„Vergleichen Sie es mit der Position des Sternbildes vor 20.000 Jahren“, forderte Miles.
Der Programmierer lächelte. Das waren doch keine Probleme für ihn, eher etwas für Anfänger. Wieder ein paar Minuten, dann die Antwort:
„Übereinstimmung perfekt für Zeitpunkt vor 20.500 Jahre.“
Miles sah Wu-Shi an. Wieder passte ein Puzzleteil zum anderen, wenn es auch noch viel zu viele Lücken gab. Immerhin hatte er die richtige Idee gehabt. Er bedankte sich beim Programmierer, der nun den Raum verlassen musste. Wu-Shi nickte ihm noch freundlich nach.
„Es stimmt also, was deine Sondereinheit herausgefunden hat. Es gibt diese Verbindung. Außerdem ist es verblüffend, dass auch Tim das Sternbild „Haar der Berenike“ gefunden hatte. Ich konnte damals nicht viel mit dieser Erkenntnis anfangen. Aber jetzt ist mir das schon klarer. Jetzt weiß ich, was die CALCAG dort will. Sie vermuten dort wieder wie auf der Vorderseite technische Geräte, die sie vielleicht vermarkten können. Es geht nur und ausschließlich um die Rechte an der eventuell vorhandenen Technik dieser außerirdischen Intelligenzen. Sie wollen sich die Gewinne und die dann unumschränkte Marktstellung sichern. Eine andere Erklärung gibt es für mich nicht.“
Wu-Shi dachte nach. Es war wohl so, wie Miles es sah. Doch dann ergab sich für den Absturz über dem MATRA etwas ganz anderes. Es war dann der Versuch.
Nein, das konnte nicht sein. Auch die CALCAG würde sich das nicht leisten wollen, da war er sicher. Aber andererseits war die Wahrscheinlichkeit, dass man das nachweisen könnte, mehr als fraglich, zumal jetzt alle dort verstrahlt war.
„Wir müssen nun schnell handeln“, meinte er. „Unsere Regierungen müssen die ESA und die CALCAG unter Druck setzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass fremde Technik in die Hände eines so mächtigen Konzerns fällt. Mit anderen Worten, wir müssen mit an Bord sein oder verhindern, dass es überhaupt zu einem Start kommt. Leider entwickelt sich unsere Rakete nicht so, wie wir es erhofft haben. Für einen Start haben wir nicht mehr genügend Vorbereitungszeit. Wir müssen uns auf die ESA verlassen.“
Miles nickte. Ihm passte dieser Gedanke auch nicht, denn es war doch klar, wer an Bord dieser Rakete das Sagen haben würde. Doch die fremde Technik war zu wichtig, um hier Animositäten wachsen zu lassen. Dieses Ziel war vorrangig. Sie würden sofort ihre Regierungen informieren und darauf hoffen, dass diese genügend Druck ausrichten konnten.
„Wir müssen weiterhin der Frage nachgehen, wie wir überprüfen können, ob unsere Astronauten zu Tode gekommen sind“, fügte Wu-Shi hinzu. „So schnell sollten wir dieses Vorhaben nicht aufgeben. Wir sollten einen Roboter senden, der an der Senke eine Bohrung vornehmen kann. Ich sehe keine andere Möglichkeit, da das Gelände dort hochgradig verstrahlt ist. Doch ich habe keine Hoffnung auf Rettung.“
Die Runde löste sich schnell auf, denn es gab viel zu erledigen. Jedem war klar, dass mit der Information an Regierungen und UNO auch die CALCAG einbegriffen war, aber in diesem Augenblick war das sogar eher erwünscht.
Mike Salbowski, der oberste Boss der CALCAG, erhielt einen Anruf von Ferenzi, seinem Bionikspezialisten. Offenbar war es dringend. Er hatte gerade ein Konferenzgespräch mit den Außenministern der USA und China geführt. Sie vertraten die Meinung, dass die erste Landung auf der Rückseite des Mondes ein Ereignis für die gesamte Menschheit sein sollte, nicht nur für eine Wirtschaftsorganisation. Mike hatte sich zwar gewundert, woher dieses Wissen über das Unternehmen MONDRÜCKSEITE kam, aber er wusste, dass es überall gute Spezialisten für diese Fragen gab, vielleicht sogar direkte Verräter, die nur am Geld interessiert waren. Die Vorbereitungen in Kourou konnten nicht geheim bleiben, also hatte er sich überlegt, einen Antrag auf Abbau von Erzen auf dem Mond zu stellen. Das war nur eine formale Sache, aber der UNO hatte es gefallen, und er bekam umgehend die Genehmigung für ein Forschungsvorhaben.
