wenn wir schlafen, flüstern sie
den Endreim unsres gemeinsamen Gedichts:
FÜR NICHTS UND WIEDER NICHTS UND WIEDER NICHTS
FÜR NICHTS UND WIEDER NICHTS UND WIEDER NICHTS
Die Schallplatte WEA 58314 liegt dann laut Hamburger Abendpost mit Anhieb auf Platz 2 der Nationalen Bestenliste - gleich hinter »Unverkäuflich« des Münchner Liedermachers Peter Ludwig auf Jupiter/Teldec und vor »Alles ist gut« von DAF auf Virgin/Ariola.
Auf die Frage nach dem Preis seines Weges weiß Kunze wie auf fast alles auch in der Hamburger Morgenpost sofort eine Antwort: »Noch hat mich das jedenfalls nicht beschädigt. Wenns mir irgendwann mal nicht mehr passen sollte, gehe ich einfach ins bürgerliche Leben zurück.« Der sensible Wolf im Schafspelz sieht sich weniger als Liedermacher im Stil von Stefan Sulke oder Franz Josef Degenhardt, mag auch nicht den Kult um kammermusikalische Erweiterung der Akustikgitarre. Dann also eher - auch wenn das Wort gerne überstrapaziert wurde - der »Niedermacher« der 80er-Jahre.
Doch Form gibt es bei Kunze nicht ohne Inhalt und umgekehrt. Den dümmlichen Etikettenklebern gehen bei ihm die »Blepperle« aus, da hilft selbst die Variante »Biedermacher« nicht weiter. Schubladendenken greift bei Kunze kaum. Entschieden hilfreicher ist da schon der Blick in die Texte und Töne selbst, mit denen Kunze die Leute empfindlicher machen, sie aufrauen will, damit sie in Zukunft genauer hinsehen.
So gesehen bleibt: der »singende Philosoph«. Ihm geht es ähnlich wie dem auf der ersten LP zitierten rumänischen Philosophen Emile Michel Cioran (1911-1995), dem Papst der intellektuellen Anarchisten, der jahrelang an Schlaflosigkeit litt und ein lebensbejahender Künstler der Verneinung war. Spielen Zerfall, Verfall und Zufall für Cioran eine besondere Rolle, so ist er in seiner ästhetischen Theorie stark vom Erleben geprägt. Es kommt nicht von ungefähr, dass sich Kunze dem im Grundsatz anschließt, was etwa auch durch die Einfühlungslehre Theodor Lipps oder das epochemachende Werk von Wilhelm Worringer: Abstraktion und Einfühlung, 1907, durchaus als Einfühlungsästhetik umschreiben lässt: »Ästhetisch genießen heißt mich selbst in einen von mir verschiedenen sinnlichen Gegenstand genießen, mich in ihn einzufühlen.« Die ungezählten von Kunze selbst gegebenen Interviews machen dies deutlich. Er weiß, was er gerade tut, beziehungsweise wohin er unterwegs ist.
Die Kunst ist für Kunze primär kein politisches Engagement - er meint, dass Kunst sich selbst engagiert. Das lässt Ärger vorprogrammiert sein oder macht ihn zum Außenseiter. Er ist weniger ein Pop-Idol, eher ein Vorbild, zum Beispiel für Zivilcourage. Musik und Text bilden eine Einheit im Blick auf Form und Inhalt.
Wir leben alle im Erdgeschoß
Gott hat gewettet
mit dem Teufel
gewettet um nichts
einfach so
Wir leben alle im Erdgeschoß
wir fliegen/wir fliegen
mitten ins Schwarze
Die Knarre/
Gott hatte gedacht, seine Knarre
sei nicht/geladen
Wir leben alle im Erdgeschoß
Wir leben alle im Erdgeschoß
Da hat sich Gott/bereit erklärt
zum Russischen Roulette
mit dem Teufel
Beinahe wie beim biblischen Hiob hat Gott mit dem Teufel eine Wette abgeschlossen. Anders als in der biblischen Erzählung ist bei Kunze der Ausgang ungewiss:
Es knackt/im Gebälk vom Erdgeschoß
es geht das Gerücht/der Teufel wolle...
uns kündigen
In Baden-Baden weiß das Badische Tageblatt bald von einer neuen Ausdrucksplattform Kunzes zu berichten: Neben der Langspielplatte entdeckt Kunze beim Südwestfunk neu den Äther, um an ein breiteres Publikum heranzukommen. Er moderiert im Norden mit Peter Urban den »Club«. Im Süden öffnen sich mit »Lieder und Leute« und dem »Studiobrettl« Türen. Im Sender Freies Berlin lockt gar die Rolle des Moderators.
