Hier nur so viel: Shakespeare sehe Sonette wurden auswendig gekonnt -und dennoch eine Vier! Eine entsprechende Spezialarbeit wurde zunächst nicht genehmigt. - »Und dann hat der Gockel alle Schüler gerufen«, sagt Kunze rückblickend mit einem verschmitzten Lächeln - und er landete bei einer Eins Plus. In seinem Gedächtnis hat der altmodisch-schleiferische Lehrer preußischen Einschlags einen ganz besonderen Platz.
Sein Physiklehrer Dr. Freimann riet: »Sie sind keiner von uns, Kunze! Sie sind kein Naturwissenschaftler. Werden Sie mal ruhig Geisteswissenschaftler«, riet er seinem Eleven Kunze. - Der Biologielehrer, an einer Universitätslaufbahn gescheitert, klagte den Schülern sein Leid auf hohem Niveau im Unterricht. Am Ende der Abizeit die Frage: »Kunze, was wollen Sie werden? Schriftsteller! Pss, ja, psychisch sind Sie ja nicht so ganz stabil.«
Übrigens: Seine schönste Eins bekam er von Lehrer Steinbrecher - einem seiner Deutschlehrer, von dem Kunze lernte, dass es einen Fehler gibt, den jeder Mensch begeht, der schreibt, wogegen man stets angehen muss; und was auch ihm nur teilweise gelingt. »Es ist immer ein Zeichen der Schwäche eines Autors, wenn er zu viele Adjektive verwendet. Und das macht aber so eine Lust, Dinge genauer zu beschreiben, und noch ein Adjektiv und noch eins dranzuhängen, um es noch genauer einzukreisen, und diese Lust muß man bekämpfen. Man sollte es immer versuchen, wenn man drei Adjektive verwendet, eins wegzulassen, und wenn man zwei verwendet, noch eins wegzulassen. Und das gelingt mir nicht immer, das ist eine meiner Schwächen. Das haben mir schon immer meine zumindest besseren Deutschlehrergesagt, und damit hatten sie bestimmt auch recht. Ich habe bei Herrn Steinbrecher vielleicht die schönste Eins meines Lebens bekommen. Der sagte: »Wissen Sie, Kunze, Sie haben das Thema völlig verfehlt, aber es ist leider trotzdem eine Eins. Nur eines muß ich Ihnen sagen« - und es war der einzige Lehrer, der mir das gesagt hat - »ich mag Ihren Stil ja nicht, aber er ist großartig!«
Nein, Heinz Rudolf Kunze war eigentlich kein Streber, machte aber ein sehr gutes Abitur, weil er bis auf Mathe alles konnte (»Das meiste fiel mir einfach zu«). Der damalige Direktor Dr. Georg Bernhard Scholz - ein einflussreicher, jahrzehntelanger Ratsherr der CDU in Osnabrück - hatte es sich nicht nehmen lassen, zu ihm ans Krankenbett zu kommen, um das Abiturzeugnis zu überbringen. Der Musterschüler war gerade erst von ei-ner Blinddarmoperation aus dem Krankenhaus zurückgekehrt und bekam hohen Besuch nach Hause. Diese enorme Geste erfüllte den SMVler und Dauer-Klassensprecher Kunze und seine Eltern mit Stolz ...
Seit seiner Osnabrücker Schulzeit kreuzen sich immer wieder die Wege auch mit einem anderen Gymnasiasten, den es später in die Juristerei und dann in die große Politik trieb, den amtierenden Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Christian Wulff. Dieser beschreibt das aus seiner Sicht heute so:
»Bei jeder Begegnung mit Heinz Rudolf Kunze, bei jedem Austausch, jedem Kontakt, jedem Telefonat, war immer ganz große Hochachtung für das, was der andere in seinem Metier tut. Diese persönliche Zuneigung zu Heinz Rudolf Kunze hat sich bei mir in meinen Schulzeiten entwickelt. Er war älter, erging auf ein anderes Gymnasium, auf das Graf-Stauffenberg-Gymnasium, ich auf das Ernst-Moritz-Amdt-Gynmasium in Osnabrück. Beides waren quasi Reformgymnasien, neue Gymnasien, nicht mit so einer ganz großen Tradition wie traditionsreiche Gymnasien, etwa das Carolinum, das älteste oder Zweitälteste Gymnasium in Deutschland, wie Aachen, zur Zeit Karls des Großen gegründet, auf die wir beide aber nicht gegangen sind. Wir sind auf diese Reformgymnasien gegangen, die dafür ein freieres, liberales, politisch auch umkämpfteres Klima hatten ... Aber es waren beides Gymnasien, wo auch Politik eine Rolle spielte, wo sich politisch engagiert wurde. Ich habe heute für mich die Erklärung, dass das Interesse