5. Das ist ja wie im Film (Gitarre, Egitarre, Orgel, Harmonika),
6. Klarschiff zum Tauchen (Gitarre, Epiano, Orgel, effects),
7. Leviathan (Gitarre, E-gitarre, Klavier, Bass, Bongos),
8. Das erste Lied von Herrn Daumen (Gitarre, effects),
9. Folgen Sie mir weiter (Klavier, Orgel, Bass). [Brief 10.6.78].
Von richtungsweisender Bedeutung ist die Begegnung mit dem Kommilitonen und Mitstudienstiftler Robert Jaroslawski. Der Physiker, Jg. 1955, der gelegentlich Gitarre spielt, inspiriert Kunze gleich drei Abende hintereinander zu Auftritten im Schwarzen Café in der Kantstr. 148, jener Ikone der alternativen, subversiven 68er-Szene, in dem man noch heute rund um die Uhr frühstücken kann: Kunze & Jaroslawski. Klartext. Lyrik & Lieder. Bereits im Mai sind die beiden gemeinsam in Osnabrück unterwegs, zunächst als: Provinzriesen machen Musik läutet die neue Ära ein im »offene kunsthandwerkerhaus«, Große Gildewart 14 (»Live im o.k. 14«), anschließend im Ledenhof, sodann im Dominikanerkloster am Rißmüllerplatz. Nebenbei auch Kunzes erste dienstliche Berührung mit der GEMA Oldenburg.
Es gehört zum Elefantengedächtnis Kunzes, dass ausgerechnet der Hausierer beim Projekt Litfasssäulen-Plakatgedichte gut abschneidet: eine »Poesie der Verblüffung«, die gelingt:
Ich öffne -
okay, ist gelaufen, sagt sein Gesicht, schon
ehe er anfängt zu sprechen,
er liefert die buckelnden Wörter ans Messer,
strafgefangen, Praktikum,
selbstverdientes Studium, ich kaufe ihm
nichts ab, das Stichwort,
mein Türrahmentrippeln hört auf,
nein danke, ich möchte das
erklären, er kauft mir
nichts ab, wir sind gut
versorgt, das weiß er, während ich
rede und rede, klingelt er schon
an der Nachbartür
[vgl. Nicht daß ich wüßte, 108]
Mit Tom Kannmachers Folk-Konzert während der Ausstellung der irischen Drucker in der Dominikanerkirche hinterlässt Kunze bereits erste Spuren in den Werken anderer Künstler. Tom Kannmacher, der »Vater« eines Kinderfamilienhauses in Wermelskirchen und Freund Mick Frankes, kann zwar nicht auf dem Seil tanzen. Sonst aber übertrifft der laut Kunze extrem alternative Öko mit kauzigem Vollbart und liebe Kerl die mittelalterlichen Musikanten deutlich. Er hat selbst eine neue Art von Leier entwickelt, ein Mittelding von Tanzleier und Konzertleier mit mancherlei neuen spieltechnischen Möglichkeiten. Dieses Instrument setzt er nun für eigene Kompositionen ein, die nach lyrischen Gedichten von Heinz Rudolf Kunze entstanden sind.
Die Jahresausstellung des Bundes Bildender Künstler für Niedersachsen (BBK), Gruppe Osnabrück, bringt im Herbst eine neue Ausdrucksplattform für das Multitalent Kunze: die Verbindung des Wortes mit der Kunst: »Hervorzuheben wäre Martin Kester, der sechs Zeichnungen mit Gedichten von Heinz Rudolf Kunze (Literarische Gruppe Osnabrück) zeigt, künstlerisch wertvolle Blätter, in denen Grafik und Gedicht sich in einer einzigartigen Symbiose vereinen« (Gudula Budke; Bestandsaufnahme: 21 u.a.).
Kurz vor Kunzes Gang zum Standesamt in Osnabrück am 28.12.1979 erscheint eine zweite Osnabrücker Anthologie mit Beiträgen der Literarischen Gruppe unter dem Titel »Schreibfreiheit« mit »ironisch sarkastischer Selbstbespiegelung«. Es ist ein früher, älterer Text Kunzes, der in einer Art Vision eines jungen Studenten so etwas wie eine vorweggenommene Mid-life-Crisis als Enttäuschungsprophylaxe artikuliert:
Bestandsaufnahme
Es gab mal Zeiten, wo die Brüste unsrer Mädchen
noch kein Geheimnis waren, kein Privatbesitz,
wir wußten alles voneinander, nicht wie heute,
wo man vereinzelt auf der Dauerdame schwitzt;
wenn wir uns jetzt mal treffen, spielen wir Verstecken.
Gefall’ne Würfel sind ein idealer Schutz.
Wir brauchen stundenlang verschwiegene Toiletten
zur Atemübung und zum Spiel mit etwas Schmutz.
Es spielen immer öfter Gruppen, die wir mögen,
in unsrer vollgefreßnen, geisteskranken Stadt.