„Selbstverständlich gestehen wir der CALCAG die Rechte am Abbau von Erzen zu, wenn keine anderslautenden Vereinbarungen dem entgegenstehen, aber die Landung selbst gehört uns allen“. So stand es im Papier der UN. „Daher haben wir uns mit der ESA und dem Hohen Repräsentanten der EU in Verbindung gesetzt und uns dahin gehend geeinigt, dass Vertreter der USA und Chinas mit an Bord sein sollen. Wir übernehmen im Gegenzug die Mehrkosten, die entstehen.“
Mike hatte innerlich geflucht. Wieso kamen die auf diese Gedanken? „Ein großer Schritt für die Menschheit“, so ein Quatsch! Aber was konnte er dagegen tun? Ein einziges Land war kein Gegner für ihn, aber China und die USA zusammen? Das war ein sehr großer Brocken. Hier hieß es vorsichtig sein! Dann noch dieses Sicherheitsleck und die merkwürdige AUG, die sich auf die CALCAG eingeschossen hatte. Er hoffte, dass Sonja Rickert sich bald melden würde, um ihm mitzuteilen, dass dieser Verein einfach nur geblufft hatte. Mit Herlith hatte er aber eine absolute Trumpfkarte in der Hand, die nicht so leicht getoppt werden konnte. Dennoch entwickelte sich dieses Vorhaben nicht ganz in seinem Sinne.
Ferenzi trat ein. Er hatte ein besorgtes Gesicht und fuhr mit den schlanken Fingern immer wieder um sein Despotenbärtchen. Das war auch kein gutes Zeichen.
„Ich habe schon mit Herlith gesprochen“, begann er. „Wir müssen ein Datenleck haben. In Kourou muss mindestens ein leitender Techniker auf der Soldliste eines Gegners stehen. Unsere Spezialisten haben bei einer routinemäßigen Überprüfung der Sendeanlage in der Kapsel festgestellt, dass der Landecomputer des Landemoduls Signale aussendet, die wir nicht angefordert haben. Offenbar sind alle Informationen, die dort gespeichert sind, abgerufen worden. Wir wissen nur nicht, von wem.“
Nun war Mike alles klar. Amerikaner und China! Für diesen Verein von religiösen Spinnern war das eine Nummer zu groß. Doch wie konnten die anderen seine Geheimnisse knacken? Was wussten sie genau? Er musste sich rasch Klarheit verschaffen, damit er seine künftige Strategie besser planen konnte.
„Setze unsere Hacker darauf an. Ich möchte wissen, wie das passieren konnte. Finde den Verräter in Kourou, wenn es ihn denn gibt. Und lass sie neue Sicherheitsmaßnahmen entwickeln. Wir können uns das nicht leisten, wie du wohl verstehen kannst. Gilt das mit dem Datenleck auch für die Zentrale hier?“
„Nein, Mike. Hier ist alles sicher. Es muss auf Kourou passiert sein.“
Mike überlegte. Wie sollte er vorgehen? Was wussten die USA und China schon? Nur die Daten aus dem Landemodul oder noch mehr? Wie war die Rechtslage, wenn Astronauten aus der USA und China zusammen mit seinen eigenen Astronauten im Tsiolkowskiy-Krater landeten? Auf jeden Fall mussten seine Astronauten die Ersten sein. Und wenn es etwas zu finden gab, dann würden sie es finden und für ihn in Besitz nehmen. Herlith würde das schon hinbiegen, das wusste er.
Es galt also, den Vertreter der NASA oder der Chinesen solange in der Landekapsel zu halten, bis diese Sache geklärt war. Herlith sollte sich darum kümmern. Da gab es sicher eine Lösung.
Er stellte die Videokonferenz wieder her.
„Entschuldigen Sie bitte die Verzögerung. Es galt, eine neue Entscheidung zu treffen, über die ich nachdenken musste. Selbstverständlich akzeptiere ich das Argument, dass diese Landung ein Ereignis für die Menschheit ist und daher auch ein Vertreter aus ihren Reihen mit an Bord sein sollte. Hiermit lade ich offiziell einen Astronauten oder eine Astronautin für diese Landung ein. Eine weitere Person kann nicht akzeptiert werden, ohne die Mission zu gefährden. Bitte benennen Sie diese Person und sorgen Sie dafür, dass sie nach Kourou aufbricht. Für den Fall, dass Sie dieses Angebot ablehnen, werde ich mich an die UNO wenden und den Start in der alten Besetzung durchführen. Ich bitte Sie um Verständnis.“
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