an Heinz Rudolf Kunze mit einem enormen Interesse an der nationalsozialistischen Vergangenheit zu tun hat, am jüdischen Leben in Osnabrück, mit der Synagoge, mit Dokumentationen, welche Häuser, welche Firmen gehörten Juden usw. Ich habe erst sehr viel später erfahren, dass Heinz Rudolf Kunze dieses Thema genauso bewegt hat. Vorher habe ich nur die Lieder gehört, die Texte über Nürnberg, über die monströse Architektur. Das war das, was mich am meisten an einem deutschen Liedermacher in jungen Jahren angesprochen hat. Da bemerkte ich eine ganz starke Individualität, eine ganz starke Persönlichkeit bei Heinz Rudolf, der sich da wirklich selber abarbeitete und sich Gewissheit verschaffte. Ich glaube, darin liegt eine große Parallele zwischen Heinz Rudolf Kunze und mir, dass wir auf der Suche waren, und dass wir uns damit beschäftigt haben, dass wir historisch interessiert waren, zurückzuschauen und zu fragen, was kann man für die Zukunft lernen? Und ich bin in die CDU gegangen und habe mich engagiert, und er ist in die SPD gegangen oder SPD-Aktivist geworden. Das spielt aber nicht so die Rolle, das hat auch persönlich nie die Rolle gespielt...«
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Was aus der Schulzeit auf jeden Fall blieb und das spätere Germanistik-und Philosophiestudium mitprägte, war eine unverbrüchliche Liebe zu Sir William Shakespeare. Bei seiner überaus erfolgreichen Musicalversion des »Sommernachtstraums« hatte er nicht nur seine Mutter als großen Fan ...
Eine Mischung von Schriftsteller Peter Handke und Musiker Pete Towns-hend in einer Person - das wäre es gewesen, die Formel seines Lebens - eine Art roter Faden oder Lebenslinie. Und das geteilt mit den gemeinsamen Freunden. Eine größere Freude konnte es damals nicht geben.
3 Christ mit besonderem Charakter - Was macht den Poeten zum Propheten?
Der amerikanische Erfolgsautor Robert Fulghum hat sein Haus direkt neben der Orthodoxen Akademie Kreta. Er will gerade Wäsche in die Reinigung bringen, als ich ihn treffe, anspreche und um einen Termin bitte. Stichwort: Biographie.
Es kommt zu einer Begegnung. Ich zeige dem ehemaligen unitarischen Geistlichen die gebundene Ausgabe von Kunzes »Vorschuß statt Lorbeeren«, und er ist von der Aufmachung und der beigefügten CD begeistert. Mit leuchtenden Augen trägt er das Körbchen mit einer Manuskriptkiste in rotes Tuch gehüllt auf den Freisitz und gibt mir Nachhilfeunterricht im Bücherschreiben.
Fulghum spricht über seine Arbeitsmethode: »Wait for the right pitch, don’t try to hit every ball.«Der Autor aus der Bundesliga der Literatur weiß, wovon er spricht. Seine Bücher haben Millionenauflage. Er schreibt zuallererst für sich selbst, dann für andere. Früher sei er einmal aus Zeitgründen nicht dazu gekommen, sich als Pfarrer auf eine Predigt vorzubereiten. Er sagte das seiner Gemeinde ganz offen und meinte, er könne aber ein wenig Step tanzen und machte es vor. Gesagt, getan - die Gemeinde gab ihm stehenden Applaus. Die Aufrichtigkeit des Predigers wird ebenso vom Publikum gewürdigt wie der Frontmann, den sie liebt und wertschätzt.
»I have an idea if I were in your shoes«, sagte er zum spannenden Vorhaben, ein Buch über einen zeitgenössischen berühmten Rockpoeten zu schreiben. Wenn ich als Pfarrer das Vertrauen von Heinz Rudolf Kunze bekäme, sei es nicht nur eine besondere Ehre, sondern auch das Zutrauen, die Dinge aus meiner Sicht zu beschreiben. Als Autor habe der Biograph das Recht, in dem Buch vorzukommen. Jenseits einzelner Details müsse das Nachdenken über die vorgestellte Person die Bedeutung seines Lebens und Werkes offenlegen, eine Kunze-Exegese in Auszügen bieten und einen »Schlüssel« zum Verständnis anbieten. Als ich Robert erzähle, dass Heinz für mich prophetische Züge trage, verlässt er den Kaffeetisch und hängt ein Bild aus seinem Arbeitszimmer ab, das den lachenden Zimmermann Jesus mit kräftigen Händen zeigt...
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