Doch wir verzichten auf den Anblick unsrer Helden,
weil uns Enttäuschung unverhofft verbittert hat:
sind sie denn wirklich schon so abgrundtief gesunken,
daß sie es nötig haben, hier zu konzertier'n?
Wir hören zimmerlaut die unschlagbaren Platten.
Wir trinken schweigsam unser zimmerlaues Bier
Wir sind jetzt mündig und wir haben nichts zu sagen.
Wir wählen selbstverständlich weiter S.P.D.
Wir haben keinen Grund, uns wirklich zu beklagen. (...)
So kritisch solche Worte gegenüber allem Alltagstrott klingen mögen, einem klaren Ja-Wort zu einem konventionell geschlossenen Ehebündnis zwischen Heinz Rudolf und seiner Frau Gisela Hermann in der Osnabrü-cker »Waage« steht nichts mehr im Wege. Und seine alten Schulkameraden Reinhardt Frense und Jürgen Schnare sind seine Trauzeugen. Diese Frau sollte durch alle Höhen und Tiefen auf seinen Wegen und Umwegen das sein, was er 2003 nach dem Zenit seiner Tourneekarriere »Rückenwind« nennt und in »Dabei sein ist alles« auf der Live-Doppelscheibe besingt:
»Ich weiß viel zu selten was ich an dir hab/ich habe dein Vertrauen/ich bin mit dir auf gleicher Augenhöhe/und was ich seh gefällt mir/am besten auf der Welt so weit ich sehe/du strahlst es aus wie Sieger/so ein Leuchten macht die Sorgen blind/weiter bringt mich keiner/ du mein Rückenwind ich kenn keinen ändern Menschen/der so sichersteht wie du in Raum und Zeitlich bin dein Hauptgewinner/ich hab mit dir das Hoffnungslos gezogen/ Wir pokern mit dem Dritten Mann/er kennt unser Blatt/wir wissen welchen letzten Trumpf/er im Ärmel hat erspielt nicht falsch/er spielt auf Zeit/wir halten mit/wir sind bereit/ich habe dein Vertrauen...«
6 »promotion« statt Promotion? - »Viel Studieren macht den Leib müde« (Prediger Salomo)
Um ein Haar wäre alles »glatt« gegangen - und Heinz Rudolf Kunze hätte die Oberlehrerlaufbahn eingeschlagen, vielleicht mit Fortsetzung einer Universitätsprofessur. Beinahe - aber dann stellten sich Begegnungen ein, taten sich Möglichkeiten im frühen Erwachsenenalter auf, die aus dem angehenden Lehrer oder werdenden Hochschullehrer den Künstler Heinz Rudolf Kunze gebären sollten. Doch früh zeigte sich: Es galt, die bisherige Welt der Eltern und den Platz, den er einnahm, zu verlassen.
Liebe Eltern: Ich habe getan, was ich konnte, verdammen dürft Ihr mich nicht.
(Nicht daß ich wüsste, 169)
Zum anderen liegt es in seiner zugleich abwägenden, von Nachdenken und Vernunft geleiteten Denkart, dass er existenzoffen an sein Leben herangeht. Er baut an seiner Identität einerseits ganz vorläufig, experimentell und sozusagen auf Bewährung, andererseits ist er perfektionistisch veranlagt und mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis ausgestattet, um den nächsten praktischen Schritt auf ebenso hohem Level anzugehen wie zuvor.
Mit seiner Frau Gila ist er sich einig: Gemeinsam werden wir es angehen. Und so liegt es auf der Hand, dass beide sehr genau und aufmerksam waren, als es darum ging, den Schwerpunkt vom schulischen und universitären Lernen, vom Katheder zum show business, der Welt der promotions und promoters, zu verschieben.
Seiner zweiten Verpflichtung, die zeitlich nicht selten mit der ersten Aufgabe kollidiert, kommt Kunze erstaunlich angepasst und unspektakulär nach; eine stabile Lebensstruktur aufzubauen. Kunze ist Ehemann und liebevoller Familienvater und integriert so sein Privatleben, ohne nach außen davon viel Aufhebens zu machen.
Seine äußere Erscheinung verdankt sich seiner Ausstrahlung von innen. Seinem äußeren Erscheinungsbild das Etikett »unsexy« aufzudrücken, entspringt aber einer platten Auffassung männlicher Schönheit, wie man sie auch einem Paul Simon oder Randy Newman nachsagen könnte. Kunzes Körpersprache verzichtet auf vordergründige »Anmache«. Selbst ein Udo Lindenberg kommt einher wie eine Karikatur seiner selbst und doch zeigt sich gerade in einer spröde wirkenden Mimik und Gestik, welcher Vulkan unter den vielen Masken eines Künstlers stecken kann. Vielleicht hat Kunze eine Menge von Woody Allen, der mit seiner mittelgroßen Statur und dem schwarzen Brillengestell vor allem über seinen Blick und seine Mimik den Abstand zu den durchschnittlichen Schönlingen schafft.
Читать дальше