Die gierigen Profit anhäuf er werden bluten - wer sich vollgesaugt hat auf Kosten von Schwächeren, wird zur Kasse gebeten und zur Ader gelassen.
Die Achtlosigkeit der Menschen ist groß. Das ist unverzeihlich und ruft Kunze wie Löwe, Steppenwolf und Panter auf den Plan. »Ihr seid nichts, euer Tun ist nichts; und euch zu erwählen ist ein Gräuel«, sagt der Prophet Jesaja (41,24). Als Deutscher sieht er die jüngste deutsche Geschichte als Drama, wittert stets die Gefahr des erneuten Abfalls. Mögen einige besondere Schuld auf sich geladen haben, Verantwortung tragen alle. Hierzu zählt z.B.:
Keine Umkehr
Bleibt wie ihr seid einenMoment im Sekundenregen fühlt wie er webt atmet und lebt immer euch entgegen
(...)
Immer mit dem Schlimmsten gerechnet
nirgends angeeckt
niemals in den Klingelbeutel
Knopf statt Mark gesteckt
doch der Tag ist nagelneu
und das Glas ist halb voll statt halb leer
keine Umkehr keine Umkehr keine Umkehr mehr keine Umkehr mehr.
In seinen Worten wird der unsichtbare Gott sichtbar. Er beweist nicht, schweigt eher. Er diskutiert nicht. Er teilt mit. Die göttliche Kraft schwingt mit aus den Worten, die mehr meinen, als Worte sagen können. Zwischen dem verzehrenden Feuer und der ewigen Liebe Gottes gibt es eine hidden bond, eine Brücke, ein Seil, auf dem der Prophet zu Hause ist. Dabei läuft er oft über Glasscherben und Rasierklingen, beinahe wie ein Akrobat, der aufpassen muss, dass er sich beim Salto nicht verfliegt. Und so spricht Kunze sozusagen preußisch pünktlich und doch zeitlos den Menschen an.
Die geistfernen Zeiten sind ihm verleidet, die Doppelbödigkeit unserer ethischen Entscheidungen, selbst die kleinsten Lebenslügen werden mal mikroskopisch, mal mit dem Teleskop untersucht und entlarvt.
ICH PERSÖNLICH STEHE JA MEHR
auf den frühen Gott. Der
massierte die Milchstraßen, der robbte durch den Raum wie rollige Katzen (eingesperrte).
Der hatte das Leben noch vor sich, einen unabsehbaren Terminkalender, eine einzige weiße Möglichkeit, ein Abhang voller Schnee, und erfuhr los.
Erschoß durch Ziellinien, die er immer noch gerade rechtzeitig vorher erfand, und immer als fünfter, weil es ihm so gefiel. Seine Sprache war wirbelndes Gas, sein Traum waren wir.
Er erfand uns, weil er Wesen beim Lesen beobachten wollte: Magere Mönche, Pergamente kopierend, die Zungenspitze an der Nase.
Er spielte gerne Schlagzeug, irgendwann hast du ihn gehört.
(...)
Alles hat nach Prediger Salomo nicht nur seine Zeit unter der Sonne - die Weisheitsliteratur der Bibel hat bei Kunze einen Sitz im Leben - menschliche Erfahrung von Sinnlosigkeit und Haschen nach dem Wind wird unter Gottes Augen betrachtet, z.B. in:
Die Zeit läuft
Kennen Sie Jesus?
Das sagt mir im Moment nichts.
Das gewisse Etwas.
Helfen Sie mir mal.
Lebend oder tot?
Lassen Sie mich raten.
Perlen vor die Säue.
Ganz wie Sie wünschen.
DIE ZEIT LÄUFT
DIE ZEIT LÄUFT Mit dem Messer im Rücken ... unterm Kreischen der Bremsen ... ohne Ansehen der Person ...
Sie sind gar nicht bei der Sache ...
(...)
Kunze kennt seinen Gott mit Namen. Es ist ein Gott des Geistes, eines Jesus aus Nazaret, den man aber nicht wie zu einem Zaubertrick aus der Tasche holen kann. Diesen Gott kann man trotz all seiner Unverfügbarkeit sehen, hören, fühlen, riechen und schmecken. Das Auge des Wächters, Dieners und Botschafters Kunze aberbringt die Untergangsstimmung der Abendlandsgesellschaft und ihr Verhalten zur Sprache und ans Licht.
