen sie rege Freundschaften zu anderen Golfern und trafen sich regelmäßig mit ihnen, auch bei sich in der Vahr. Jasmin und Bernd ließen dann Essen und Getränke kommen und verbrachten lange Abende mit ihren Golffreunden. Bernd war dann wie aufgedreht und redete und redete, er wurde von allen gemocht, weil er so eine Art an sich hatte, sich nicht in den Vordergrund zu drängen und auch andere zu Wort kommen zu lassen. Jasmin und Bernd führten fortan ein Leben, das sie beide sehr mochten, ihre Beziehung hatte einen neuen Schub bekommen. Von Kindern war bei ihnen aber weit und breit nichts zu sehen, sie hielten sich damit zurück, denn Jasmin hatte wirklich noch Zeit.
Im Vergleich zu Bernd war Agnes das sprühende Leben, sie kochte beinahe über vor Energie und Tatenddrang. Sie war schon seit Jahren mit Tommy zusammen und beide ergänzten sie sich hervorragend: da wo Agnes vor Energie über zu bersten drohte, war Tommy der Bremser und der Räsonierte, da wo Agnes auf ihr Gegenüber einredete und ihr Gegenüber gar nicht zu Wort kommen ließ, wusste Tommy sie zu bändigen und auch dem anderen die Chance einzuräumen, sich am Gespräch zu beteiligen. Agnes hatte nach ihrem Abitur Jura studiert, was sie immer vorgehabt und schließlich auch verwirklicht hatte. Sie war zum Studium nach Münster gegangen und hatte sich in dieser Stadt sehr wohlgefühlt. Sie war ihren Kommilitonen gleich wegen ihrer Redseligkeit und unbändigen Lebensfreude aufgefallen und wurde von allen sehr gemocht. Agnes wurde im Verlauf ihres Studiums in die verschiedenen Gremien der verfassten Studierendenschaft gewählt und verrichtete dort ihre Aufgaben immer zu aller Zufriedenheit. Tommy war in Bremen geblieben und hatte dort Wirtschaftsingenieurwesen Fachrichtung Maschinenbau studiert, was ein knüppelhartes Studium war. Ihm kam dabei entgegen, dass er auf seinem Gymnasium Mathe und Physik als Leistungskurse belegt und mit sehr gut abgeschlossen hatte. Die beiden sahen sich regelmäßig mal in Münster, wo Agnes in einer Wohngemeinschaft lebte und mal in Bremen, wo Tommy zu Hause geblieben war und sein Zimmer behalten hatte. Nach ihrem Studium waren sie zusammengezogen und hatten sich ein Häuschen in Fischerhude gekauft.
Der kleine Ort lag 20 Kilometer nordöstlich von Bremen und erfreute sich bei jungen Familien als Wohnort zunehmender Beliebtheit, die die Landluft genießen, aber gleichzeitig nicht allzu weit von der Stadt entfernt leben wollten. Das Landleben widersprach eigentlich auch dem unruhigen Wesen von Agnes, und Agnes bestand bei Tommy darauf, regelmäßig nach Bremen zur Schlachte zu fahren und ordentlich einen drauf zu machen. Sie trafen sich dann dort mit Bekannten aus dem Viertel, in dem auch Agnes Eltern lebten und die Agnes und Tommy noch von früher her kannten. Nachdem Agens und Tommy Nachwuchs bekommen hatten, war Agnes Trieb etwas gestillt, sie war gezwungen, sich Ruhe aufzuerlegen und sich um Philipp, ihren Sohn, zu kümmern. Tommy hatte eine Stelle beim Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen bekommen und war im Hafenwesen in der Logistik beschäftigt, er war deshalb viel unterwegs und musste mehrmals wöchentlich nach Bremerhaven. Agnes hatte sich während ihre Studiums überlegt, wie es danach mit ihr weitergehen sollte, hatte die Richterlaufbahn eingeschlagen und war Familienrichterin geworden, was ihr viel Spaß bereitete. Sie war dem Amtsgericht Bremen zugewiesen und für die letzten Wochen ihrer Schwangerschaft freigestellt worden. Agnes hatte sich bemüht, eine Stundenreduzierung für sich durchzusetzen und arbeitete nur 20 Stunden die Woche, damit sie Zeit für Philipp hatte.
