Sie schaute kurz auf, schaute auf den See.
Sie hielt inne.
Hatte sie etwas gehört?
Sie lauschte.
Stille.
Und schlug das Buch ein paar Seiten weiter auf, dort, wo sie aufgehört hatte zu lesen.
„ Das wird ja immer merkwürderlicher“, schrie Alice. Sie war dermaßen fassungslos ...
„Was liest du da?“
Sie hatte das Sch-Wort auf der Zunge, konnte es aber gerade noch unterdrücken. Papa und Mama mochten es nicht, wenn sie es sagte, wenn sie es laut sagte, auch wenn Papa, besonders Papa, es mehr als nur manchmal sagte.
Marie fuhr zusammen und hob den Kopf. Gleichzeitig schlug sie vor Schreck das Buch zu. Die Stimme kam von links. Ein Mann stand neben der Bank. Kein weißes Kaninchen. Ein Mann. Marie musste sich zusammenreißen. Ihr Herz klopfte. Bis zum Hals. Das war neu, das kannte sie nicht. So hatte ihr Herz noch nie geklopft. So noch nie.
Sie kannte den Mann nicht. Es war anscheinend keiner von den Gästen. Marie kannte nicht jeden der Gäste, aber die meisten schon. Diesen hatte sie noch nie gesehen, da war sie sich sicher. Er schaute interessiert auf das Buch in ihren Händen. Sie schaute sich die Gäste immer sehr genau an. Das hatten Papa und Mama gesagt.
„Merk dir die Gesichter.“
„Warum?“
„Damit du weißt, wer hierher gehört und wer nicht.“
„Sag uns, wenn du fremde Gesichter siehst.“
„Wie merke ich mir Gesichter?“, fragte sie.
Papa runzelte die Stirn.
„Indem du nach Auffälligkeiten und Merkwürdigkeiten suchst und sie dir einprägst. Jedes Gesicht hat merkwürdige Merkmale. Nase, Ohren, Zähne. Augen. Narben.“
„Gut“, sagte Marie, „das merke ich mir.“ Und sie lachte. „Große Nase. Abstehende Ohren. Schiefe Zähne, lange grässlich aussehende Narben. Ganz einfach.“
„Ganz einfach“, sagte Tom, ihr Vater. Und schaute sie merkwürdig an.
Er schaute sie oft merkwürdig an. Grinste dann aber irgendwann. Und hob den Finger drohend.
„Ich hab keine abstehenden Ohren und keine große Nase“, sagte er und versuchte ernst zu bleiben.
„Nein!“, sagte Marie, und zog dieses Nein so sehr in die Länge, dass alles gesagt war.
Der Mann hielt den Kopf schräg und schaute sie freundlich an. Er hatte einen Fotoapparat in der Hand. Er bemerkte Maries Blick.
„Ich will ein paar Bilder von hier oben machen. Wow! Das ist hier ja mal ein sensationeller Ausblick.“
Er machte ein paar Schritte nach vorn.
„Mein Gott! Und du wohnst hier?“
Marie schaute auf den Rücken des Mannes.
Woher weiß der das?, fragte sie sich, und versuchte gleichgültig zu gucken.
Das ist ein Fremder, sagte sie sich. Du sollst mit Fremden nicht reden.
Er drehte sich um und sah ihr Schweigen. Und ihren Blick. Marie wurde rot.
Er lächelte. Und kam zurück zur Bank. Langsam. Er schaute auf das Buch in ihren Händen.
„Hm?“, gab er von sich und nickte zum Buch. „Was liest du da? ... Interessant?“
Er kam noch näher.
Ihr Herz klopfte. Schnell. Laut.
Konnte er das hören?, fragte sie sich.
Sein Schatten fiel auf sie. Als er näher kam. Sie umklammerte das Buch.
Sie schaute sich um. Niemand zu sehen.
Ihr Vater war auf dem Weg, das wusste sie, aber sie konnte ihn noch nicht sehen und auch nicht hören.
Aber er kommt gleich, dachte sie, er kommt gleich, ganz bestimmt kommt er gleich. Wie das weiße Kaninchen, das kam auch ganz plötzlich, plötzlich sprang es ins Bild. Wie erwartet, vollkommen unerwartet. Und änderte alles. Alles.
Mit dem weißen Kaninchen würde sich alles ändern. Bestimmt.
Hinter ihr lag nur der Wald. Und die Stille. Sie konnte sie hören. Die Stille.
Und da, da!, dachte sie, da ist das weiße Kaninchen. Das weiße Kaninchen.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.