4 »Uns eint das schöpferische Wort...« - Deutsche Wertarbeit aus Osnabrück
»Uns eint das schöpferische Wort...« So stellt die Neue Osnabrücker Zeitung vom Martinstag 1972 die Literarische Gruppe Osnabrück vor. Gudula Budke ging es bei ihrer Initiative um drei Dinge: den Nachwuchs fördern, älteren Schriftstellern helfen und das literarische Leben in Osnabrück mobilisieren. Im Gegensatz zu den Künstlern des Osnabrücker BBK - Bund Bildender Künstler - ging es den damals 19-77 Jahre alten Schreiberinnen und Schreibern um Kritik, die Auseinandersetzungen mit ihren Arbeiten nicht scheuen. »Das Boot«, eine Herner Lyrikzeitschrift, bringt die ersten Texte vierteljährlich. Die mutige Auseinandersetzung nach Anerkenntnis unterschiedlicher literarischer Positionen führt die Creative writers zusammen. Die literarische Gattungsvielfalt reicht von konkreter Alltagslyrik als Verarbeitung des Äu-jour-Seins bis zur Vorbedingung der Zeitlosigkeit unter Verwendung antiker Versmaße und Strophenformen. Diese Spannung hat HRK von jeher fasziniert - und ausgehalten.
Und so kam es zur Ausschreibung der LGO, der »Literarischen Gruppe Osnabrück« in Zusammenarbeit mit der Neuen Osnabrücker Zeitung am 17.8.1974: Wer schreibt die besten Gedichte und Geschichten? Literarischer Wettbewerb für unentdeckte Talente.
Jeder Teilnehmer kann 3 Gedichte und 2 Kurzgeschichten in jeweils 3 Ausfertigungen einreichen. Maximalvorgaben: 16 Zeilen für Gedichte, anderthalb Seiten für die Geschichten. Von Heinz Rudolf Kunze kommen die Beiträge: morgens müde/Liebesgedicht und die Kurzgeschichten: Sie hatten das so ausgemacht/Ihre Arbeitshaltung und:
sturmtauben wollen eine bessere weit
sturmtauben wollen eine bessere weit
sturmtauben
wollen eine bessere weit
schwirren um die kirchtürme
schauen herunter
vor schreck bleiben ihnen
dieflügel stehen
sie
fallen
man sammelt sie unten auf
das ist ein geschäft geworden
in Spezialitätenrestaurants
finden wir sie wieder
knusprig zubereitet und
petersiliegarniert in sahnesoße
verlockend;
an geschmackvollen tafeln
aufpatronenhülsen gebettet:
der braten »revolution«
für eine weit die gar nicht besser sein kann.
Mit »morgens müde« sichert er sich die Teilnahme an seiner ersten öffentlichen Lesung am 13.12.1974 um 20 Uhr im Kulturgeschichtlichen Museum Osnabrück am Heger-Tor-Wall. Am Nikolaustag findet im Hinterhaus des Steinwerks in der Dielingerstr. 13 eine erste Probe in Verbindung mit dem Freundeskreis der Literaten statt.
Der Brief Budkes an den neuentdeckten Nachwuchsautor enthält den handschriftlichen Zusatz: »Außerdem ist Ihr Text »Sie hatten das so ausgemacht« zur Veröffentlichung in der NOZ gegen Honorar vorgesehen!«Die Juroren veröffentlichen dann am 7.12.1974 pünktlich die ausgezeichneten Preisträger in alphabetischer Reihenfolge: Gisela Breidenstein, Barbara Broy, Ingeborg Engelhardt-Bergner, Herbert Gottlieb, Heinz Rudolf Kunze und M. de Schulte zu Horst, wobei der eben 18 Jahre alt gewordene Kunze zusätzlich zu einer Lesung geladen wird.
Noch kurz vor seinem Abitur fängt der Schüler Kunze an, seine Fühler in Sachen Literatur weiter auszustrecken, weit über Osnabrück hinaus.
Im Mai 1974 nimmt ein Schreiben des NDR Bezug auf ein Schreiben von Vater Kunze vom 3.4. mit der Bitte: »Es wäre vielleicht richtig, wenn Ihr Sohn einiges von seinen Arbeiten ruhig einmal schicken würde... So aus der Ferne kann man doch nicht richtig urteilen oder raten.«Der Funke springt bei dem Primaner sofort über. Binnen 14 Tagen erhält das Funkhaus Material (Brief vom 29.5.1974):
Sehr geehrter Herr H.,
anbei die beiden Arbeiten, die ich Ihnen angekündigt habe. Die Mängel der äußeren Form bitte ich zu entschuldigen - Schulfreunde haben mir die Manuskripte abgeschrieben. Es handelt sich also um Laienarbeit.
Sicherlich ist es nicht üblich, daß ein Autor seine Arbeiten kommentiert. Doch mir erscheinen einige Ausführungen über meine Absichten unbedingt notwendig. Ich glaube, daß sie auch Ihnen einen besseren Einstieg in die Thematik vermitteln.
Читать дальше