Wenn aber das Objekt in Abweichung vom Vertrag andere Bauausführungen aufwies als vorgesehen, bekam der Kunde natürlich Recht. Pascals Konsortium musste dann das Objekt neu anbieten und mit dem Preis sehr deutlich nach unten gehen. Bärbel hatte an ihrer Arbeitsstelle so gut wie nie Ärger und sie fuhr immer sehr gern zum Rathaus und erledigte vormittags ihren Job. Ihre Kollegen wussten sie sehr zu schätzen, denn Bärbel war als Amtfrau Ansprechpartnerin in vielen Angelegenheiten, die das Verhältnis ihrer Mitarbeiter zu ihren Chefs betrafen. Und auch bei ihren eigenen Vorgesetzten war Bärbel hoch angesehen, weil sie kompetent war und mit ihrem ausgleichenden Wesen so manche Woge zu glätten wusste. Für Inga stand im nächsten Jahr die Einschulung an, und Oma Ute und Opa Paul warten schon lange damit beschäftigt, Dinge für das Kind zu besorgen, die es in der Schule brauchen würde, und sie sprachen mit Bärbel und Pascal darüber. Die eigentlichen Schulsachen wie Rucksack, Hefte und Stifte, und auch den Füller, der aber erst später gebraucht würde, besorgten natürlich die Eltern. Aber alles Weitere wie eine gute Schuljacke, eine Mütze, Schuhe, Sportzeug usw. kauften Ute und Paul, und da ließen sie sich auch nicht lumpen und nahmen gute Qualität.
Jennifer hatte an der Uni Siegen Englisch und Mathematik für Gymnasien studiert und sich danach bei der Bezirksregierung Düsseldorf auf eine Referendarstelle beworben. Der Bescheid, den sie bekam, sah für sie Arnsberg als Dienstort vor. Arnsberg schmeckte ihr nicht so sehr, sie war in ihren ganzen Leben vielleicht zweimal in Arnsberg gewesen und konnte sich deshalb kein rechtes Urteil über die Stadt bilden, dass da aber nicht so viel los war, war ihr gleich zu Anfang ihrer Referendarzeit vollkommen klar. Aber egal, sie trat ihren Dienst an und sah sich gleich am Tag ihren Referendariatsbeginns mit 60 weiteren Referendaren im Studienseminar. Es wurden ihnen Vorträge über den Status des Studienrates zur Anstellung gehalten, die sehr trocken waren und niemanden so richtig interessierten, und als die Rede auch noch auf das korrekte Ausfüllen von Dienstreiseanträgen kam, schaltete Jennifer ab und ließ den Vortrag an sich vorbeirauschen. Sie sah sich im Kreise der anderen Referendare um und stellte fest, dass sie ebenso abgeschaltet hatten wie sie. Sie saß direkt neben einem wie sie fand gutaussehenden Referendarskollegen und sah ihn unvermittelt an. Der registrierte ihren Blick sofort und flüsterte ihr zu:
„Nicht sehr spannend oder, ich heiße Benny, hast Du nicht Lust, im Anschluss mit mir Kaffee trinken zu gehen?“ Jennifer war wegen der Direktheit seiner Frage zunächst überrascht, sagte aber zu und flüsterte zurück:
„Ist gut, aber wir müssen den Vortrag noch zu Ende anhören!“ Jennifer war über die vermeintliche Sicherheit von ihr in dieser Situation erstaunt, aber Benny sah so vertrauenerweckend aus, dass sie keine Bedenken hatte, als er ihr so plötzlich das Kaffeetrinken anbot. Nach dem Vortrag strömten alle dem Ausgang zu, ziemlich gerädert von der trockenen Materie, die sie über sich ergehen lassen mussten. Benny lief neben Jennifer und achtete darauf, sie nicht zu verlieren. Im Foyer vor dem Vortragraum war etwas Platz, Benny blieb stehen und sagte zu Jennifer:
„Entschuldige bitte, dass ich Dich so direkt angesprochen habe, aber ich habe mir nichts dabei gedacht und finde Dich eigentlich sehr sympathisch!“ Jennifer wurde leicht verlegen, als Benny wieder so drauf los redete, ließ seine Worte aber so stehen und entgegnete:
„Wo wollen wir denn Kaffee trinken gehen, ich kenne mich in Arnsberg gar nicht aus?“
„Lass uns doch einfach in die Stadt gehen, wir finden schon ein Cafe, in das wir uns setzen können!“, sagte Benny, und die beiden liefen ins Stadtzentrum. Sie fanden schnell ein Cafe, das ihnen zusagte und bestellten sich jeder eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen. Sie setzten sich an einen Fenstertisch, und Benny begann ein Gespräch über seine vergangene Studienzeit:
„Ich habe in Bochum Sozialwissenschaften und Geschichte studiert und sehe schon jetzt die mühevolle Zeit des Referendariats auf uns zukommen, ich habe so viel darüber gehört, und man hat mir gesagt, dass wir uns noch ordentlich über die Fachleiter ärgern würden.“ Jennifer erwiderte:
„Ich habe mir über unser Referendariat noch gar keine Gedanken gemacht und lasse sie einfach auf mich zukommen, aber dass die Zeit für uns alle nicht leicht werden wird, das ist mir schon klar!“ Sie erzählten sich im Lauf des Gesprächs, wo sie herkamen, und wie ihre familiären Verhältnisse lagen. Benny sagte mit einem Mal, dass er sich noch eine Bleibe suchen müsste und auch Jennifer hatte noch nichts für sich gefunden. Am Ende beschlossen sie, dass sie mit anderen zusammen eine Wohngemeinschaft gründen wollten. Sie fragten im Laufe der folgenden Tage unter den Referendarkollegen herum und kamen bis dahin täglich von Siegen bzw. Bochum und fuhren immer wieder zurück. Aber so sehr sie auch für eine Wohngemeinschaft warben, es fand sich einfach niemand, der mitmachen wollte. Schließlich sah die Sache so aus, dass Jennifer und Benny zusammen in eine Wohnung zogen.