Dann kommt das definitive Trendwende-Interview mit der Neuen Osna-brücker Zeitung im August 1981: »Bevor ich meinen Doktor in der Tasche habe, werde ich mit meiner Frau Gila auch in der kleinen Dachwohnung in Osnabrück hausen.« Aber schon hier macht sich die Energie der Veränderung spürbar Raum, die größeren Chancen als Musiker sähe er, wenn sie nach Hamburg zögen. Nach Hause zurückgekehrt, fallen immer deutlichere Töne in Richtung Künstlerkarriere. Aber auch hier regiert der Kopfmensch Kunze nüchtern: drei plus zwei Jahre Option; hat das Projekt die Größe, dass man eine Existenz darauf führen kann, dann ja, sonst nicht. Wenn es keinen Sinn macht, dann muß man eben die psychische Kraft haben, da wieder auszusteigen.
Ralph Quinke entlockt für den »STERN« Kunzes Bekenntnis zu Randy New-man und die Distanzierung des »Niedermachers« aus Dingsda von Leuten wie Degenhardt, Wecker oder Biermann. Mit Flippies konnte die »Krähe unter den Paradiesvögeln« nichts anfangen, nicht sich einklinken in Jargon und Lebensweise, die sich in Übungsräumen herumdrückten, um ein paar Biere zu trinken und die Freundin hinter die Bühne zu schleusen. Aus der Einsamkeit des Langstrecken-Musikers wird die des Strebers gemacht.
Als eine erste Wirkung einer größeren Zuschauermenge nennt Kunze:
Das ist ein süchtig machendes Gefühl, dann einfach loszulegen, weil man auf eine so intensive Art plötzlich gefordert ist. Du weißt genau, es gibt für dich nur zwei Möglichkeiten. Entweder du machst alles richtig, oder du versingst dich schon in der ersten Strophe, brichst ab, gehst weinend von der Bühne und nimmst nie wieder ein Instrument in die Hand.
Zur Arbeit als Moderator bemerkt er:
Ich suche an jeder Erfahrung so lange herumzudoktern, bis ich den Eindruck habe, daß durch das eigene Herzblut etwas Allgemeines durchschimmert. Ich hoffe, daß ich es rechtzeitig merke, wenn ich nur noch über meine eigenen Schweißsocken schreibe.
Beim Texten und Musikmachen klaut er ganz schamlos, will sich aber nicht in Resignation suhlen, weder Morbidität noch Brüchigkeit Vorspielen, schon gar keinen Migräneschmäh wie die Wiener Liedermacher. Ebenso nerven ihn Lieder, wo es einer besser weiß und am Ende den Zeigefinger erhebt:
Da finde ich besser, man hält dem Schrecken länger stand; man guckt möglichst lange hin. So lange, wie der Schmerz noch auszuhalten ist.
In Hamburg hält das Stadtmagazin OXMOX dafür, dass der Vergleich Bob Dylan - Kunze nicht hinkt. Anspieltipp ist der Ohrwurm-Reggae Wo soll ich hin mit meinem leeren Glas - Auffüllen! - lautet der einzig richtige Rat:
Ich hoffe Ihr fühlt euch wohl
ein Wäschekorb Kartoffelchips und fünfundzwanzig Flaschen Wein
vor’m Klo hängt ein Einsatzplan
ich fühl mich nicht, ich lasse euch
von Zeit zu Zeit mit Eurem Glück allein Bei mir
wird’s ohne mich
erst schön
vergib mir Karin es war nur Spaß
Indessen beschreibt die Fachzeitschrift Stereo Kunze als sensiblen, verwundbaren Poeten, der seineAngst nach draußen ruft, uns in die Ohren drückt. Er packt die Angst beim Schopf; das einzige Mittel, sie zu bewältigen, ist, sie zu publizieren.
Seine eigene Bestandsaufnahme fällt trübe aus. Was soll die Zukunft ohne Hoffnung? Noch habe ich mich an nichts gewöhnt, singt er, und trotzdem: 1984 ist nicht mehr weit.
Mit 23 kann das Leben heute schon gelaufen sein: Arbeitsplatz - Kneipe - Bett, eingelullt, feist, faul und bequem. Dieser Entwicklung will sich Kunze entgegenstellen. Aufmucken, Leute! - Meinung haben! - Stellung beziehen! - das ist sein Rezept. Zum Agitator wird er nie, hierfür ist er zu sehr Poet, auch zu sehr Freund der Menschen.
Am Jahresende erhält er den Berliner Wecker-Preis. Der gelungene Erstling macht den Weg frei für die Goldenen Achtziger. Reine Nervensache war nur der Anfang einer Dekade im Aufwind der richtigen Entscheidung Kunzes für die Kunst statt für die Wissenschaft.
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