Fischerhude hatte sich zu einem Künstlerdorf gemausert und Agnes und Tommy waren kunstinteressierte Menschen, die sich gern mit den Künstlern unterhielten und sich ab und zu auch mal eines ihrer Werke zulegten. Skulpturen stellten sie, wenn sie aus Stein waren, in ihrem Garten auf und Bilder hängten sie in ihrem großen Wohnzimmer an die Wand. Fischerhude lag an der Wümme, einem kleinen Flüsschen, das sich ab Ottersberg zu den sogenannten Wümmewiesen verzweigte und in Lesum in die Hamme mündete, mit der es, zusammen mit der Lesum, 10 Kilometer weiter in die Unterweser floss. Die Wümme lud zu ausgiebigen Spaziergängen ein und Agnes und Tommy schnappten sich oft ihren Kinderwagen und schoben ihn mit Philipp darin den Fluss entlang. Manchmal kamen Rosi und Berthold nach Fischerhude raus und verbrachten eine schöne Zeit mit Agnes und Tommy zusammen. Sie gingen oft in Fischerhude ins Cafe und aßen dort ein Stück Kuchen und aßen es mit großer Freude, außerdem war das Cafe ein ausgesprochen angenehmer Aufenthaltsort. Bernd und Jasmin hatten sich noch nie in Fischerhude blicken lassen, obwohl es bis dorthin von ihrem Golf-Club nur ein Katzensprung war. Umgekehrt waren Agnes und Tommy schon zweimal bei ihnen in der Vahr, sie fanden es aber mit ihnen immer reichlich steril und unpersönlich und wenn Bernd seine Golfkenntnise ausschüttete, auch extrem langweilig, sagten ihm das aber natürlich nicht.
Dagegen fuhren sie mit Philipp sehr gerne ins Viertel zu Rosi und Berthold, die sich über die beiden und vor allem über ihr Enkelkind immer riesig freuten. Sie spazierten dann oft den Sielwall hoch bis zur Weser und liefen an dem Fluss entlang oder sie nahmen die kleine Fähre hinüber und gingen ins Cafe Sand, nachdem sie den Strandweg einmal auf und ab gelaufen waren, um danach wieder die Fähre zurück zu nehmen und ins Viertel zu gehen. Agnes war eine Frau, die ihre Mutterrolle ernst nahm, sie aber nicht zu einem Teil ihrer Persönlichkeit werden ließ, das hieß, dass sie neben der Kindererziehung durchaus auch ein Eigenleben führte. Und genau darüber stritt sie sich gern mit anderen Müttern aus Fischerhude, mit denen sie oft ganze Nachmittage bei sich oder bei denen verbrachte und Gespräch über Kindererziehung oder die Rolle der Mutter führte. Sehr gern wurde auch über PEKIP diskutiert, das sogenannte Prager Eltern-Kind-Programm, das eine Frühförderung schon für Babys im 1. Lebensjahr vorsah und auf allgemeinen Zuspruch seitens der meisten Mütter stieß. Anders Agnes, die PEKIP in den Bereich des Frühförderwahns einreihte, um den sich ein privater Bildungsmarkt etabliert hätte. Das Kleinkind würde zu früh in den sozialen Wettbewerb geworfen und durch zu viele Reize überfordert. Die Befürworterinnen des PEKIP-Konzeptes warfen Agnes dann immer Verbohrtheit vor, sie malte Gespenster an die Wand, wo es keine gäbe.
Agnes beließ sie in ihrem Glauben an das Gute in PEKIP und hielt den Punkt nicht für wert, dass man sich länger über ihn stritt. Viel wichtiger war ihr die eigene Rolle in dem Erziehungsprozess ihrem Kind gegenüber und auch die Rolle der anderen Frauen ihren Kindern gegenüber. Sie sah sich in der ablehnenden Position PEKIP gegenüber in der Minderheit und wurde auch massiv angegangen. Aber sie war stark genug, dem Druck standzuhalten und ihre Position aufrechtzuerhalten. Sie wusste ihre Mutter in dieser Debatte auf ihrer Seite, Rosi war aber aus einer eher pauschal begründbaren Haltung gegen PEKIP. Sie kannte das Konzept nur vom Hörensagen und war einfach gegen den Versuch, althergebrachte Haltungen zum Umgang mit Säuglingen über Bord zu werfen, ihr waren Mütter, die sich mit all ihrer Liebe um ihre Kleinstkinder kümmerten, am liebsten. Dass Agnes in ihrer völligen Hingabe aber den falschen Weg sah, behielt sie gegenüber Rosi für sich. Gegenüber den anderen Müttern wahrte sie aber ihre Position, dass sie unbedingt ihr Selbst behalten wollte. Letztlich würden beide davon profitieren, die Mutter, weil sie Ich-Stärke bewahrte und das Kind, weil es von einer starken Mutter vielmehr bekam als von so einem Jammerlappen, mit dem Agnes die anderen Frauen immer verglich. Tommy hielt sich aus solchen Diskussionen immer heraus, war aber auf der Seite von Agnes und wusste, dass man sich mit ihr besser nicht anlegte, denn Agnes stritt gern auf hohem intellektuellem Niveau, auf dem man manchmal nicht gegen halten konnte.
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