„Keine Sorge“, sagte Benny, „das ist eine reine Zweckgemeinschaft!“, und er zerstreute damit Jennifers anfänglichen Zweifel, ob es denn richtig wäre, mit ihm zusammenzuziehen. Im Laufe des Referendariats wuchs zwischen den beiden aber eine sehr enge Beziehung, in der sie sich beide ihre Liebe zugestanden, und sie waren glücklich miteinander.
Nachdem sie die Referendarzeit über so manche Hürde hinweg hinter sich gebracht hatten, ging es für beide daran, sich an eine Schule zu bewerben und Jennifer favorisierte ihre Heimatstadt. Benny war es egal, wo er letztlich landen würde, es durfte nur nicht zu weit von Jennifers Schule entfernt sein. Jennifer bekam so eine Stelle am Gymnasium Essen-Borbeck, Benny kam an das Burggymnasium, und beide wurden Essener Stadtbürger. Sie nahmen sich eine Wohnung in Schlossparknähe in Borbeck und waren so nicht weit von Jennifers Eltern entfernt. Benny war gebürtiger Gelsenkirchener und damit auch nicht so weit von seinem Zuhause entfernt. Nachdem sie ein paar Monate in ihrer Neuen Wohnung gelebt und sich an ihren Schulen eingewöhnt hatten, rief Jennifer eines Tages plötzlich aus:
„Ich glaube, ich bin schwanger!“ Benny war völlig aus dem Häuschen, er würde Vater werden und konnte es noch gar nicht fassen. Auch in Katernberg und Gelsenkirchen wurde die Nachricht von den Alten mit großer Freude aufgenommen, und Oma Ute und Opa Paul richteten bei sich schon einmal alles für das neue Enkelkind ein. Bärbel und Pascal kamen öfter mit ihren Kindern nach Borbeck zu Jennifer und Benny und freuten sich auch für die beiden, dass sie endlich Eltern werden würden. Bärbel gab Jennifer alle Babysachen, die sie noch von den eigenen Kindern hatte, und Jennifer war glücklich, dass sie sich nicht darum kümmern musste.
Sie hatte in Bärbel eine erfahrene Mutter neben sich, die ihr in allen Belangen um die Kinder herum würde helfen können. Jennifer gebar einen Sohn, den Benny und sie David nannten und im Abstand von einem Jahr kam auch noch eine Tochter auf die Welt, die Rahel hieß. Sie hatten sich beide für die jüdischen Vornamen entscheiden, weil sie sich ihrer Meinung nach gut anhörten und weil ihnen die jüdische Provenienz sympathisch war. Jennifer spazierte stolz mit ihren Kindern durch Borbeck. Sie nahm sich, während sie vom Dienst suspendiert war die Zeit, an den Tagen, an denen in Borbeck Wochenmarkt war, mit dem Kinderwagen an der einen und David an der anderen Hand über den Markt zu laufen und frisches Obst und Gemüse zu kaufen. Wenn sie mit Bärbel, Pascal und deren Kindern zusammen waren, kümmerten sich Inga und Max immer liebevoll um David und Rahel und spielten mit ihnen, und wenn Jennifer und Benny nach Gelsenkirchen zu Bennys Eltern fuhren, kriegten die sich kaum ein, so sehr freuten sie sich über ihre Enkelkinder. Wenn aber Bärbel, Jennifer, Pascal und Benny mit ihren Kindern in Katernberg bei Oma Ute und Opa Paul waren, schien es für die Alten das größte Glück auf Erden zu sein. Und natürlich mochten die Enkelkinder Oma Ute und Opa Paul sehr, denn die hatten immer Süßigkeiten für die Kleinen. Nachdem Jennifer wieder angefangen hatte zu arbeiten, hatten Benny und sie sich nach einer Kinderfrau umgesehen und schließlich, nachdem sie Gespräche mit vielen Bewerberinnen geführt hatten, eine genommen, die von Anfang an in die engere Auswahl gekommen war, weil sie so warmherzig war und gleich einen Draht zu den Kindern hatte, was man sofort merken konnte.
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